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Degen

© ZDF

Interview: "Kinder, wozu das ganze Brimborium!"

Michael Degen über Krimis in Jerusalem, Rollenmuster und Widersprüche, die der Schauspieler aushalten muss.

Herr Degen, der ZDF-Krimi „Die Seele eines Mörders“ spielt vor allem in Jerusalem. Was glauben Sie, wie wird ein Film mit dieser ungewöhnlichen Krimi-Kulisse beim Zuschauer ankommen?



Ich weiß es nicht, aber ich glaube, die Leute werden die Themenstellung interessant finden. Außerdem ist es ein Krimi. Wenn die Leute erst einmal dran sind, schalten sie auch nicht mehr weg.

Sie haben selbst zwischen 1949 und 1951 in Israel gelebt und haben bis heute neben der deutschen die israelische Staatsbürgerschaft. Sie sind noch öfter in Israel?

Jetzt nicht mehr so oft. In früheren Jahren war ich aber sogar zwei Mal pro Jahr dort, auch zum Drehen. Ich fahre immer mal wieder hin, um mich zu informieren, was dort am Theater gespielt wird, da ich ja auch selbst dort auf der Bühne stand. Mein Theater ist allerdings inzwischen verschwunden. Dieses wunderbare Kammertheater war einfach weg, als ich zuletzt in Tel Aviv war.

Ihr Theater ist geschlossen worden?


Es ist jetzt ein Parkplatz. Ich war furchtbar geschockt.

Das wussten Sie gar nicht, sondern haben es erst bemerkt, als Sie ankamen.

So ist es. Nur das Café gibt es noch. Dort sind wir Schauspieler immer hingegangen – vor oder nach der Probe.

Es ist immer noch etwas Besonderes, wenn Deutsche und Israelis zusammenarbeiten und dann noch in einem Film, dessen Geschichte ihren Ursprung in den nationalsozialistischen Gräueltaten hat. Wie war denn die Zusammenarbeit während der Dreharbeiten?

Da gab es überhaupt keine Probleme. Man steht ja einer ganz anderen Generation gegenüber, die davon gar nichts mehr wissen will. Wenn man überhaupt mit jungen Israelis auf das Thema zu sprechen kommt, dann fragen die nur: ‚Warum habt ihr euch nicht gewehrt? Warum seid ihr in die Gaskammern gegangen? Das verstehen wir nicht.’ Aber während der Dreharbeiten war das kein Thema. Auch die Zusammenarbeit zwischen den palästinensischen Mitarbeitern im Team und den Israelis war unproblematisch.

Tritt mit dem Generationswechsel langsam eine Normalisierung ein?

Ich denke schon. Man müsste bloß in Deutschland mehr über den normalen Tagesablauf in Israel wissen. Hier denken ja alle, dort würde es dauernd knallen, was nicht so ist. Und wenn mal etwas passiert, gehen die Israelis auch ganz anders damit um. Als ich mit meiner Tochter am Toten Meer war, sind Kampfbomber im Tiefflug über uns hinweggeflogen. Meine Tochter und ich schauten hin, die Israelis selbst haben gar nicht mehr hochgeguckt. Für die ist das Normalität.

Im Film wird Jerusalem selbst als sehr friedlich dargestellt. Die Stadt ist stets in ein warmes, mediterranes Licht getaucht. Empfinden Sie Jerusalem so, wenn Sie vor Ort sind, oder wurde hier bewusst ein Teil der Realität ausgeblendet?

An einem meiner drehfreien Tage wurde auch in einem Viertel gedreht, das als sehr gefährlich gilt. In diesem Viertel haben wir mit Joseph Vilsmaier beim Dreh zu „Leo und Claire“ einiges erlebt. Diesmal scheint es aber ohne jede Störung funktioniert zu haben. Das Bild im Film stimmt aber nicht ganz. Ganz so friedlich ist es in Jerusalem nicht, wenn sich die Unruhe dort auch in Grenzen hält. Das, was wirklich bedeutend ist, spielt sich an den Grenzen des Landes ab – und über diese Grenzen hinweg.

Ihr Charakter, Herr Rosenstein, sagt an einer Stelle im Film: „In keiner Stadt liegen Himmel und Hölle so nah beieinander.“ Würden Sie das unterschreiben?

Na, ja. Der Satz ist mir schwer gefallen, der wäre mir persönlich ein bisschen zu pathetisch (lacht). Aber vielleicht drücken sich alte Leute so aus. Und er hat ja auch recht. Jerusalem kann unglaublich eindrucksvoll sein, auch wenn man nicht gläubig ist. Von allen Seiten stürmen da auf einen Eindrücke verschiedener Religionen ein. Da läuten die Glocken, da ruft der Muezzin, und dann hört man die Rabbiner laut beten. Das ist teilweise fast ein bisschen lächerlich. Man denkt sich manchmal: Kinder, wozu dieses ganze Brimborium!

Sie haben sowohl am Theater als auch im Film an sehr vielen Projekten mitgewirkt, die sich mit der Shoah beschäftigen. War das Ihr Wunsch, oder ist es Ihnen einfach häufiger angetragen worden?

Es ist mir angetragen worden, ich habe mir das nicht immer gewünscht. Den Film „Babij Jar“, zum Beispiel, über das Massaker der Wehrmacht an den Juden von Kiew in der Schlucht von Babij Jar, den habe ich mir keineswegs gewünscht. Und auch Theaterproduktionen wie „Ghetto“ unter der Regie von Peter Zadek habe ich mir nicht gewünscht. Es war unheimlich anstrengend und hat mir zu schaffen gemacht. Aber es kamen immer weitere Angebote. Man hätte verschweigen müssen, dass man jüdischer Herkunft ist, aber warum sollte ich?

War es auch so bei der ZDF-Produktion: Dass man bei der Rolle des israelischen Anwalts, der gemeinsam mit seiner Frau die Shoah überlebte, sofort an Sie gedacht hat?


Ja, an mich hat man wohl als Erstes gedacht. Aber das Schicksal dieses Mannes, seiner Frau und ihres Kindes hat mich auch sofort interessiert. Dass in dem Film auch ein Mord passiert, schien mir fast nebensächlich. Mich hat dieses Schicksal gepackt.

Der Charakter des Anwalts ist fast der interessanteste im Film, man hätte ihn mehr ins Zentrum der Geschichte rücken können.

Die Widersprüchlichkeit seiner Handlungen ist bemerkenswert. Etwas, das wie Hilfe aussah und auch so gemeint war, wird plötzlich zu einem Verbrechen. Da hat die Romanautorin Batya Gur, nach deren Buch der Film entstanden ist, etwas ganz Wunderbares geschrieben.

Die These des Films scheint zu sein, dass die Geschichte niemals beendet ist, dass einmal begangenes Unrecht immer weiteres Unrecht nach sich zieht. Würden Sie das auch so sehen?


Ja, leider. Es gibt noch so viele Verletzungen. Das betrifft ja nicht nur die Geschichte zwischen Deutschen und Juden, sondern auch die Geschichte zwischen Deutschen und Polen, zwischen Deutschen und Russen. Auch wenn man heute in Frankreich ein bisschen an der Oberfläche kratzt, kommt da einiges wieder hoch. Aber es wächst auch eine neue Generation nach, die damit anders umgeht.

Es gibt eine Szene in dem Film, da schläft der Sohn des Kommissars während seines Heimaturlaubs vom Militär auf der Couch ein. Neben ihm auf dem Tisch liegt wie selbstverständlich sein Gewehr. Empfinden Sie das auch als einen großen Unterschied zwischen Israel und Deutschland, die Militarisierung des Landes?

Ja, natürlich. Dort muss die Waffe neben einem liegen, damit man sofort in den Einsatz kann. Sie müssen bedenken, dass dieses Land sehr klein ist, die Israelis rechnen immer damit, dass ihre Gegner plötzlich vor Tel Aviv stehen. Rein flächenmäßig gesehen, ist Israel ja ein Nichts von einem Land.

Ist das ein Grund, warum Sie sich schließlich entschlossen haben, in Deutschland zu leben?

Nein. Was mich zur Rückkehr bewegt hat, war mein Beruf. Meine Muttersprache ist Deutsch. Ich habe zwar Hebräisch gelernt und auch auf Hebräisch Molière und Shakespeare gespielt, aber in der Muttersprache kann man sich doch anders ausdrücken. Wäre ich vielleicht mit sechs Jahren dorthin gekommen, wäre das kein Problem gewesen. Aber schon mit 15, 16 Jahren ist das etwas anderes. Man macht sich die Sprache nicht mehr zu eigen und bekommt Sehnsucht nach der Muttersprache. Ich kam dann in Berlin an das Theater am Schiffbauerdamm und fühlte mich plötzlich zu Hause, zumindest auf der Bühne. Privat zu Hause aber war ich in Israel – unter diesem Widerspruch leide ich heute noch.

Das Gespräch führte Anna Sauerbrey.


Biografie

Michael Degen wurde am 31. Januar 1932 in Chemnitz geboren. Verfolgt wegen seiner jüdischen Herkunft, überlebte er die Nationalsozialismus in Berlin, mit seiner Mutter Anna bei Freunden versteckt. Sein Vater überstand zwar das Konzentrationslager Sachsenhausen, starb aber kurz nach seiner Freilassung. 1949 emigrierte Degen in den Staat Israel, dessen Staatsbürgerschaft der zuvor Staatenlose erhielt. Nach zwei Jahren Israel kehrte er in die Bundesrepublik zurück.

Karriere. Seine Schauspielausbildung erhielt Degen am Deutschen Theater Berlin. Es folgten Film- und Theaterengagements unter Claude Chabrol, Peter Zadek oder George Tabori. Dazu eine der populärsten TV-Serien der 80er Jahre: „Diese Drombuschs” an der Seite von Witta Pohl. Michael Degens Autobiografie „Nicht alle waren Mörder” (2002) wurde 2006 für die ARD verfilmt.

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