zum Hauptinhalt
Über It-Bags will Christiane Arp in der „Vogue“ nicht berichten. Sie will ihre Leserinnen zum Träumen bringen. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Interview: „Bei Socken in Sandalen schaue ich weg“

„Vogue“-Chefredakteurin Christiane Arp über guten Geschmack, Blogger und warum die Berliner Fashion Week auf einem guten Weg ist.

Frau Arp, kann eine Frau auch im Kartoffelsack gut aussehen, wie Männer ihnen gerne zum Trost sagen?

Man braucht schon ziemlich viel Know-how, um einen Kartoffelsack so zu stylen, dass er tragbar ist. Aber in einem Dirndl sieht jede Frau gut aus. Kein anderes Kleidungsstück schmückt eine Frau besser.

Das Know-how für ein Sack-Styling würden Sie als „Vogue“-Chefredakteurin mitbringen, trotzdem tragen Sie vermutlich lieber Prada?

Ich versuche immer ein kleines Geheimnis daraus zu machen, was ich trage. Denn erstens macht es Spaß, Leute zu irritieren und sie rätseln zu lassen. Und zweitens brauche ich keine bestimmten Labels, um mich gut zu fühlen.

Weniger gut war es offenbar um die Anzeigenauslastung der „Vogue“ bestellt. Mit einem Minus von knapp 160 Seiten im Vergleich zum Vorjahr führten Sie 2010 die Liste der Magazine an, die am meisten Seiten verloren haben.

Das Minus erscheint nur so groß durch unsere Sonderausgabe zum 30. Jubiläum im Jahr zuvor, wo wir mit rund 2200 Seiten – davon über 1000 Anzeigenseiten – die umfangreichste „Vogue“ aller Zeiten produziert haben. Unsere Erfahrung ist vielmehr, dass die Anzeigenkunden zu allerletzt auf die „Vogue“ verzichten, weil es ihnen darum geht, die richtigen Leute zu erreichen.

Attraktiv für die Werbekunden ist vielleicht auch, dass die Anzeigen nicht immer sofort vom redaktionellen Teil zu unterscheiden sind.

Die Trennung ist schon durch die Struktur des Heftes offensichtlich. Der hintere Teil ist komplett anzeigenfrei. Allerdings haben uns Leserbefragungen gezeigt, dass die Werbung in der „Vogue“ oft als besonders ästhetisch empfunden wird – obwohl die Anzeigen die gleichen sind wie in anderen Magazinen. Aber bei uns ist die Wahrnehmung anders – und dagegen habe ich nichts.

Die „Vogue“ galt immer als die „Bibel“ der Modebranche. Spüren Sie, dass Ihre Deutungshoheit im Wettbewerb mit den Mode-Bloggern bröckelt?

Wir setzen uns in Deutschland mit dem Thema Mode noch viel zu wenig und wenn, dann oft zu unreflektiert auseinander. Deshalb finde ich grundsätzlich alles, was sich mit dem Thema beschäftigt, gut. Jedoch gehen die Blogger an Modethemen völlig anders heran als wir mit „Vogue“. Wir haben den First-Row-Access zu Designern, Fotografen und Models. Und nur, weil jetzt in der ersten Reihe bei den Modeschauen auch drei Blogger sitzen, wird daran sicher nicht gerüttelt.

Aber Sie müssen sich die Aufmerksamkeit teilen. Designer wie Karl Lagerfeld zeigen sich gerne Arm in Arm mit Bloggern wie der 13-jährigen Tavi Gevinson und setzen sie bei ihren Schauen neben Sie und Ihre Kolleginnen in die erste Reihe.

Dass sich Designer für neue Phänomene wie dieses Ausnahmemädchen interessieren, ist doch selbstverständlich. Zudem empfinde ich die Blogger nicht als Konkurrenten, sondern bin sicher, dass „Vogue“ und die Blogs wunderbar nebeneinander funktionieren. Denn das Internet transportiert Dinge, die ich in einem Magazin nicht transportieren kann – und will.

Welche Dinge sind das?

Wir sind kein Service-Heft. Wir wollen nicht über den ganz schnellen Trend berichten. Wir sind auch nicht das Magazin für die It-Bag oder wollen uns in der Berichterstattung reduzieren auf Aussagen wie „Der Gürtel ist geil“. Das ist anderen Medien vorbehalten. Die „Vogue“ tritt an, um zu inspirieren, denn Frauen wollen träumen. Das heißt nicht, dass wir nicht in der Realität stattfinden.

Die Mode-Blogger posten und kommentieren direkt vom Laufsteg die neuen Looks. Wie muss sich die „Vogue“ ändern, um attraktiv zu bleiben?

Ich vergleiche das immer mit dem Feuer. Wenn Sie an einem Kamin sitzen, dann spüren sie die Wärme des Feuers. Wenn sie das Feuer auf einem Bildschirm sehen, ist das Gefühl komplett anders und nicht vergleichbar. Die Blogs haben deshalb keinen Einfluss auf das, was wir tun. Außerdem wehren wir uns gar nicht gegen digitale Trends, das würde unser Motto schon gar nicht zulassen: „Before it’s in Fashion, it’s in ,Vogue’.“ Eine unserer Redakteurinnen führt einen eigenen Blog auf Vogue.de und im Sommer haben wir eine App fürs iPad gestartet.

Die „Brigitte“ verzichtet seit einem Jahr auf professionelle Models. Wäre das auch in der „Vogue“ denkbar?

Nein, das würde das Problem nicht lösen. Auch wenn die Frauen in „Brigitte“ keine professionellen Models sind, haben die meisten von ihnen trotzdem Maße wie ein Model. Um gegen Magersucht zu kämpfen, ist ein Verzicht auf Profimodels nicht der richtige Ansatz. Denn Magersucht ist genau wie Fettleibigkeit eine Krankheit und die Ursachen dafür sind in der Gesellschaft verortet, nicht in einem Modemagazin. Zumal „Vogue“ in keiner Ausgabe jemals Diättipps gegeben oder eine „Wie verändern Sie Ihren Typ“-Geschichte gemacht hat.

Bekommen Sie eine Krise, wenn Sie auf der Straße Leute mit Socken in Sandalen und Allwetterjacken sehen?

Überhaupt nicht. Ich bin wohl für das, was ich mache, viel zu liberal. Ich glaube an das Credo, dass jeder nach seiner Façon glücklich werden soll. Wenn bei jemandem Socken in Sandalen dazugehören, gucke ich halt nicht hin. Aber so schlimm ist das, was ich sehe, oft gar nicht. Wir müssen dieses Klischee loswerden, dass das Gefühl für Stil bei uns in Deutschland ganz besonders schlecht sei.

Berlin soll nie wie Paris werden, haben Karl-Heinz Müller, Chef der Messe Bread & Butter, und der Designer Michael Michalsky gerade in einem Tagesspiegel-Interview gesagt. Stimmen sie zu?

Hundertprozentig. „Sein wie …“, ist generell schlecht. Berlin ist auf einem guten Weg – gerade weil man hier etwas findet, was es nicht in Paris, Mailand oder New York zu finden gibt: Die Kombination aus Runway, wie wir sie bei der Mercedes-Benz Fashion Week am Bebelplatz haben und der Bread & Butter als weltweit größter Messe für Streetwear, ist ideal. Deshalb hat mich auch der unreflektierte Artikel über die Berliner Modewoche im „Spiegel“ geärgert.Das Gespräch führte Sonja Pohlmann.

Christiane Arp wurde 1961 im niedersächsischen Stinstedt geboren. Sie studierte Modedesign, aber das Schreiben über Mode reizte sie mehr als das Machen. Schon während des Studiums begann sie deshalb ihre journalistische Karriere. Arp arbeitete für die „Brigitte“, den „Stern“ und die „Amica“. 2002 kam sie als Fashion Director zur „Vogue“, die sie seit März 2003 als Chefredakteurin leitet. Monatlich verkauft das Modemagazin aus München 141 346 Exemplare (4. Quartal 2010, IVW), was einem Plus von 2,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal entspricht. sop

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false