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Interview: "Blind vor Wut"

Die 68er, Springer, Bush und Israel: Peter Schneider über die politische Rolle von Fernsehen und Print.

Herr Schneider, das Fernsehen hat 1968...

…entscheidend zu der weltweiten Revolte beigetragen. Unzensierte Bilder vom Vietnamkrieg waren allabendlich zu sehen. Dazu gehörte ein neuer Typus von Journalisten.

Welcher Typus?

Ich denke etwa an Seymour Hersh, der als freier Reporter 1968 praktisch im Alleingang das Massaker von My Lai aufdeckte. Hersh, damals 32 Jahre alt, bot seine Geschichte vielen Zeitungen an, und das bekamen Fernsehreporter mit. Sie fuhren an den von Hersh entdeckten Ort, und dann gingen die Bilder der vielen zivilen Opfer dort um die Welt.

Und heute?

Heute ist die Kontrolle stärker, die Bush-Regierung hat vor allem eines aus dem Vietnamkrieg gelernt: dass eine kriegführende Regierung die freie Berichterstattung „lenken“ muss. Sie hat den „Embedded“-Journalisten erfunden, der sich nicht mehr frei bewegen kann. Haben Sie jemals Bilder von den zivilen Opfern der amerikanischen Raketen gesehen? Man zeigt im Fernsehen nicht einmal die Särge, in denen amerikanische Soldaten aus dem Irak heimkommen. Die Medien waren damals durchlässiger, löchriger als heute. Ohne sie wäre wohl dieser weltweite Proteststurm so nicht entstanden, die Massenmedien waren Mitwirkende, auch die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland.

Aber nicht Massenblätter wie „Bild“. Sie sympathisierten damals mit dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, und gehörten zu den Organisatoren des berühmten „Springer-Tribunals“.

Springer-Zeitungen, insbesondere „Bild“, waren für uns Feinde. Tatsächlich strotzte die „Bild“-Zeitung ja von Aufrufen zur Hatz. „Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!“ hieß es zum Beispiel auf der Titelseite vom 7. Februar 1968. Und damit der Leser diesen Aufruf zur Jagd nicht etwa als Appell an die Obrigkeit verstand, hieß es weiter: „Und man darf auch nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen!“ Eingerahmt in den Artikel war ein Bild von Rudi Dutschke.

Ein Sprachrohr des Volkes?

„Bild“, kein Zweifel, machte sich damals zum Sprachrohr von „Volkes Stimme“, die sich beim Umgang mit den Rebellen Flammenwerfer statt Wasserwerfer wünschte. Damals war noch viel Nazi-Zeugs in den Köpfen. Bis heute wollen die Anti-68er, an vorderster Stelle „Bild“-Chef Kai Diekmann, nichts von den trüben Emotionen wissen, in denen die „Bild“-Zeitung damals fischte. Ich habe – außer einem knappen Satz von Peter Boenisch – nie ein Wort der Selbstkritik oder auch nur der Besinnung von den Leuten der „Bild“-Zeitung gehört.

Wie sah der SDS die Tatsache, dass die Springer-Presse gegen Antisemitismus und für Israel eintrat?

Springers Eintreten für Israel haben wir nie ernst genommen. In dieser Hinsicht waren viele von uns blind, blind vor Wut auf Springer. Dabei hätte uns zu denken geben können, dass vermutlich auch viele „Bild“-Leser von damals die Israel-Freundlichkeit der Zeitung nur mühsam geschluckt haben. Springer hatte einen historischen Riecher. Er erkannte, dass es die historische Aufgabe der Deutschen war und ist, Israel zu verteidigen. Das mochte zunächst nur ein kluger Schachzug gegenüber den misstrauischen westlichen Alliierten sein, doch offenbar war es mehr.

In Springers’ Zeitungen ist diese Haltung ausdrücklich Teil des Redaktionsstatuts, das jeder Mitarbeiter mit seinem Vertrag unterschreiben muss, bis heute.

Dazu sage ich: Chapeau! Vor kurzem fragte ich Ernst Cramer, den Vorstandsvorsitzenden der Springer-Stiftung und Überlebenden von Buchenwald, ob es in den Zeitungen des Verlages dennoch möglich sei, die Siedlungspolitik Israels in den Palästinensergebieten zu kritisieren. Cramer sagte gleich: „Gewiss!“ Auf die Frage, wer eine solche Kritik geleistet habe, erklärte er: „Ich zum Beispiel.“

Was hat die Studenten damals gegen Israel aufgebracht? Gab es latenten Antisemitismus?

Anfangs waren die Sympathien für Israel und die Solidarität mit Israel selbstverständlich. Der Sechstagekrieg erzeugte eine Spaltung. Auf einmal liefen Leute, die gestern noch für Israel gewesen waren, mit Al-Fatah-Schals herum – zu einer Zeit, als die Losung der Al Fatah war, alle Juden ins Meer zu treiben. Eine verheerende Rolle bei dieser Wendung spielte das rituelle linke Lagerdenken. Weil die „Bild“-Zeitung den „Blitzkrieg“ der israelischen Armee feierte – und dabei nicht mit Nazi-Vokabeln sparte – waren viele Linke reflexhaft dagegen. Aber ich selber habe nie einen Al-Fatah-Schal getragen und viele meiner Mitstreiter genauso wenig. Aber vielleicht darf man erwähnen, dass der Sechstagekrieg in Israel selbst bis heute sehr umstritten ist und am vierzigsten Jahrestag äußerst kontrovers diskutiert worden ist.

Auch die Protestierenden haben Leute, ja ganze Länder an den Pranger gestellt.

Es gab schrecklich martialische Parolen wie „Haut die Bullen platt wie Stullen“, oder „USA-SA-SS!“, eine Parole, die übrigens aus einem Film von Godard stammt. Aber man muss sich vor Augen halten, dass vieles Großmäuligkeit und Theater war. Man wollte den kriegführenden USA das Schlimmste an den Kopf werfen, was man einer Vormacht der freien Welt an den Kopf werfen konnte.

Es war eine Revolte der Jüngeren…

…die von ihrer Anti-bzw. Anti-Anti-Haltung lebten. Wir verstanden uns zum Beispiel keineswegs als Kommunisten, sondern als Anti-Anti-Kommunisten. Dabei bildeten sich neue Denktabus heraus, gerade bei ganz zentralen Themen wie der Teilung des Landes. Die Mauer und die Teilung waren angeblich „rechte Themen“; so wurden denn Fragen, die alle Deutschen betrafen, bereitwillig der Rechten überlassen. Noch 1982, als ich die Erzählung „Der Mauerspringer“ veröffentlichte, wurde ich dafür angegriffen, dass ich die Mauer zum Gegenstand eines ganzen Buches gemacht hatte.

Ein Aufstand der Kinder gegen die Eltern.

Gegen die Eltern, die als Generation für den Nazi-Faschismus verantwortlich waren. Man muss aber deutlich sagen: Unser Projekt war die Gestaltung einer neuen Zukunft, nicht die Erforschung der Vergangenheit.

Das Interview führte Caroline Fetscher.

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