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 Reporter Jan Schulte (Benno Fürmann) wittert einen großen Scoop. Seine Kollegin Britta (Jördis Triebel) ist misstrauisch.

© NDR

Intrigen und Investigation: Printjournalisten als angeschlagene Recherchehelden

„Die vierte Gewalt“: Der Arte-Film zeigt die Widrigkeiten investigativer journalistischer Arbeit.

Der enthüllende Journalist kämpft für nichts als die Wahrheit, ein schreibender Diener aufklärerischer Vernunft. Der rasante Arte-Film „Die vierte Gewalt“ zeigt die Heldendämmerung von heute: Aus der Leitfigur ist eine Leidfigur geworden. Schlecht bezahlt, durch Sparzwang um institutionelle Sicherheit gebracht, ein moderner Sklave, der sich Freier Journalist nennen muss und dem im komplexen Machtbetrieb Moral und Orientierung abhanden kommen. So weit, so schluchz, und, juchhu, zugleich eine prachtvolle Fernsehunterhaltung.

Fangen wir mal von hinten an, wenn wir mit Benno Fürmann, dem Darsteller des Journalisten Jan Schulte auf dessen Recherchepfaden mitgeeilt sind: Was haben wir gesehen? Zunächst: einen perfekt inszenierten (Regie: Brigitte Maria Bertele) und glänzend dialogstarken (Buch: Jochen Bitzer) Film. Die Odyssee einer gefallenen Edelfeder, deren frühsiebziger Haartracht und laute Selbstdarstellung an bessere Zeiten erinnert, an ein Leben mit Geld, Festanstellung und Prestige.

Wir haben erlebt, wie der schreibende Teil der vierten Gewalt sich ziemlich vergeblich wehrt, in die Drittklassigkeit abzusinken. Das zeigt sich weniger an den durch Anzeigenverluste bescheidener gewordenen materiellen Verhältnisse – bei „Borchardt“ wird noch getafelt und beim Herausgeber gibts Champagner zum Schäferstündchen –, es ist auch am mangelnden Respekt des Films für die Printarbeit zu erkennen.

Da wird von schönen Texten geredet, von einfühlsamen Porträts in dem dem „Spiegel“ nachempfundenen fiktiven Wochenblatt „Republik“. Aber nicht ein Mal gewährt der Film einen Eindruck von der Ausdruckskraft dieser gelobten Stücke. Auch Platzdiskussionen, Redigierkunst, der Zeitdruck, der Meinungsstreit, die Ressortkämpfe, die Selbstkritik sind kein Fernsehbild wert. Und niemals ist von Inhalten der Politik die Rede. Wohl nicht unterhaltsam genug.

Dauerlauf zwischen Redaktion und Informanten

Im Film ist der Printjournalist ein im wahrsten Sinne des Wortes Laufbursche. Jan Schulte, der arme Ritter in den Kämpfen um eine Enthüllung, läuft zwischen Redaktion und dem Berliner Gesundheitsministerium hin und her, als entstünde in der Bewegung zwischen Welten aus Glas und Licht und zugleich Heimstätten dunkler Machtgelüste journalistische Wahrheit. Artikel als Ergebnis des Bewegungssports. Schön wär’s ja, so ganz ohne ungesundes Sitzen vor Bildschirmen, die allmähliche Verfertigung von Erkenntnissen durch Dauerlauf zwischen Redaktion und Informanten.

Wider besseres Wissen demontiert der Film einen längst vergangenen Heldenmythos aus längst vergangenen Zeitungszeiten, als es kein Internet gab, kein zunehmendes Desinteresse an politischen Skandalen. Wenn es irgendetwas Wahres gibt an der Diffamierung „Lügenpresse“, Goebbels’ Unwort, dann wäre es die Verklärung des schreibenden Recherchehelden und seiner allmächtigen Feder. Er ist ausgestorben, er wird nicht wiederkommen. Wichtige, aufklärerische Recherche wird heute überwiegend in medienübergreifenden Teams geleistet.

Schulte ist eine Figur aus dem NachWatergate-Zeitalter. Hat mit seiner machtgeilen Kollegin (Jördis Triebel) Sex und zugleich eine keusche Zuneigung zur Abgeordneten Katharina Pflügler (sehr eindrucksvoll: Franziska Weisz). Schulte ist Frauenversteher-Normalo, kein Vergleich mit dem Urhelden aller Journalistenfiguren, Maupassants „Bel Ami“, dem gewissenlosen Aufsteiger-Frauenjäger aus dem Paris des 19. Jahrhunderts.

Der letzte Ritter des Printgewerbes

Enthüllung – wen reißt das noch vom Hocker? Allein der (falsche) Vorwurf, die Gesundheitsministerin (großartig: Victoria Trauttmansdorff) habe über dunkle Kanäle dafür gesorgt, dass ihr Bruder bei der Herztransplantation bevorzugt behandelt wurde, muss der Film zu einem Megaskandal mit der Gefahr von Neuwahlen aufblasen, sonst regte die Geschichte wohl nicht die skandalgewohnte Öffentlichkeit auf.

„Die vierte Gewalt“ beobachtet angeschlagene Ex-Helden. Der Film tut gut daran, moralische Diskurse zu reduzieren, ihnen das Pathos zu nehmen. Wer wie der „Republik“-Herausgeber (wunderbar undurchsichtig: Ulrich Matthes) als Geliebter der Ministerin die heimliche Beziehung verrät und dem Recherche-Star Schulte nicht in den Arm fällt, der kann sich nicht auf das hohe Ross der Moral setzen.

Wer wie Schulte nicht erkennt, dass er sich durch gefälschte Quellen hat täuschen lassen, auch nicht. Politische Wirklichkeit, mediale Kontrolle sind in Wahrheit ein Intriganten-Stadel, das macht der Film klar. Im Kern ist die Pressefreiheit kein Machtkampf zwischen Prinzipien, sondern eine Frage des guten oder des schlechten Charakters.

Diener der Bilder

Dass man vor Begeisterung für ein glänzendes Schauspielerensemble, zu dem gehören Devid Striesow als durchtriebener Ministeriumssprecher und Oliver Masucci als opportunistischer Chefredakteur, nicht zu letzten Erkenntnissen über das Verhältnis von Medien und Politik vorstößt, ist nicht Schwäche, sondern Stärke des Films. Schließlich kommt Journalismus von „Jour“, und das heißt, ach nee, von „Tag“. Da ändert sich alles dauernd. Und gutes Fernsehen kommt von gutem Fernsehen, nicht von lauter letzten Weisheiten.

Übrigens: So schnell wird der Tod des Prints denn doch nicht kommen. Man braucht ihn noch – als Diener der Bilder. In der letzten Szene entwerfen Schulte und die ihm lieb gewordene Abgeordnete Pflüger die Medienwelt neu. Die Ex-Referentin der durch Selbstmord geendeten Gesundheitsministerin hat gerade die Chance ausgeschlagen, deren Nachfolge anzutreten.

Der Schreiber Schulte erkennt die mediale Lage: „Die Menschen kennen jetzt nicht nur deinen Namen, sondern sie kennen auch dein Gesicht und verbinden eine Geschichte damit. Wir bauen dich zur Leitfigur der neuen Generation Ehrlichkeit auf.“

Texte könnten das nicht alleine ohne Bilder, Bilder alleine auch nicht. Da hat er wieder was zum Schreiben, der arme letzte Ritter des Printgewerbes. Aber wo geht es noch um die Inhalte der Politik? Irgendwann später, wenn wir neue Bilder und die dazu passenden Storys haben.

„Die vierte Gewalt“, Arte, Freitag, um 20 Uhr 15

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