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Medien: Im Saal des Volkes: Chefredakteur trifft Leser

„Berliner Zeitung“: Harsche Kritik und inständige Bitten der Abonnenten an Josef Depenbrock

Der Saal des Volkes, wie der große Versammlungsraum des Berliner Verlags auch genannt wird, machte seinem Namen alle Ehre. Gut 50 Leser der „Berliner Zeitung“ waren der Einladung gefolgt, am Donnerstagabend mit dem neuen Chefredakteur Josef Depenbrock und Ewald B. Schulte, Sprecher des Redaktionsausschusses der „Berliner Zeitung“, zu diskutieren. Die meisten wirkten gut informiert über die Umstände seit dem Verkauf des Verlags an angloamerikanische Finanzinvestoren um David Montgomery. Mancher hatte sich ganz besonders gut vorbereitet. Nachdem Depenbrock mehrfach versichert hatte, mit ihm werde die journalistische Qualität bei der „Berliner Zeitung“ weiterhin hoch gehalten, stand ein Leser aus der ersten Reihe auf. Er hatte die aktuelle „Hamburger Morgenpost“ dabei – jenes Blatt, dessen Chefredakteur Depenbrock zuletzt war. Der Leser hatte nach den wenigen Artikeln aus Depenbrocks Feder gesucht und einen gefunden, in dem er von der journalistischen Qualität der „Mopo“ schwärmt. Er drehte sich um, reichte die „Mopo“ an die hinter ihm Sitzenden weiter, und sagte in wenig höflichen Worten: Wer schon bei diesem Blatt von journalistischer Qualität spreche, möge in Sachen „Berliner Zeitung“ besser schweigen.

Mehrfach wurden Depenbrock Fragen gestellt, wie die Gewinnmaximierungsstrategie der Finanzinvestoren denn nun konkret aussehe. Jedes Mal antwortete Depenbrock ausführlich, aber ausweichend. Die Leser ließen keine Gnade walten: „Binsenweisheiten helfen uns nicht weiter“, sagte ein Mann von hinten. Schulterzuckend verwies Depenbrock auf die nicht anwesende Geschäftsführung der „Berliner Zeitung“. Er sei in seinen weiteren Funktionen als Anteilseigner und Holdinggeschäftsführer ausschließlich der Vertreter der Redaktion und folglich nicht zuständig.

Schulte, der Depenbrocks Ausführungen an der Brille nuckelnd zuhörte, wiederholte mantraartig, was er so bisher nie aus dem Mund des neuen Chefredakteurs gehört hatte: „Ich halte fest, Sie wollen eine gute Autorenzeitung“, „Sie sagten gerade, Hochkultur wird es bei uns weiter geben.“

„Stillos“ für alle Beteiligten nannte Schulte den Chefredakteurswechsel. Weder habe Vorgänger Uwe Vorkötter die Chance auf einen ehrenvollen Abgang gehabt, noch sei Depenbrock ausreichend informiert worden, zudem habe sich die Redaktion missachtet gefühlt. Unverändert beharrt die Redaktion bei der Bestellung und Abberufung des Chefredakteurs auf einem Vetorecht. Bisher sei Depenbrock „zur Bewährung da, er tanzt auf Probe“, sagte Schulte. Depenbrock schürzte die Lippen. Er bewahrte auch die Fassung, als Schulte von Diskussionen über Depenbrocks Leitartikel in der Freitagsausgabe berichtete. Es gab viel Kritik. Ein Kollege habe gesagt, dieser Leitartikel sei unter der Würde einer seriösen Zeitung.

Nach zwei Stunden, in denen auch vom bereits verhängten Einstellungsstopp und möglichem Personalabbau geredet wurde, stand vorne links ein junger Mann auf. Vorsorglich trug er die Namen seiner Lieblingsautoren in der „Berliner Zeitung“ vor. Falls es zu Kündigungen kommen sollte, sagte er, dürften diese „auf keinen Fall gekündigt werden, sie müssen bitte bleiben“. Die Leser applaudierten gerührt.

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