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Internet: Die Blogger aus Bullerbü

Web-Tagebücher sind zum Massenmedium geworden – nun bekommen sie es mit der Werbung zu tun. So mancher Autor fürchtet nun um die Unabhängigkeit des Netzes.

Das letzte Mal meldete sich die Revolution am 23. Mai 2007 zu Wort: „Wir machen behutsame Erweiterungsschritte“ — so lautet die bislang letzte Neuigkeit des Blogvermarkters Adical auf dem eigenen Firmenblog. Die Zeichen standen auf Fortschritt: Der Boom der Internettagebücher hatte sich fortgesetzt, die Inhalte der zahlreichen deutschen Blogs reichen mittlerweile von profanen Alltagsschreibereien bis hin zu professionellen journalistischen Angeboten. Blogs sind zum Massenmedium geworden. Es war zwangsläufig, dass auch die Werbung das Potenzial der Blogs entdeckt. Die Adical-Gründer Sascha Lobo und Johnny Haeusler sprachen von „der Professionalisierung der Blogszene“, als sie im Frühjahr ihr Konzept einführten: „eine Plattform für Werbung auf Blogs, organisiert von Bloggern“ – die Zukunft des Web 2.0. Jetzt herrscht aber erst mal Schweigen auf den Seiten der Revolution.

Worum geht es bei diesem Adical? Werbekunden werden akquiriert und an einen Pool von mittlerweile 34 Homepages, allesamt Blogger, vermittelt. Für einen Zeitraum von zwei Wochen bucht der Kunde – über den Vermittler Adical – einen Platz für seine Werbung auf einer Homepage der Adical-Blogs. Doch viele Mitglieder der Blogosphäre wollen von der angestrebten Professionalisierung nichts wissen. Immerhin verdankt das Web 2.0 seinen Aufstieg gewollt unprofessionellen Angeboten wie dem offenen Lexikon Wikipedia. Zudem berühren Lobo und Haeusler mit ihrer Vermarktungsidee einen empfindlichen Punkt der deutschen Blogosphäre: die Freiheit. So zumindest argumentiert ein Teil der Gemeinschaft. Für manchen Nutzer steht Adical als Synonym für die Niederlage gegen die Werbewirtschaft. Ihren Unmut brachten User dort zum Ausdruck, wo sie es gewohnt sind – in Foren und Blogs. Auch in dem von Adical. Der ist nun stillgelegt. Im Mai entschieden sich Lobo und Haeusler, die Seite für Beiträge zu schließen. Aufgrund von „destruktiven Kommentaren und Anfeindungen“.

„Es ist und war ein Experiment“, sagt Sascha Lobo heute, „ein neuer Approach auf dem Werbemarkt.“ Lobo ist hauptberuflicher Werber. Das scheint ihn Glaubwürdigkeit gekostet zu haben. Dabei sind Haeusler und er selbst gefragte Blogger. Während Johnny Haeusler die deutschlandweit bekannte Plattform Spreeblick.com betreibt, ist Sascha Lobo Mitautor auf dem Grimme-Preis-gekrönten Gemeinschaftsblog Riesenmaschine.de. Doch das hat den beiden Bloggern keinen Start-up-Bonus beschert. Kritik hagelte es vor allem wegen des ersten Werbekunden des Blogvermarkters. Im April startete Adical die Human-Network-Kampagne: von Cisco Systems, ausgerechnet. Der Netzwerkausrüster ist in der Blogosphäre wegen Lieferungen an die chinesische Regierung in Misskredit geraten. Diese soll Cisco-Hardware zur Überwachung ihrer Bürger nutzen. Bei der netzinternen Schlammschlacht bekamen auch Adical-Blogs einen Teil des Drecks ab. Stefan Niggemeier, der mit seinem Privatblog (www.stefan-niggemeier.de) und mit bildblog.de im Netzwerk vertreten ist, wurde besonders scharf kritisiert. Der Medienjournalist, der kürzlich erst die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer für ihre „Bild“-Werbung kritisierte, gibt sich beim Thema Adical höchst verschlossen. Er habe dazu nichts zu sagen, schreibt er per Mail.

Blogger und Werbung? Die Frage berührt Grundsätzliches. Norbert Bolz, Medienwissenschaftler an der TU Berlin, macht die deutsche „Blogger-Romantik“ für den Streit im Netz verantwortlich. Die Nutzer des Web 2.0 würden das Internet noch immer als Plattform „radikal-demokratischer Vorgänge“ sehen, als werbefreies „Reservat vor dem Kapitalismus“. Die Blogger aus Bullerbü sozusagen. In den USA hingegen sind werbende Blogger zur Normalität geworden. Vermarkter wie BlogAds versprechen auf ihren Homepages den Usern Gewinnspannen von bis zu 5000 Dollar. Das Vermarkten von sogenanntem User-Generated-Content, den Beiträgen von Nutzern also, ist in den USA gang und gäbe. „Dort ist es einfach keine Schande, Geld zu verdienen“, sagt Bolz.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Nico Lumma gemacht. Der Unternehmer ist mit seinem Web-2.0-Vermarkter shoppero.com im Mai in Deutschland, im Juli in den USA gestartet. Während das Geschäft in den Staaten „gut angelaufen“ ist, sieht sich Lumma in Deutschland mit ähnlichen Vorwürfen wie Adical konfrontiert. Das Konzept von shoppero.com ist umstritten. Angemeldete Mitglieder schreiben über Produkte, die sie privat interessieren. Den geschriebenen Artikel können die User mit shoppero.com verlinken, von dort geht es zu angeschlossenen Portalen: Amazon, Microsoft oder anderen Anbietern mit Onlineshop.

Dass es bei Adical zu Berührungspunkten zwischen Werbekunden und Bloggern kommt, wollen Lobo und Haeusler nicht zulassen. „Bei uns haben die Blogger keinen Einfluss auf die Werbepartner“, sagt Lobo. „Nur ablehnen, das dürfen sie.“ Es soll das Prinzip der Qualitätspresse gelten: keine Schnittmenge zwischen redaktionellem Bereich und Anzeigenkunden. Diese Trennung funktioniert nicht immer. Die Werbeagentur DKD kreierte im März fünf Freunde, die immer wieder per Blog-Eintrag einen Duft von Calvin Klein anpriesen. Als sich die Lobhudeleien häuften, forschten Blogger nach. Im April erklärte die „Coty Prestige Lancaster Group“, die die Düfte von Calvin Klein vermarktet, die Kampagne in Auftrag gegeben zu haben.

Trotz der Kritik sieht Norbert Bolz in Projekten wie Adical die Zukunft des Web. Das „romantische Anti“ der Szene wird sich nicht halten, sagt der Wissenschaftler. Vielmehr wird man „in Zukunft dafür zahlen, dass sich User die Werbung im Netz gefallen lassen“. Wie beim Privatfernsehen. Bolz ist sich sicher: Wer in einem werbefreien Internet surfen wolle, der müsse zukünftig mit Gebühren für seinen Datenverkehr rechnen. Mit einer Mautgebühr für den Datenhighway. Lobo und Haeusler arbeiten zurzeit an einem Relaunch ihrer Firmenhomepage. Diesmal ohne Blog.

Tim Klimeš

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