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Sangomas der Zulu bei einer feierlicher Zeremonie. Auch im Internet sind sie inzwischen vertreten.

© pa/Wildlife

Internet in Afrika: Der Schamane ist online

Mit Muscheln und Knochen befragen sie die Ahnen, auf Twitter beraten sie die Community. Afrikas Heiler verbinden bodenständige Tradition mit digitaler Moderne.

Sie haben Schnupfen? Albträume? Kopfschmerzen in der Nacht? Ein klarer Fall für den Sangoma. Ein wenig verspritztes Blut eines geopferten Huhns, ein paar geworfene Tierknochen – schon steht die Diagnose: Ein böser Geist ist in Sie gefahren. Gegen eine kleine Spende befreit Sie der traditionelle, afrikanische Heiler gerne von allem Übel. In Südafrika, Kenia und Mosambik sind Sangomas spirituelle und medizinische Autoritäten. Doch auch ein Schamane muss mit der Zeit gehen. Bedeutet: Abgesehen von Voodoo-Ritualen und Tieropfern kümmert er sich mittlerweile auch um seine Social-Media-Strategie, das Community-Management und einen gut geführten Online-Shop.

Dort gibt es in der Regel selbst gemischte Kräutertinkturen, Salben und Heilwurzeln. Sangomas bieten aber auch noch ganz andere Dienste an. Sie widmen sich der Wahrsagerei, führen Gespräche mit verstorbenen Familienmitgliedern. So etwas können die Schamanen laut eigener Aussage arrangieren. Traumdeutung und Fluchabwehr sind Standarddienstleistungen – mittlerweile auch erhältlich via Skype und Facebook-Chat. Für Geburts- und Sterberituale muss man dann leider doch persönlich vorbeikommen. So man noch kann.

In Südafrika sind Sangomas der westlichen Medizin gleichgestellt. Arbeitgeber müssen Krankschreibungen durch Schamanen akzeptieren. Ihre Behandlungen können der Krankenkasse in Rechnung gestellt, Kräutersalben über Rezepte abgerechnet werden. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) greifen in Südafrika rund 80 Prozent der Bevölkerung auf die Dienste der Sangomas zurück. Erst wenn deren Rituale nicht helfen, wird ein studierter Arzt hinzugezogen.

Digitales Marketing hat in Südafrika mittlerweile regelrechte Stars der Schamanen-Branche hervorgebracht. Eine der ersten sogenannten „e-Sangomas“ ist Nokulinda Mkhize. 29 Jahre jung, Ex-Model aus Johannesburg, mit einem Lächeln, das Zahnarztherzen schneller schlagen lässt. Sie selbst beschreibt sich als Twitter-Junkie. 7700 Follower hat @noksangoma, über 30 Tweets pro Tag setzt die Südafrikanerin ab. Die meisten ihrer Follower sind Frauen zwischen 18 und 24 Jahren; nur ein Fünftel sind Männer. „Einen typischen Kunden habe ich aber nicht“, sagt Mkhize, „ich sehe eine Vielzahl von Leuten. Von 19-Jährigen bis hin zu 60-Jährigen, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen. Aus allen Gesellschaftsschichten.“

Die Schamanin vermarktet ihre Produkte auf Facebook und im Netz

Auf Facebook und ihrer Webseite vermarktet Mkhize ihre Produkte. Dort verkauft sie Heilsalze, Tinkturen gegen Angstzustände und Pflanzen zur Kontaktaufnahme mit der Geisterwelt. Beratungsgespräche erfolgen entweder in ihrer Wohnung – oder via Skype. Eine Gebühr dafür verlangt sie nicht; jeder gebe, was er sich leisten könne. Anders als andere Sangomas verzichtet Mkhize auch auf traditionelle Kleidung. Anstelle von Kopfschmuck, Perlenstickereien und Fellarmbändern trägt sie Top, Flatterhose und Kurzhaarfrisur. Doch genau wie jeder Sangoma durchlief auch sie eine jahrelange Schule, in der sie alles über den Gebrauch von Kräutern und alternative Heilpraktiken lernte. 2008 begann sie als Schamanin zu arbeiten. In ihrem Patientenzimmer stehen beschriftete Einmachgläser voller Pulver und Wurzeln. Auf dem Tisch liegen Muscheln, Knochen, Würfel und Münzen – zum Stellen der richtigen Diagnose. Daneben: ein Laptop.

Ihre Patienten auch über das Internet zu behandeln, war für Mkhize „ein logischer, natürlicher Schritt. Das erlaubt mir die Freiheit und die Flexibilität, meine Gabe möglichst unbeschränkt auszuüben“, sagt sie. Neben ihren intensiven Social-Media-Tätigkeiten schreibt sie außerdem eine Kolumne für die südafrikanische Zeitung „City Press“. Über Feminismus, Alltagsprobleme und Oprah Winfrey. Lebensberatung von einer echten Schamanin eben. „Der Hauptgrund, warum mich Menschen kontaktieren, ist, dass sie sich in der modernen Welt fremd fühlen“, sagt Mkhize. „Die Menschen suchen nach etwas Bodenständigem. Etwas, das sie in den Kirchen, bei der Arbeit und den Selbsthilfe-Büchern nicht gefunden haben.“ Das Bodenständige findet sich anscheinend auch auf ihrer Webseite.

Während Nokulinda Mkhize mit Twitter-Community und Skype-Beratung die moderne Form einer Sangoma lebt, sind viele der traditionellen Heiler vor allem noch eines: traditionell. Bei einem ordentlichen Ritual trägt der Heiler Farben, die den Ahnen gefallen. Im Haar wird die Gallenblase der Ziege befestigt, die bei seiner Ernennungszeremonie geopfert wurde. Dazu werden weihrauchartige Blätter verbrannt. Es wird getanzt, gesungen und getrommelt.

Es gibt 200 000 Sangomas, aber nur 25 000 Ärzte

Allein im relativ gut entwickelten Südafrika gibt es rund 200 000 Sangomas – aber nur 25 000 moderne Ärzte. Doch auch wenn Tieropfer, Wahrsagerei und selbst gebraute Kräutermedizin für den westlichen Betrachter abschreckend wirken, ist die Heilwirkung einiger pflanzlicher Wirkstoffe nachgewiesen. Aloe und Teufelskralle sind in der afrikanischen Medizin verwendete Heilkräuter, die Verbrennungen lindern und Arthrose bekämpfen. Zudem kommt den Sangomas als Autoritäten eine wichtige Rolle im Kampf gegen Krankheiten wie Aids zu. Manche Wunderheiler behaupten gar, das Virus bereits erfolgreich geheilt zu haben. Es gibt aber auch immer wieder Berichte über Scharlatane und die schädliche Wirkung ihrer Medizin: Suchtsymptome, drogeninduzierte Rauschzustände und HIV-Übertragung durch die wiederholte Benutzung von Rasierklingen haften dem Ruf der Heiler hartnäckig an. Weil die Ausbildung zum Sangoma keiner staatlichen Kontrolle untersteht, darf sich zudem jeder so nennen.

Unstrittig ist dagegen die wirtschaftliche Bedeutung der Schamanen. Der Verkauf von Medizin und spirituellen Dienstleistungen summiert sich allein in Südafrika jährlich auf über 200 Millionen Euro. Ein erheblicher Teil dieses Gewinns wird mittlerweile durch die Onlineshops der Sangomas erzielt. Dort versprechen schön drapierte Bilder von Tinkturen Abhilfe gegen Albträume. Für besonders dringende Fälle gibt es mittlerweile Telefonhotlines, ähnlich Mkhizes Skype-Beratung. Die weniger seriösen Anbieter versuchen mit wild blinkenden GIFs und reißerischen Heilsversprechungen zu punkten.

Gemessen an der Anzahl der Werbeplakate ist der am meisten boomende Bereich der Sangoma-Medizin übrigens das Geschäft mit der Lust: Spermien-Booster-Tabletten, Gel zur Penisvergrößerung, „100-Prozent-natural“-Viagra. „Unsere Vorfahren hatten diese Probleme auch. Sie haben Pflanzenprodukte benutzt, denn Zugang zu westlicher Medizin hatten sie ja nicht“, sagt ein Johannesburger Sangoma, der ungenannt bleiben will. 550 Rand, rund 40 Euro, kostet bei ihm die Premium-Behandlung, die bei Männern Wunder wirken soll. Am besten verkauft sich derzeit aber eine kenianische Pflanze, die verflossene Liebe neu entflammt. Für 14 Euro bekommt man Kraut, dass man zu Hause verbrennen muss, während man den Namen der oder des Ex-Geliebten ausspricht. „Das funktioniert“, sagt der Sangoma, „sonst würden die Leute es ja nicht immer wieder kaufen.“ Er sei deshalb ganz groß im Geschäft. Nur einen Twitteraccount hat er noch nicht.

Glossar: Ein Kontinent im Netz

In Afrika haben inzwischen mehr Menschen Zugang zu Internet und Mobilfunk als zu sauberem Wasser. Zwei Drittel der Bevölkerung sind online. Im Jahr 2012 nutzten mehr als 650 Millionen Afrikaner ein Handy, mit dem sie oft auch im Netz surfen. Stationäre PCs sind seltener, da die Anschlüsse dafür immer noch teuer sind. Während Südafrika und einige westafrikanische Staaten bereits durch Unterseekabel ans Internet angeschlossen sind, funktioniert der Netz-Empfang in den sub-saharischen Gebieten meist noch per Satellit. Die afrikanischen Länder mit der höchsten Internet-Nutzung sind Nigeria, Ägypten, Marokko, Südafrika und Kenia. tke

Michel Penke

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