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Innenansichten des "Dritten Reichs": Gymnastik und Aufmärsche

Was ein Amerikaner im Deutschland 1937 filmte, bringt der Sender Arte nun auf den Bildschirm.

Es war nicht sehr viel Neues, was der amerikanische Journalist Julien Bryan im Jahr 1937 von seiner Reise durch Deutschland an Aufnahmen mitbrachte. Glückliche Bauern bei der Arbeit, eifrige Fachleute an der Werkbank von Zeiss Jena, die Wartburgstadt Eisenach, Luthers Wittenberg. Dazu die Aufmärsche beim Reichsparteitag, der Empfang für den Duce Mussolini, von Bryan aus einem Fenster an der Paradestrecke Unter den Linden gefilmt. Der Mann aus Amerika, wo man an eine deutsche Gefahr noch nicht glauben wollte, besuchte auch ein Ausbildungslager des Arbeitsdienstes, wo sich junge Männer, nur mit Turnhose bekleidet, körperlich und geistig für spätere Einsätze fit machten. Dass er Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“ und für Juden reservierte Parkbänke (noch gab es welche) fotografierte, ließen seine Aufpasser durchgehen. Er durfte sogar ein jüdisches Gymnasium in Berlin besuchen: Jungen und Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenenalter lachen in die Kamera, als stünde die Ausreise nach Palästina schon morgen bevor.

Daheim kam der Journalist mit den aus Nazi-Deutschland herausgeschleusten Szenen damals nicht recht zum Zuge. Die Wochenschau „March of Time“ begnügte sich mit wenigen kurzen Abschnitten, so dass Bryan nichts anderes übrig blieb, als sich mit seinem Film selbst auf Vortragsreisen zu begeben. Einer dieser Vorträge, gehalten an der Columbia University in New York City, blieb erhalten. Zum Glück für den Filmemacher Michael Kloft, der das Material aufspürte. Er sichtete es, ergänzte durch Aufnahmen und Texte aus anderen Quellen und schmolz es zu einer Dokumentation für den Kultursender Arte zusammen.

Den üblichen Stil von „Spiegel TV“, wo Kloft seit 2000 den Bereich „History“ leitet, hat er bei dieser Rekonstruktion mitgebracht. Das wird erkennbar an der dick eingesetzten Musik und gleich fünf Sprecherstimmen, die Bryans Vortrag sowie Berichte aus anderen Quellen, darunter die Warnhinweise des damaligen amerikanischen Botschafters in Berlin, William E. Dodd, voneinander absetzen. Der von Fritzi Haberlandt schön gesprochene Kommentar deckt leider die letzten freien Filmmeter zu. Man wünschte sich, Kloft hätte weniger getan und sich mehr in den Dienst des Originals gestellt. Auch wenn manche Entdeckung am Rande dem Film eine nette Facette hinzufügt, etwa Eindrücke des Studenten John F. Kennedy, der sich auf seiner Bildungsreise durch Europa über die zackigen Gesten der Nazis amüsierte. Und damit diese Leute unterschätzte.

Ein Abstecher ins KZ-Lager Buchenwald war Bryan selbstverständlich verwehrt. Wenn er mit Leuten sprach, musste er vorsichtig sein. Gerade in deren Vorsicht spürte er die Angst vor der allmächtigen Überwachung und vor einer deutschen Katastrophe. Ein Volk wird an Körper und Seele für einen neuen Krieg stark gemacht. Die Verhaftung Martin Niemöllers als Repräsentanten der Bekennenden Kirche und der Auftritt des Bischofs von Münster, Graf Galen, der unerschrocken die nazikritische päpstliche Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von den Kanzeln verbreitete, waren für den Amerikaner wichtige Zeichen für das andere Deutschland. Dieses Deutschland widersetzte sich der Gleichschaltung. Hans-Jörg Rother

„Innenansichten. Deutschland 1937“, Arte, 21 Uhr 45

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