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Immer nur Wachstum?: Geschäfte mit gutem Gewissen

Ein Arte-Essay sucht nach gelungenen Alternativen zur Wachstumshörigkeit von Politik und Wirtschaft. Der Film wird fündig: in Kanada, Dänemark und im Chiemgau.

Die Filmemacherin Marie-Monique Robin hat sich viel vorgenommen. „Wachstum, Wachstum“, tönt es gebetsmühlenartig aus den Mündern der Politiker von Paris bis Peking, als hinge davon allein die Zukunft ab. Diesem Mantra will die Französin, die sich vor sieben Jahren in einem Film mit dem amerikanischen Saatgutmonopolisten Monsanto anlegte, den Ruf nach einem anderen, solidarischen Wirtschaften entgegenstellen – vorgetragen von einem halben Dutzend Wirtschafts- und Weltweisen, praktiziert von Männern und Frauen, die begonnen haben, ihre Vision in die Tat umzusetzen.

Eine "Fresh City Farm" statt Hedgefonds

Man könnte sie auch Aussteiger nennen, den ehemaligen Investmentbanker von der New Yorker Wallstreet etwa, der statt länger Hedgefonds zu verwalten, in Toronto mit Gleichgesinnten eine „Fresh City Farm“ gegründet hat. Sie liefert zu niedrigen Preisen frisches Gemüse aus ökologischem Anbau in hunderte Haushalte. Der Mann strahlt Zufriedenheit aus, das Geschäft läuft gut und verschafft Gärtnern wie Kunden ein gutes Gewissen: keine langen Transportwege, keine Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Und in der argentinischen Stadt Rosario kamen durch ein ähnliches Projekt, einen „Gartenpark“ auf städtischem Boden, eine Menge Arbeitslose von der Straße.

Aus den vielen Initiativen dieser Art, die es in der Welt gibt, hat Marie-Monique Robin nach eigener Aussage nur solche ausgewählt, die seit längerem Bestand haben, zum Beispiel eine Vereinigung der Bauern auf der dänischen Insel Samsø, die mit Windrädern und Fotovoltaikanlagen guten Umsatz zum Nutzen der Umwelt macht. Anderswo sieht man in der Abhängigkeit von den großen Banken die größte Gefahr und ist zu lokalen Währungen übergegangen, nicht nur im brasilianischen Fortaleza, wo man mit „Palmes“, die von der Genossenschaftsbank zinslos geliehen werden, statt mit Real bezahlen kann, sondern auch im idyllischen Traunstein in Bayern. Hier kursiert seit einiger Zeit der „Chiemgauer“, dessen Scheine nach drei Jahren ihren Wert verlieren und für Kapitalgewinne untauglich sind. Das Geld bleibt am Ort.

Aber wo kommen die Euros her, die gerade eine junge Mutter fröhlich gegen „Chiemgauer“ eintauscht? Ihr Mann verdient sie „in einer großen deutschen Firma“, erfährt der Zuschauer aus der nächsten Szene. Und womit arbeitet demzufolge diese Firma? Offenbar ist die Aushebelung der großen Banken, deren Gefahren für die Menschheit mehrere der von Robin interviewten Theoretiker zu Recht beschwören, mit kleinen Stadtwährungen nicht zu bewerkstelligen. Der Sturmlauf der abendfüllenden Doku gegen die Wachstumsideologie bedarf offenbar nicht nur vieler weiterer Beispiele, sondern in erster Linie ausgereifter Modelle, damit aus bloßen Kassandra-Rufen ein Programm der Veränderung werden kann. Hans-Jörg Rother

„Wachstum, was nun?“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15

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