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Medien: Je dünner, desto Quote

Keine Fernsehkarriere jenseits der Kleidergröße 38: Was sich Schauspielerinnen in Deutschland alles anhören müssen

38 ist keine gute Zahl im Leben einer Schauspielerin. Ist sie 38 Jahre alt, sollte sie sehr berühmt sein oder das hoffentlich Ersparte gut angelegt haben. Hat sie Kleidergröße 38, sollte sie sich schämen oder eine Agentin haben, die ihr die mehr oder weniger verklausulierten Breitseiten der Branche gegen den vermeintlichen körperlichen Makel schonend übermittelt. Von dem direkten Verweis auf die Vorzüge des Fettabsaugens über die vorsichtige Frage, ob noch „drei, vier Kilo runterkönnen“, bis zu der Ansage, „die ist figürlich zu realistisch, brauchen wir so viel Authentizität an dieser Stelle?“, reicht die Bandbreite der Sadismen, die Regisseure, Redakteure oder Produzenten bei Besetzungsgesprächen absondern. Die Antidiskriminierungsdebatte bleibt im von Irrationalität jedweder Art geprägten Mekka der ungeschützten Berufsbezeichnung, dem Showgeschäft, lustvoll außen vor.

Der branchenübliche Zynismus von – tendenziell selbst eher wenig attraktiven – Entscheidern, steigert sich bei Diskussionen über optische Makel von Schauspielerinnen bisweilen ins Groteske. Da sie es sind, die Rollen, Programme, ja ganze Sender „verkörpern“, wird ihr Körper gewogen und gerne für zu schwer befunden. Dabei mutiert – Jennifer Lopez’ Attraktionsschema zum Trotz – der dicke Hintern zum Super-GAU schlechthin: „Wir haben ein Kistenproblem“, schallt es täglich durch die Hörer der Schauspielagenturen, wenn bei der Kostümprobe der Reißverschluss klemmt.

Was das alles mit Schauspielerei und schauspielerischen Fähigkeiten zu tun hat? Nun: alles und nichts. Nichts im Rahmen von redlichen Produktionen, die dem Primat „Möge die beste Schauspielerin“ gewinnen folgen und von denen es im Übrigen auch weiterhin etliche gibt. Nichts allerdings, wenn es um Kollateralkriterien geht, die sich die Fernsehbranche zunehmend bei verwandten Branchen abguckt: „Möge die beste Vermarktungsplattform gewinnen“ ist das Credo der nach US-amerikanischem Vorbild inszenierten und vom Boulevard gespiegelten Mode-, Musik- , Fernseh- , Werbe- und „Freundin-von“-Industrie, wo die Damen vor allem eines sind: dünn.

Solange in den 90er Jahren noch das Sortierprinzip, nach dem die Guten im Töpfchen der gehobenen Programme, die „Geschöpfe der ,Bild-Zeitung‘“ (Jenny Elvers) hingegen im Kröpfchen schundiger Formate landeten, hielten sich die Sorgen der seriösen Miminnen ebenso in Grenzen wie der Gebrauch von Botox, die Verpflichtung eines Personal Trainers und die Interviews mit der „Bunten“. Im neuen Jahrtausend zerbröselte dann die ohnehin poröse Wand zwischen E- und U-Schauspielerinnen. Die Branche notierte erstaunt und bisweilen erbost, dass „die Ferres jetzt Gedeck-Rollen kriegt“, Jenny Elvers bei Detlev Buck reüssiert und ehemalige Viva-Moderatorinnen in die erste Besetzungsriege aufrückten. Für die Veteraninnen der Degeto-Klasse von Christine Neubauer bis Simone Thomalla schafft das kein gewichtiges Problem. Auch robuste Erfolgskommissarinnen dürfen mit Wohlfühlgewicht weiterermitteln. Aber die Verunsicherung der nächsten Generation wurzelt tief in dem Graben zwischen den Anforderungen einer erfolgssüchtigen Branche und eigenen Überzeugungen; Rike Schmid, 27 Jahre alt, steht seit acht Jahren vor der Kamera und absolviert parallel ihr Studium der Soziologie. Sie wiegt bei 1,78 Körpergröße 64 Kilo. Wo jeder Gesundheitsexperte Hurra schreit, ernten ihre Maße bei vorauseilend besorgten Produzenten schon einmal Stirnrunzeln. Zu ihrem eigenen Ärger, sagt Rike Schmid, müsse sie sich erst einmal vor sich selbst verteidigen: „Ich sage mir mantramäßig, ich bin, was ich bin, ich kann, was ich kann, wem das nicht reicht, der soll nach Hause gehen.“ Aber auch Schauspielerinnen wollen mal „nach Hause gehen“ und so etwas Unerhörtes tun wie Kinderkriegen zum Beispiel. Und das vielleicht, ohne im Heidi-Klum-Tempo wieder abzuspecken. Julia Jäger, Mutter von zweijährigen Zwillingen, weiß von den Anfragen nach der Geburt, wo man sich erkundigte: „Wie dick ist denn Frau Jäger jetzt?“ Es scheint, seufzt sie, als gelte: „Je dünner, desto Quote.“ Die vielbeschäftigte Elena Uhlig, die für ihre Rolle in dem Film mit dem programmatischen Titel „Problemzone Mann“ erheblich zu- und wieder abnahm, möchte sich vorbehalten, das ihrem jeweiligen Lebensgefühl entsprechende Gewicht zu haben, aber auch sie stellt fest: „Ich merke, ich habe Schiss, wieder zuzunehmen.“ Wie viele andere möchte sie den „Cinderellazauber“ der wunderschönen Frau als Option, nicht aber als Prämisse bespielen und vor allem „dem offiziellen Diktat nicht auch in den Rollen unterliegen, die etwas ganz anderes zu erzählen haben“.

Wer häufig mit Schauspielerinnen essen geht, sieht, wie oft sie „grad mal keinen Hunger haben“. Die Außensicht infiziert das Selbstverständnis, davon bleiben selbst die Besten nicht verschont. Auch sie wissen von den Besetzungsgesprächen, wo Redakteure die Reiselektüre „Bunte“ und „Gala“ auf den Tisch blättern und „spontan“ eine der jungen Damen vorschlagen, die auf den Partyseiten eine gute Figur machen. Diese wiederum werden von Designern ausgestattet, deren Kleider ab Größe 36 nicht mehr verfügbar sind. Das hat sich bis ins Grundschulalter herumgesprochen. Maria Schwarz, Inhaberin einer Agentur für Jungschauspieler, berichtet von zahlreichen Schreiben, in denen Teenager fragen, ob sie denn eine Chance als Schauspielerin hätten, obwohl sie „dick“ seien. Allzu viel Hoffnung kann sie ihnen in Kenntnis des Marktes nicht machen.

Es hat sich eine gleichsam soapgesellschaftliche Erwartung breitgemacht, nach deren Logik es keine Karriere diesseits der Kleidergröße 38 gibt. Das medial omnipräsente Bild der eierlegenden Wollmilchfrau, die schön, präsent, begabt und dünn ist, wandelt das Berufsbild der Schauspielerin, das mit den Pfunden seiner Protagonistinnen auch an eigenem Gewicht, an Substanz verliert. Die Casterin Anja Dihrberg beobachtet den Siegeszug eines „Gefälligkeitsschemas“ und konstatiert: „Auch an den Schauspielschulen kann man beobachten, dass ein sehr einförmiges Modell herangezüchtet wird.“ Bleibt die Frage, in wessen Namen. Die Publikumsgunst steigt sicher nicht proportional zum sinkenden Gewicht der Protagonistinnen. Und die Werbebranche feiert im Rahmen von Kampagnen mit molligen Models wie der „Dove Initiative für wahre Schönheit“ überaus erfolgreich die Tatsache, dass mehr Körperfülle auch einen höheren Cremeverbrauch bedeutet.

Schauspielerei ist kein normaler Beruf, man muss wahnsinnig sein, um ihn ausüben zu wollen; aber nicht wahnsinnig dünn, um ihn ausüben zu dürfen.

Heike-Melba Fendel ist Inhaberin der Entertainment-Agentur Barbarella.

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