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Medien: Im Radio: Volker Braun

Viele Namen gibt es für die menschliche Unfreiheit. In der marxistischen Tradition galt die Geschichte als ein absolutes Zwangssystem, gegen das der Wille des Einzelnen nichts ausrichten konnte.

Viele Namen gibt es für die menschliche Unfreiheit. In der marxistischen Tradition galt die Geschichte als ein absolutes Zwangssystem, gegen das der Wille des Einzelnen nichts ausrichten konnte. Mittlerweile sind alle diesbezüglichen Glaubenssätze außer Kurs - und Volker Braun ist einer der letzten Dramatiker hierzulande, der der Geschichte noch Hauptrollen schreibt.

Pünktlich zum deutschen Feiertag kommt Brauns Stück "Die Geschichte von den vier Werkzeugmachern" ins Radio, ein Exempel auf das historisch-dialektische Theater. Brauns Hauptfiguren sind Arbeiter aus der Vorstadt Schweineöde, die Ortsbezeichnung ist ein proletarisches Synonym für den alten Berliner Industriebezirk Schöneweide. Damals im Osten, als die Arbeit insgesamt nicht viel wert war, wohl aber jede einzelne Arbeitskraft, führten die vier Werkzeugmacher ein behagliches Berufsleben. Ganz dick waren sie vom sich Durchwursteln, so der Dichter über seine Protagonisten, und sie hatten zufriedene und flaue Gefühle. Als die Geschichte ungebeten in ihren toten Winkel einbricht, mit Treuhandmanagern und kapitalistischer Wirtschaftsrationalität, ist das ein Schicksalschlag, so betäubend wie der Fausthieb eines Boxers. Auf den gesellschaftlichen Umbruch folgt das Drama des Identitätsverlustes. Akribisch zeichnet Braun die triviale Kompliziertheit dieses Vorgangs nach. Selten ist die Geschichte der so genannten "Wendeverlierer", zu denen große Teile der damals Fünfzigjährigen im Osten gerechnet werden, eindringlicher erzählt worden. Der Dichter geht sanft und zärtlich mit diesen Verlierern um. Ein beinahe christlicher Blick auf Tragik und Träume des Menschen.

Im Herzen der Welt, weiß Braun, wohnt das Paradox. Verlierer sind wir irgendwie alle, aber das Rad der Geschichte zermalmt in der Regel ganz bestimmte Gruppen. Manchmal wünscht sich der Hörer grellere, kältere Töne im Text, am Ende fühlt man sich dennoch auf sehr emotionale Weise belehrt.

Regisseur Jörg Jannings hat Brauns Drama in dezenter Mundart inszeniert und es mit O-Tönen der Wendezeit und Musik von Hanns Eisler untermalt. Der Dichter selbst ist zu hören, ein sächsischer Poet, der das Deutsch der Kanzleien nie erlernen mochte. Die bürgerliche Öffentlichkeit spricht mit anderem Zungenschlag von den Leuten im Osten. Umso bemerkenswerter, dass einem wie Braun in diesem Jahr der Büchner-Preis zuerkannt wurde. Schon fast ein Fossil ist er, aber noch immer ein lebendiger Dichter.

Deutschlandradio[6], 3. Oktober[6], 19 Uhr 05[6], UKW 89[6]

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