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Medien: Immer Lust auf Meer

Zehn Jahre „mare“: Ein Besuch beim Chefredakteur, Ozeanforscher und Verleger Nikolaus Gelpke

Als Sir Francis Chichester 1972 starb, war Nikolaus Gelpke fast zehn. Da war der Rekord des britischen Weltumseglers – um die Welt mit einem Stopp – sechs Jahre her. Und Gelpke in einem Alter, in dem man anfängt, sich für die Welt da draußen zu interessieren. Er verschlang Abenteuergeschichten wie Chichesters „Der Held der sieben Meere“. Mit dem Helden kämpfte er sich in der „Gipsy Moth IV“ über Wellenkämme im Ozean, bangte, dass der Mast bricht. „Mit dem eigenen Segelschiff einmal um die Welt“, sagt der heutige Verleger der Zeitschrift „mare“, „das wollte ich auch“. In Heft Nummer eins schrieb er eine Hymne über Abenteurer und ihre „atlantische Sehnsucht“. Das ist zehn Jahre her.

Nikolaus Gelpkes Flaggschiff liegt im vierten Stock eines alten Kontorhauses. Die Hamburger Redaktionsräume von „mare“ hängen wie ein Ausguck über der Speicherstadt. Ein Büro wie eine Altbauwohnung, verwinkelt, eine Wand des Konferenzraums bedeckt eine Weltkarte, die Zuckerdose ist ein Porzellanfisch. Über dem Sofa in „mare“-Rot hängen Schwarz-Weiß-Fotos. Gelpke sitzt unter einem Mann am Steuerrad und kämmt mit den Fingern durch seine Haare, sie sind sturmumtost, gischtfarben. Erst morgens war er wieder schwimmen – ein Ritual, seit er vor zwei Jahren mit dem Rauchen aufgehört hat. Im Grunde ist er ein Abenteurer. Er wuchs in Zürich und am italienischen Mittelmeer auf, über die Hälfte seines Lebens wohnt der 44-Jährige schon in Kiel und doch: Das Schweizerische an ihm ist mehr als nur zarter Dialekt. Er ist stur, einer, der seine Ideen lange durchdenkt, während andere abwinken. Der dann, von heute auf morgen, einfach macht.

Vor zehn Jahren hat Nikolaus Gelpke seine „Zeitschrift für Meere“ gegründet, er arbeitet in Hamburg, ein Teil der Redaktion sitzt in Berlin. Gelpke ist Verleger und Chefredakteur, es gibt eine Fernsehsendung, „mare tv“, und einen Buchverlag. Seit dem Abitur wusste er: „Ich will den Menschen das Meer näherbringen.“ Eine Bekannte drückte ihm die Adresse von Elisabeth Mann Borgese in die Hand. Der junge Gelpke flog nach Halifax, ordnete die Bibliothek, Thomas Manns jüngste Tochter nahm ihn unter ihre Fittiche. Sie war Meeresrechtlerin, Ökologin, Erfinderin der Unabhängigen Weltkommission für Meere, umtriebig, die Liste ist lang. „Sie sagte gerne, ich sei ihr Adoptivsohn.“ „Schalkhaft“, nannte Gelpke sie in einem Porträt. Der Ozean ist das Leitmotiv seines Lebens, Elisabeth Mann Borgese die zentrale Figur. „mare“ gibt es auch wegen ihr. Als sie 2002 starb, war Gelpke ihr geistiger Erbe.

1997 war „mare“ Avantgarde. Ein monothematisches Magazin, und dann auch noch rund ums Meer. Alle zwei Monate ein dickes Heft mit packenden Fotos, dichten Texten und einem Layout so klar wie der Wasserspiegel bei Windstille. „Ein Design in Schweizer Tradition“, sagt Gelpke. Auch das Schweizer Kulturmagazin „du“ erscheint immer zu einem Thema, es existiert seit 1941. Dass die Gründungsmitglieder von „mare“ seit ihrer Jugend „du“-Abonnenten sind, verwundert nicht weiter. Das Heft trägt die Handschrift von drei weiteren Schweizern: der stellvertretenden Chefredakteurin Zora del Buono, der ehemaligen Art-Direktorin Claudia Bock und Foto-Chefin Barbara Stauss. „Wenn ich ,mare’ alleine gemacht hätte“, sagt Gelpke, „wäre es einfach nur ein Mitteilungsblatt geworden.“ Seit Dezember 2006 ist das Ein-Thema-Konzept über Bord geworfen, es ist zu eng geworden.

„Dummy“, „Monopol“, „brandeins“, sie alle tauchten nach und nach im Fahrwasser von Gelpkes Heft auf. „Dummy“-Macher Oliver Gehrs, damals noch Medienredakteur der „taz“, befand, die „mare“-Mannschaft seien „wehmütige Männer mit dem unbedingten Willen zur bedeutungsschweren Interpunktion“, die „Süddeutsche Zeitung“ ätzte, das Magazin sei „die Fortsetzung von Greenpeace mit ästhetischen Mitteln“.

Gelpke war tatsächlich eine Weile bei Greenpeace, als Forschungstaucher. Er studierte Meeresbiologie und internationales Seerecht in Kiel. Er promovierte über ein ökologisches Thema, CO2-Bindung in der Antarktis. Nur die letzte Prüfun hat er nie gemacht. Sechs Wochen vorher entschied er sich für „mare“. Und zog doch nicht wieder in die Welt, seinem Projekt zuliebe: Sein Verlag heißt „dreiviertel-verlag“, weil drei Viertel der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt sind.

Er ist Präsident der „Ocean Science and Research Foundation“, Vize des „International Ocean Institute“. „Ich habe ein Sendungsbewusstsein. Ich rede wie ein Wasserfall.“ Am Anfang schrieb man ihm neben Chefredakteur und Verleger auch „Herausgeber“ ins Impressum, „das habe ich immer gestrichen“. Herausgeber, das ist ihm zu unpräzise, Herausgeber, das ist für ihn alles und nichts. „Eine gesellschaftliche Stellung ist nichts, was bleibt“, sagt er. Es sei ein Muss, sich dieser Eitelkeit zu widersetzen. Seine Jeans, das helle Streifenhemd, der graue Sweater sind wie Seemannskluft, unprätentiös. Zusammen mit Frau und Kindern wohnt er direkt an der Ostsee, sein Feierabend von Hamburg beginnt in Kiel, mit Möwenquengeln, Wellenbrechen, Salzluft. „Wenn ich abends einschlafe, denke ich an ,mare’, und wenn ich morgens aufwache auch.“

Der Urwald habe eine Lobby, die Wale auch, nur das Meer habe keine gehabt – einer seiner Standardsätze. „Wir haben eher die journalistische Szene geprägt“, sagt Gelpke. „Beim wirklich Wichtigen bin ich noch nicht.“ Er windet sich auf der Couch. Wenn er wüsste, was und wie das ist, er hätte es längst getan.

Seit 2006 gibt es den „Elisabeth-Mann-Borgese-Meerespreis“. Nikolaus Gelpke sagt, es gehe ihm besser, seither.

Anne Haeming

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