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Ingo Zamperoni.

© dpa

Ingo Zamperoni im Interview: „Woher kommt der ungezügelte Hass?“

Ab diesem Montag moderiert Ingo Zamperoni die „Tagesthemen“. Ein Gespräch über "Lügenpresse", US-Fernsehen, Wasser - und fehlende Schlusssätze.

Ingo Zamperoni wird von Montag an Thomas Roth als Moderator der „Tagesthemen“ (ARD, 22 Uhr 15) ersetzen. Einen Schlusssatz hat er nicht, die Redaktion lässt gerade per Facebook-Aufruf suchen.

Herr Zamperoni, Sie haben den Mississippi durchschwommen, die Sierra Nevada durchquert, Sie sind mit dem Helikopter auf einem Flugzeugträger im Pazifik gelandet – und jetzt: Hamburg-Lokstedt. Haben Sie sich das wirklich gut überlegt?

Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Ich komme in gewisser Weise ja auch nach Hause, weil ich hier viele Menschen aus meiner Zeit bei den „Tagesthemen“ kenne. Es ist ein Tapetenwechsel, aber eine fantastische Aufgabe und große Herausforderung. Ich freue mich jedenfalls riesig darauf. Und ich werde mich da ja auch austoben können.

Austoben, bei den „Tagesthemen“?

Es hat sich seit meinem Wechsel in die USA 2014 einiges bei den „Tagesthemen“ getan. Unter anderem, dass man sich als Moderator jetzt „frei“ im Studio bewegen kann. Das kommt mir sehr entgegen und bietet viele Möglichkeiten.

Man wird Sie festbinden müssen!

Ich bin eher der Bewegungstyp, das passt dann schon sehr gut. Die strikte Trennung von Anmoderation und Beitrag bricht ohnehin immer mehr auf. Meine Idealvorstellung wäre eine in sich choreografierte Sendung, bei der dem Zuschauer gar nicht mehr auffällt, wo der Beitrag beginnt und wo die Moderation endet. Allerdings: Mätzchen wird es auch in Zukunft nicht geben.

Am Telefon klingen Sie unverschämt jung, Herr Zamperoni ...

... Sie sollten meine grauen Haare sehen! Die ersten grauen habe ich nach der Geburt meiner Kinder bekommen. Meine Großmutter hatte schon mit Anfang dreißig graue Haare. Ich nehme also an, das ist genetisch bedingt und nicht durch Stress. Da kann ich also nicht viel machen. Und es wäre mir auch viel zu viel Arbeit, dagegenzusteuern.

Was ist Ihnen wichtig bei den „Tagesthemen“?

Dass der Zuschauer den Eindruck bekommt, wir hätten mehr geliefert, als er vielleicht erwartet hat. Ich bin dafür, im Zweifel auch mal übers Ziel hinauszuschießen.

Und müssen dann den Kopf dafür hinhalten, was die Kollegen verbockt haben.

Wir Moderatoren sind zwar das Gesicht der Sendung, aber auch Teil der Redaktion. Also für alles mitverantwortlich, was gesendet wird. Deshalb sind wir auch schon morgens in den ersten Konferenzen mit dabei. Es gibt Themen, bei denen einem nicht immer etwas Neues einfällt, und es gibt Themen, bei denen die Ideen nur so aus dem Hut geflattert kommen. Wir müssen aus beidem das Beste machen, das ist unser Job. Wir müssen uns aber auch nicht verrückt machen und glauben, das Rad jeden Tag neu erfinden zu müssen.

Was hilft Ihnen, sich auf die Sendung um 22 Uhr 15 vorzubereiten?

Die Maske hier im NDR. Die Kollegen machen einen großartigen Job, müde Augen wegzuschminken. Aber mal im Ernst: Teil meiner Aufgabe ist es ja, meine Höchstleistung dann abzurufen, wenn die meisten Menschen schon lange wieder zu Hause sind oder kurz davor, ins Bett zu gehen. Das ist anstrengend, aber ich kenne das aus meiner Zeit im „Nachtmagazin“. Außerdem ist da noch das Adrenalin, das dich bei einer Live-Sendung wie den „Tagesthemen“ wachhält.

Sonst keine Muntermacher?

Ich habe einem Kollegen von Ihnen auf die Frage, was ich denn machte, um wach zu bleiben, gesagt, ich trinke. Ich meinte natürlich: Wasser! Der Kollege hätte das beinahe in den falschen Hals bekommen.

Sie gehen also gut gewässert in jede Sendung.

Nicht nur das. Ich nehme auch während der Sendung hin und wieder einen Schluck. Denn wenn es zu spät ist, ist es zu spät. Da kann man dann nicht hinterherbechern. Dann ist die Stimme weg.

Sie waren die letzten drei Jahre als Korrespondent für die ARD in den USA. Ihr aktuelles Buch heißt „Fremdes Land Amerika“. Jetzt sind sie wieder zurück: in einem für Sie fremden Land Deutschland?

Ein bisschen schon. Deutschland hat sich verändert. Zum Beispiel ist der Wind, der den Medien entgegenbläst, merklich rauer geworden. Den Begriff „Lügenpresse“ benutzte vor meiner USA-Zeit niemand. Der Umgangston hat sich verschärft. Ich frage mich, woher dieser ungezügelte Hass kommt, der auf Einzelne von uns niederprasselt. Da wird ein Ton salonfähig, der nichts Konstruktives hat.

Warum sind Sie nicht bis zum Wahltag am 8. November in den USA geblieben?

Ich kann Sie beruhigen, ich werde da sein. In Washington. Und für die ARD berichten.

Sie kennen die amerikanischen TV-Verhältnisse. Können wir etwas von den Amerikanern lernen?

Wichtiger scheint mir, was wir nicht von den Amerikanern lernen sollten. Zum Beispiel die unglaubliche Hektik in vielen Nachrichtensendungen, die keine Tiefe zulässt. Und diese dauernde Dramatisierung, die kein Nachdenken erlaubt. Wenn alles und jedes zur Breaking-News wird, nur weil man damit der Konkurrenz im Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer vielleicht ein paar Sekunden abnimmt, dann verlieren Nachrichten viel von ihrer Gewichtung. Wenn wir etwas lernen können, dann die große Offenheit der Amerikaner für Neuerungen aller Art, ihre Freude an der Innovation.

Nichts geht über seriösen Journalismus.

Unser Ziel bei den „Tagesthemen“ ist und muss sein, Orientierungspunkt zu sein. Und das geht nicht, wenn wir die Nachrichten im Schleudergang präsentieren.

Wie gefällt Ihnen eigentlich der Rummel, der um Sie gemacht wird?

Ich habe das, ehrlich gesagt, ein bisschen unterschätzt. Mir ist die Rolle des Fragenden einfach lieber. Aber Sie werden keine Homestorys über „Die Zamperonis“ lesen müssen. Wenn es um meine Arbeit geht, gerne. Privates, nein.

Sind Sie etwa nicht eitel?

Jeder, der im Fernsehen auftritt und von sich behauptet, er sei nicht eitel, macht sich etwas vor. Eine gewisse Grundeitelkeit hat jeder. Was den Rummel um mich angeht: Ein bisschen ist okay, das halte ich aus. Aber den Rummel suchen? Das nicht.

Und was macht Ingo Zamperoni, wenn er nicht die „Tagesthemen“ moderiert? Zügellos nächtens durch Lokstedt streifen?

Sich über einen Traumjob freuen, von dem er nie geglaubt hat, dass er ihn mal bekommen würde. Und daran arbeiten, in Deutschland wieder ganz anzukommen. Da gibt es noch einen kleinen Jetlag, der aufgeholt werden muss.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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