zum Hauptinhalt
Frank Plasberg wählt die passenden Einspielfilme für „Hart aber fair“ (Montag, 21 Uhr in der ARD) mit dem Touchscreen aus. Foto: WDR

© WDR/Herby Sachs

Immer passend: Streit auf Knopfdruck

Argumente in 90 Sekunden: Warum inzwischen kaum eine Talkrunde von „Hart aber fair“ bis zu „Günther Jauch“ ohne Einspielfilme auskommt.

Ulrich Bentele ist nach Frankfurt gekommen, um in der Zeltstadt vor den Bankentürmen Mitglieder der Occupy-Bewegung zu interviewen. Doch einer der ersten, den er hier trifft, ist kein junger Protestler, sondern sein Kollege von „Günther Jauch“. Der will hier ebenfalls einen Einspielfilm für die Talkshow drehen. Auch das Kamerateam von „Hart aber fair“ war schon da. Drohen sich die fünf Talker jetzt nicht nur bei Themen und Gästen, sondern auch den Einspielfilmen auf die Füße zu treten?

„Quatsch, das war Zufall“, sagt Bentele. Er ist bei „Anne Will“ für die Einspielfilme zuständig, etwa fünf Kurzbeiträge werden pro Sendung gezeigt – kein Talkshow-Moderator will heute auf die Filme verzichten, denn es gibt wohl kein besseres Instrument, um eine Talk-Sendung zu strukturieren. „Mit den Einspielfilmen können inhaltliche Zäsuren gemacht und neue Impulse gegeben werden“, sagt Bentele.

Dass es überhaupt Einspielfilme in deutschen Talkshows gibt, ist ein Stück weit einer Sendung von Erich Böhme zu verdanken. Er hatte in seiner Sat-1-Show „Talk im Turm“ im Februar 2000 den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider zu Gast. Böhme war gut vorbereitet, konfrontierte Haider mit Aussagen, die seine faschistische Gesinnung belegen sollten. Doch der Politiker tat ein Zitat nach dem anderen als falsch, aus dem Zusammenhang gerissen oder sonst wie nicht belegt, ab. Aussage stand gegen Aussage – und Böhme damit blank da.

Das, so schworen sich Frank Plasberg und sein Produzent Jürgen Schulte, soll ihnen nie passieren. Als sie knapp ein Jahr später für den WDR die Talkshow „Hart aber fair“ entwickelten, kamen sie deshalb auf die Idee mit den Einspielfilmen. „Wir können damit Fakten belegen, widersprüchliche Aussagen eines Gastes aufzeigen oder beispielsweise einen Politiker mit gegenteiligen Ansichten eines seiner Fraktionskollegen konfrontieren“, sagt Schulte. Immer jedoch hätten die Einspielfilme einen Zweck: „Die Diskussion voranzu- treiben.“ In keiner anderen Talkshow gibt es heute mehr solcher Beiträge zu sehen als bei „Hart aber fair“: durchschnittlich zehn pro Ausgabe, vorbereitet seien aber immer um die 16, um flexibel reagieren zu können, sagt Schulte.

Anfangs musste Plasberg die Beiträge noch anmoderieren, um der Regie ein Zeichen zu geben, dass die entsprechende Kassette eingelegt wird. „Eineinhalb Minuten konnten da schon mal von der Aussage des Gastes bis zum Filmstart vergehen – eine Ewigkeit in einer Liveshow“, sagt Schulte. Heute hat Plasberg, dessen Sendung inzwischen am Montagabend im Ersten läuft, einen Touchscreen, über den er die Einspielfilme mit einem Klick selbst steuern kann. So soll er schneller auf die Aussagen seiner Gäste reagieren können.

Welche Filme gedreht werden, entscheidet die Redaktion am Dienstag, wenn das Thema der Sendung für den jeweils kommenden Montag festgelegt werde. Je nach aktuellen Entwicklungen wird aber oft noch mal neu geplant, die Filme entstehen deshalb oft erst am Ende der Woche. Dass die Redakteure an Drehorte fahren, passiere aber selten. „Außer bei den regelmäßigen Reportagen von Brigitte Büscher verwenden wir wenig neu gedrehtes Material, sondern greifen auf das Archiv zurück “, sagt Schulte – und genau da liegt eine weitere Gefahr der Überschneidung. Denn alle fünf ARD-Talkshows können die Archive der ARD-Sender nutzen. So könnte es passieren, dass bei einem ähnlichen Thema die Zuschauer auch ähnliche Einspielfilme zu sehen bekommen. „Natürlich kann bei den Zuschauern so ein Gefühl entstehen, aber bisher ist weder eine dramatische Doppelung bei den Themen, den Gästen oder den Filmen zu sehen“, sagt Schulte.

Auch bei „Günther Jauch“ habe es dazu bisher noch „keine negativen Zuschauerreaktionen“ gegeben, sagt Sprecherin Anabel Bermejo. In der Jauch-Sendung hätten die Einspielfilme eine „dienende“ Funktion. „Sie können für Zäsuren sorgen und die Struktur der Sendung unterstützen“, sagt Bermejo. Es gehe nicht darum, in den Filmen alle Fragen zu einem Thema zu beleuchten, sondern sich auf einige wichtige Aspekte zu konzentrieren, diese dann aber umfassend zu beleuchten.

Mit der Rubrik „60 Sekunden“ hat die „Günter Jauch“-Redaktion das Konzept des Einspielfilms weiter entwickelt – aber trägt damit nicht immer zur besseren Verständlichkeit eines Themas bei. Innerhalb einer Minute wird über ein Thema berichtet, am unteren Rand des Bilds ist eine Uhr zu sehen, die zeigt, wie viele Sekunden noch bleiben. Statt sich auf den Beitrag zu konzentrieren, läuft der Zuschauer Gefahr, mitzuzählen, wie viel Zeit noch bleibt. Dennoch will die Redaktion die „60 Sekunden“-Filme beibehalten.

Ulrich Bentele bevorzugt eher Beiträge, die zwischen 1 Minute 30 und zwei Minuten lang sind. „So viel Zeit braucht man schon, um ein Thema anzureißen. Allerdings müssen die Einspieler nicht von A bis Z alles erklären, sondern können auch mal bei G anfangen und bei M aufhören“, Bentele. Die Filme bei „Anne Will“ dürften durchaus mal zugespitzt und auch provozierend sein. Doch nicht immer dienen die Einspielfilme dazu, die Diskussion voranzutreiben. „Sie helfen auch dabei, ein Stück echtes Leben in die Sendung zu bringen“, sagt Bentele. Wenn beispielsweise mit einer Putzfrau über Mindestlohn gesprochen werden soll, dann könnte sie in einer Runde mit Medienprofis untergehen. „In einem Einspielfilm können wenig fernseherfahrene Gäste ihre Situation mitunter besser schildern“, sagt Bentele. Kurz vor der Sendung am Mittwoch würden die Beiträge jeweils von der Redaktion und Anne Will abgenommen, manchmal gebe es auch dann noch Änderungswünsche. Das sei aber kein Problem, Cutter und Sprecher sind im Studio in Adlershof vor Ort.

Auch bei „Hart aber fair“ schaut sich Frank Plasberg die Beiträge vor Sendebeginn noch einmal an. Vorab jedoch sind sie schon durch die Dokumentationsabteilung gelaufen, wo nach Schultes Angaben alle darin genannten Tatsachen, Quellen und Zitate auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. Eingeführt wurde die Kontrolle, nachdem es einen Fehler in einem Film zur Einführung der Praxisgebühr im Januar 2004 gegeben hatte. „Seitdem wird kein Film, der nicht von der Dokumentation ,gesiegelt’ wurde, bei ,Hart aber fair’ gezeigt“, sagt Schulte. Das gelte auch für die am heutigen Montag. „Angst um den Wohlstand - wohin führt uns die Kanzlerin?“ lautet das Thema.

Zur Startseite