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Im RADIO: Nervengift und Russenmafia

Tom Peuckert verrät, was Sie nicht verpassen sollten

Die Hörspiele von Ingomar von Kieseritzky verblüffen durch scheinbar weltfremde Kauzigkeit. Aber echte Fans erkennen dahinter das Genie des Satirikers. Kieseritzky erfindet vertrackt ironische Fabeln, die die Gegenwart mit philosophischer List attackieren. Das Hörspiel „Lässliche Sünden“ erzählt von einem alt und erfolglos gewordenen Schriftsteller namens Schwarz. Ausgerechnet auf einem Friedenstreffen, dem Versammlungsort prominenter Gutmenschen, hat Schwarz einen Mord begangen. Nun sitzt er im Beichtstuhl und erzählt. Der Beichtvater, dem schon lange keine richtige Todsünde mehr zu Ohren kam, zeigt sich begeistert. Endlich eine radikale Tat, die der schwammig gewordenen Gegenwart ihre Grenzen zeigt (Deutschlandradio Kultur, 12. Dezember, 21 Uhr 33, UKW 89,6 MHz).

Hörspiele, hat der Dramatiker Urs Widmer mal gesagt, sind wie Stummfilme, nur umgekehrt. Warum also nicht die Anziehungskraft der Gegensätze erproben? Regisseur Klaus Buhlert hat ein legendäres expressionistisches Lichtspiel mit den künstlerischen Mitteln des Radios neu inszeniert. Auch in der Hörspieladaption des Vampirschockers „Nosferatu“ nach Bram Stoker und Friedrich Wilhelm Murnau reist ein frisch verheirateter Anwalt in die Karpaten, um eine Immobilie zu verkaufen. Der blutige Ausgang des Unternehmens ist bekannt. In Klaus Buhlerts sublim-polyphoner Radioinszenierung entsteht aufs Neue atemberaubende Spannung (Deutschlandfunk, 15. Dezember, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

Ein Restaurantkritiker fällt beim Essen in einer Hamburger Nobelschänke tot vom Stuhl. Er wurde vergiftet mit einer Substanz, die sich wenige Stunden nach der Tat nicht mehr im Körper nachweisen lässt. Der ermittelnde Kommissar stößt auf ein Nervengift aus der Zeit des Kalten Krieges und auf dubiose russische Geschäftsleute, die die deutsche Spitzengastronomie nach eigenen Regeln aufmischen wollen. So wird der Krimi „Nur ein toter Gourmet“ zum radikalen Hörgenuss (Deutschlandradio Kultur, 17. Dezember, 21 Uhr 33).

Für sein Hörspiel „Stern über Marzahn“ hat Lothar Trolle die Weihnachtsgeschichte an den Stadtrand von Ost-Berlin verlegt. Maria und Josef treiben ihren Esel am Autobahnzubringer entlang, plötzlich fällt dichter Schnee, die Wehen setzen ein. Nur eine einsame Frau hat Mitleid, als Josef unten auf die Klingelknöpfe drückt. Sie öffnet die Tür und Maria kann das Kind im zugigen Hausflur eines Marzahner Plattenbaus gebären. Dringlicher als in diesem Ambiente ist die Geburt des Erlösers nie gewesen. In seiner poetisch eindrucksvollen Travestie lässt Trolle die Berliner nun in dichten Scharen nach Marzahn pilgern, um den neu geborenen Heiland zu sehen. (Deutschlandfunk, 18. Dezember, 20 Uhr 10).

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