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Interview: "Die Dealer lassen mich joggen"

Beate Wedekind hat Berlin-Mitte verlassen. Sie lebt jetzt an der Hasenheide. Ein Gespräch über zu viel Dynamik, Society und relative Armut in Äthiopien.

Frau Wedekind, wir haben gehört, Sie hätten Berlin-Mitte, das Zentrum der Freude, verlassen. Wohin hat es Sie verschlagen?

Ich wohne, lebe und arbeite auf der Schnittstelle von Kreuzberg zu Neukölln in demselben schönen Altbau, in dem ich vor 33 Jahren schon mal gewohnt habe. Ich bin sehr glücklich, wieder einen Kiez gefunden zu haben. Mitte war für mich nur noch eine Arbeitsstätte, in der ich zufällig auch lebte. Es gab zu wenig Alltag dort. Das ist hier am Südstern anders. Hier sind sogar die Ausländer anders. Türkische Gemüsehändler, mit denen man über die Qualität von Feigen fachsimpeln kann, statt japanische Touristen, die am Hackeschen Markt nach dem Hackeschen Markt fragen.

Musste es denn unbedingt Neukölln sein?

Gegen die Gegend rund um den Südstern ist nichts zu sagen, das ist doch beinahe gutbürgerlich hier. Und die Dealer in der Hasenheide lassen ältere, joggende Damen wie mich in Ruhe.

Was hat Sie aus Mitte vertrieben?

Es war mir irgendwann zu viel der Dynamik und des neuen Berlin. Ich hatte Sehnsucht nach mehr Bodenständigkeit. Außerdem vermisste ich eine vernünftige Reinigung, einen guten Schuster und Kneipen, die keine reinen Ausgehstationen für die Szene sind. In Mitte hatte ich eine Nachbarin, die Kommunistin war. Die hat jahrelang kein Wort mit mir gewechselt, weil ich für Sie immer noch der Klassenfeind war. In Neukölln reden die Menschen querbeet, das kommt meinem eigenen Mitteilungsbedürfnis sehr entgegen.

Sie sind eine Aussteigerin.

Ich bin immer schon gerne umgestiegen. Im April werde ich 57. Die Frage war: weiter wie bisher Erfolg, Karriere und Macht nachjagen oder eine Art des Lebens finden, die ich die nächsten vierzig Jahren durchhalten kann. Ich rackere schon seit meinem 17. Lebensjahr, und vor anderthalb Jahren kriegte ich so einen Rappel: Da muss doch noch was kommen. Ich habe dann beschlossen, mich auf die Suche nach der gefühlvolleren Seite des Lebens zu machen. Nennen Sie es ruhig: zur Besinnung kommen.

Vermissen Sie nicht, jedenfalls ein bisschen, die Zeiten, in denen Sie es immerhin zur „Zeremonienmeisterin der Hauptstadt“ gebracht haben?

Die beste Bezeichnung, die man mir mal verpasst hat, ist für mich immer noch „Queen of mainstream“, das hat dann einer sehr frei übersetzt als „Königin des Mittelmaßes“. Das saß. Da war ich Chefredakteurin von „Bunte“. Das mit der Zeremonienmeisterin hat jemand geschrieben, der keine Ahnung von den Mechanismen in Berlin hat. Die Zeremonienmeisterin Berlins war und ist Gräfin Hardenberg. Ich war dagegen immer eher die handfeste Organisatorin und Problemlöserin der Mediengesellschaft, nicht der Society.

Eine Art gehobener Lakai.

Wenn Sie mit dem Wort Lakai einen Dienstleister meinen, dann bin ich eine Lakaiin. Aber wo wir gerade über alte Zeiten reden: Die wahre Society, also die Gesellschaft, die die Stadt prägt und von innen heraus beherrscht, bewegt sich im Verborgenen, fern der Kameras und Klatschreporter. Diese Herrschaften brauchen keine externen Lakaien wie mich.

Und Wowi und Co.?

Klaus Wowereit ist doch der König von Berlin, oder? Echte Berliner Gesellschaft ist zum Beispiel ein Mann wie Wolf Wegener, dessen Familie seit Generationen in Berlin die Fäden zieht. So einen Mann werden Sie nur selten in den Gazetten finden.

Wann waren Sie zuletzt im „China Club“ des „Adlon“?

Zum ersten und einzigen Mal beim 60. Geburtstag von Wolfgang Joop. Und wenn Sie jetzt wissen wollen, warum ich da nicht Mitglied bin, dann kann ich Ihnen gleich drei Gründe nennen: Weil ich mein Geld sinnvoller anlege, weil ich lieber in China in einen Club gehen würde und drittens, weil die Szene, die sich dort trifft, nicht die meine ist. Und bei diesem schönen Friseur Shan war ich auch noch nie. Ich gehe alle paar Jahre mal zu Udo Walz, das ist es dann aber auch. Zuletzt habe ich mir die Haare in Addis Abeba schneiden lassen. Sieht man das nicht?

Wie steht es denn um die Society von Addis Abeba? Sie müssen es wissen. Sie sind ja erst vor zwei Wochen aus Äthiopien zurück gekommen.

Etwas, das sich Society nennen könnte, existiert dort nicht. Es gibt eine Oberschicht, die sich hauptsächlich aus Neureichen rekrutiert. Dann gibt es da einen Scheich Al Mahmoudi, laut Forbes-Liste der reichste Schwarze und die Nummer 77 auf der Liste der vermögendsten Menschen der Welt. Dieser Scheich hat eine äthiopische Mutter und einen saudi-arabischen Vater und baut zurzeit wie wild. Um ihn herum gruppiert sich eine Jeunesse dorée. Und dann sind da noch die hartgesottenen Vertreter der internationalen Hilfsorganisationen, die sich für ein paar Tage in der Hauptstadt mit den Behörden rumschlagen, ehe sie wieder in ihre Projekte gehen. Diese Leute bilden die sogenannte „Hilton-Society“, weil sie sich abends an der Hilton-Bar die Hucke vollsaufen.

Und was haben Sie in Äthiopien gemacht?

Ich habe für eine Fernsehsendung, die ich zum 80. Geburtstag von Karlheinz Böhm produziere, mit ihm Projekte seiner Stiftung „Menschen für Menschen“ besucht. 500 Kilometer von Addis Abeba entfernt, zwölf Stunden Autofahrt über abenteuerliche Schotterpisten. Dort gibt es intakte Dorfgemeinschaften, die nach unseren Begriffen unbeschreiblich arm sind. Aber mit unseren Begriffen kommen wir da nicht weit. Es gibt in diesen Dörfern keine Autos, keine Fernseher, kein Telefon, kein Geld. Es gibt Schulen, es gibt Landwirtschaft und Krankenstationen, jedenfalls dort, wo Karlheinz Böhm arbeitet. Aber es kann immer wieder zu Dürrekatastrophen kommen, nämlich dann, wenn das Wetter nicht mitspielt, der Regen ausbleibt und die Ernte ausfällt. Dann sind diese Menschen wieder unmittelbar vom Hungertod bedroht.

Wie fühlen Sie sich unter diesen Menschen – wie eine Außerirdische?

Im Gegenteil – sehr erdgebunden. Sie nehmen einen einfach an die Hand und zeigen alles. Ich fühle mich dort wunderbar, weil die Menschen einem so unglaublich offen begegnen. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mich selbst auch zu öffnen. Ich war in den letzten beiden Jahren insgesamt sieben Monate in Äthiopien. Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht: Ich bin keine Helferin. Ich bin Reporterin und schreibe darüber, was ich sehe und erlebe. Ich bin ein Kommunikator zwischen den Welten oder, wenn Sie so wollen, ein Medium. Oder noch einfacher: Journalist.

Ist die Armut, die Sie da sehen, relativ? Kann man das überhaupt so sagen?

Wenn ich in Berlin Frauen meines Alters sehe, die auf Parkbänken übernachten, weil sie wohnungslos sind, dann erschüttert mich das genauso. Die Armut in Äthiopien ist eine eher natürliche Armut. Ein etwas merkwürdiger Begriff vielleicht, ich weiß. Ein Vergleich ist im Prinzip auch nicht statthaft. Armut hat viele Gesichter, und jedes ist eines zu viel.

Acht Jahre „Bambi“ und zehn Jahre „Goldene Kamera“ haben nicht geschafft, was sieben Monate Äthiopien geschafft haben: Sie tun etwas mit dem tiefen Gefühl der Befriedigung und mit einer natürlichen Begeisterung.

Um ehrlich zu sein: Von „Bambi“ und Co. war ich seiner Zeit auch begeistert. Oder jedenfalls fasziniert. Bei der „Goldenen Kamera“ war es Zeit zu gehen, da sollten mal andere ran. Aber was mir bei diesen Glamour-Jobs schon lange fehlte, war so etwas wie der menschliche Aspekt.

Mal angenommen jemand käme auf die hässliche Idee zu sagen, die Wedekind hat zwanzig Jahre lang aus allen Champagnergläsern dieser Welt geschlürft und jetzt hängt sie sich an Karlheinz Böhm. Was würden Sie dazu sagen?

Dass ich erstens schon seit mehr als zwanzig Jahren den Böhm'schen Fußstapfen folge. Und dass ich zweitens wie jeder Mensch das Recht habe, nach neuen Aufgaben Ausschau zu halten. Ich stimme dem Satz von Doris Dörrie, dass man sich ständig neu erfinden müsse, ausdrücklich zu und nehme ihn auch für mich in Anspruch.

Sie müssen sich nicht rechtfertigen.

Doch, ich rechtfertige mich jetzt mal ganz gern. Mein großes Glück ist, dass ich nicht mehr alles bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag forttreiben muss. Wenn ich etwas Neues machen will, dann mache ich das. Ich bin so frei.

Und was haben Sie als Nächstes vor?

Na, im April erscheint erst mal mein nächstes Buch, das heißt „Fett weg“. Da habe ich minutiös aufgeschrieben, wie ich letztes Jahr 27 Kilo abgenommen habe. Ein ziemlich schonungsloses Werk, manchmal hab ich Angst vor der eigenen Courage. Und dann werde ich um die Welt reisen und Frauen in meinem Alter porträtieren. Damit werde ich die nächsten fünf Jahre beschäftigt sein.

Und dann?

Dann höre ich auf zu planen und werde endlich Hippie.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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