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Medien: „Im Übrigen waren wir frei“

Erinnerungen des Korrespondenten Egon Bahr an seine 50er Jahre beim Rias

Wie ein amerikanischer Sender zu einer deutschen Stimme, sogar zu einem politischen Faktor werden konnte, geliebt und gehasst, verachtet wie geachtet, jedenfalls beachtet, ist Legende geworden. Einzigartig in der Medienlandschaft der Nachkriegszeit. Es fing sehr harmlos an. Wer hatte schon Telefon in Berlin im Februar 1946, als der Drahtfunk im amerikanischen Sektor (DIAS) sieben Stunden täglich sein Programm begann? Im September 1946 wurde daraus der Rias, der einen Militärsender mit einer Leistung von 800 Watt übernahm, der während der Blockade auf die erstaunliche Stärke von 2,5 KW ausgebaut wurde.1949, als zwei Staaten in Deutschland entstanden, nahm der Rias besondere Sendungen für die Hörer in der Zone auf und war 1952 die erste Rundfunkanstalt in Deutschland mit einem 24-Stunden-Programm, ausgebaut auf 300 KW Sendeleistung.

Der Rias begann als Sender in einer Stadt mit ihren bedrängten Menschen, er begann als ein Sender, der während der Blockade durch Lautsprecherwagen Stromsperren ausglich und mitteilte, wie viel Gramm Lebensmittel auf welche Abschnitte zugeteilt sind. Er wurde zu „unserem“ Rundfunk, zu einem unentbehrlichen Teil der Stadt in ihrer mehr als einmal bedrohlichen Geschichte.

Welche Bedeutung für die Zone er gewonnen hatte, erfuhr der Sender samt seiner Mannschaft am 16. Juni 1953, als er, ohne es zu wollen, zu einem Katalysator des Aufstands wurde. Das wurde uns erst Tage danach bewusst, als wir herausfanden, dass Wortlaut und Reihenfolge der Forderungen, die Vertreter des Streikkomitees im Funkhaus formuliert hatten, an allen Orten erhoben worden waren, wo „etwas“ passiert war. Es war die erste große Erfahrung, dass ein elektronisches Medium in einer Ausnahmesituation innerhalb von Stunden zur politischen Aktion führen kann, sofern es glaubwürdig ist. Ohne den Rias hätte es, was wir heute den 17. Juni nennen, nicht gegeben. Der SFB begann erst 1954.

Die amerikanische Leitung verstärkte das Ansehen; denn ohne die garantierte Anwesenheit der Amerikaner hätten die Menschen sich schutzlos gefühlt. Es ist kein Widerspruch, dass der Ruf des Senders gerade daraus erwuchs, dass er nicht die Stimme Amerikas war oder wurde. Das lag an der vorzüglichen Auswahl amerikanischer Kontrolloffiziere, die uns vorlebten, was Vertrauen und Toleranz bedeuten. Es gab nur ein ungeschriebenes Gesetz: Wir durften den US- Präsidenten nicht beleidigen. Das hatte ohnehin niemand vor. Im Übrigen waren wir frei. Es gab keine Zensur. Unsere Manuskripte lasen die juristisch verantwortlichen Amis, nachdem sie gesendet waren. Gegenüber ihrer viel engeren Besatzungsbürokratie verschafften sie uns den nötigen Freiraum, obwohl sie persönlich oft eine andere Meinung hatten. In der Zeit der üblen Kommunisten-Riecherei des Senators Mc Carthy drohten wir mit Streik, verhinderten die Vorladung eines „unserer“ Amis vor seinen Ausschuss. Nichts drang an die Öffentlichkeit.

Während meiner Jahre als Bonner Korrespondent haben Kollegen „deutscher“ Sender ihre Gefühle formuliert, ein Kollege des bayerischen Rundfunks erklärte seinen Neid, weil die Journalisten des Rias unbehelligt waren und keine Rücksicht auf ihre Gremienaufsicht der Parteien und die jeweilige Landesregierung nehmen müssten. Dass der Rias Glaubwürdigkeit erhielt, lag auch an einem weiteren Faktor. Seit der Gründung der beiden deutschen Staaten dachten wir unsere Zuhörerschaft zunehmend in der DDR und sahen unsere Aufgabe darin, ihnen die Entwicklung in der Bundesrepublik zu erklären. Wir kümmerten uns weniger um kleinlichen Parteienstreit oder hysterische Reaktionen auf angebliche Skandale, sondern erläuterten politische Entwicklungen. Eine gute Analyse ist besser als ein mäßiger Kommentar.

Der Rias ist die Demonstration der praktischen Unabhängigkeit bei juristisch voller Abhängigkeit geworden. Als der Kongress befand, er könne Amerikas Steuerzahlern die Kosten für das Radio-Symphonieorchester des Rias nicht mehr zumuten, waren wir nicht begeistert, aber zuletzt doch dankbar, dass die Bundesregierung einsprang und langsam wachsende Anteile der Finanzierung übernahm, ohne uns ein Aufsichtsgremium zu bescheren. Es hat seine Logik, dass nun das Deutschlandradio in dem sparsamen Gebäude des Rias seinen Sitz gefunden hat.

Der Autor, Jahrgang 1922, war von 1950 bis 1960 Chefkommentator und Leiter des Bonner Büros des Rias’. Von 1972 bis 1974 war Egon Bahr Bundesminister für besondere Aufgaben, von 1974 bis 1976 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Egon Bahr

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