zum Hauptinhalt
Schauspieler Jörg Hartmann.

© dpa

Jörg Hartmann im Porträt: Glück auf gerader Linie

Böse und gut: Jörg Hartmann spielt den Stasi-Offizier in „Weissensee“ und den Kommissar im neuen „Tatort“ aus Dortmund - und will Jürgen Klopp als Fan gewinnen.

An einem sehr frühen Morgen klingelte der Osten an Jörg Hartmanns Tür. Er wollte gerade aufstehen, um ins Krankenhaus zu gehen, wo er seinen Zivildienst leistete. Als er die Tür öffnete, sagte der Osten im breiten Sächsisch zu ihm: „Nu hallo, mir sin’s, mir woll’n ’nübermachen. Gönn’ mir bei dir wohn’?“

Es war das Jahr 1990, die Mauer offen, Jörg Hartmann lebte noch in der Wohnung seiner Eltern im westdeutschen Herdecke. Vor ihm stand ein junger Mann, den er ein paar Jahre zuvor am Balaton kennengelernt hatte. Damals war er mit seiner Handballmannschaft in Ungarn gewesen und hatte dort einen Abend mit einigen Jungs aus Zwickau verbracht. Und einer von ihnen wollte nun mit seiner Freundin im Ruhrpott ein neues Leben beginnen und bei ihm einziehen. „Mich hat das zuerst gewurmt, weil ich dachte: Mensch, ihr habt dort eine Chance, etwas Neues aufzubauen, und jetzt haut ihr einfach ab“, erzählt Jörg Hartmann.

Aber das Paar aus Zwickau war entschlossen, drei Wochen wohnte es bei ihm, dann fand es eine eigene Bleibe, Arbeit und ein neues Zuhause. Die beiden wohnen heute noch in Herdecke, Jörg Hartmann dagegen verließ einige Zeit später den Ruhrpott in die Richtung, aus der das Paar gekommen war. „Ich bin zwar Wessi, aber der Osten ist mir sehr vertraut“, sagt er. „Mein erstes Theater war in Thüringen, meine Frau ist aus Leipzig, ich lebe seit neun Jahren in Potsdam. Da hofft man, dass man dann so ein Gefühl aufschnappen, eine Ahnung davon bekommen kann, wie es damals war.“

Vor zwei Jahren spielte er Falk Kupfer, einen linientreuen Stasi-Major in der ARD-Fernsehserie „Weissensee“. Dafür bekam Jörg Hartmann den Deutschen Fernsehpreis als bester Schauspieler. „Weissensee“ erzählt vom Leben zweier unterschiedlicher Familien im Ost-Berlin der 80er Jahre. Falk Kupfer, der in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, verteidigt das Land im Dienst der Staatssicherheit. Er ist überzeugt davon, das Richtige zu tun, seine Verhörmethoden sind effektiv und skrupellos. Im gebügelten Hemd und mit Seitenscheitelfrisur kommt er wie ein braver Schüler daher, der glaubt, das Gute zu wollen, aber oft nur das Böse schafft. Er kauft seiner Frau ein Wasserbett, um ihr danach eine Ohrfeige zu verpassen. Er buhlt um die Anerkennung seines Vaters und verliert doch dessen Liebe. Falk Kupfer hat Angst zu versagen und schürt mit seiner Strenge die Angst vor ihm selbst. Jörg Hartmann hatte sich auf seine Rolle gut vorbereitet. Er recherchierte bei der Birthler-Behörde, las Arbeiten über Erstvernehmungstaktiken, schaute sich Videos an. Er sagt: „Man trägt eine Verantwortung gegenüber beiden Seiten, den Tätern und vor allem aber den Opfern. Mein Ziel ist es, die Gratwanderung hinzukriegen, dass der Zuschauer meine Figur in einem Moment verdammt, aber trotzdem mit ihr mitgehen kann. Dass sie einem vielleicht sogar leidtut. Denn wenn das nicht so wäre, würde man Falk Kupfer als Person einfach nur abschreiben.“

Mittlerweile ist die zweite Staffel von „Weissensee“ abgedreht, die im Herbst 2013 ausgestrahlt werden soll. Jörg Hartmann kann sich noch nicht richtig von seiner Rolle trennen. Er sitzt in einem Charlottenburger Café, gelassen nippt er an seinem Wasserglas, er ist offen, gut gelaunt und witzig. Strubbeliges Haar, Dreitagebart, Sommersprossen – nichts an ihm erinnert gerade an seine Rolle des akkuraten Technokraten. Aber in seinem Kopf kreisen noch die Filmszenen und die Frage, ob das wirklich alles hingehauen hat, die Figur glaubwürdig geblieben ist? Er weiß, dass es komisch wirkt, weil längst alles im Kasten ist, aber er hängt nun einmal an der Figur, wie eine Mutter an ihrem Baby. Mit dieser Rolle hat er im Deutschen Fernsehen ein Gesicht bekommen. „Für ,Weissensee’ schlägt mein Herz“, sagt er.

"Mach einfach immer nur das, was du verantworten kannst"

1969 wurde Jörg Hartmann geboren und wuchs in Herdecke, der „Stadt zwischen den Ruhrseen“ auf. Anfangs war er ein schüchterner Junge, der lieber malte, statt zu reden. Aber irgendwann, „von einem Tag auf den anderen“, kippte seine Stimmung. Er wurde ein Klassenclown, alberte herum, wollte cool sein, um damit seine Pubertät zu verstecken. An der Realschule gab es eine Theater-AG, die er zunächst mied, weil er von den Mädchen ernst genommen werden wollte. Er dachte: Wenn ich schon der Klassenkasper bin, dann muss ich nicht noch auf die Bühne. Er entschied sich für die Koch-AG. Darüber muss er heute noch lachen. Seine Deutschlehrerin sagte: „Du spinnst wohl, was willst du denn beim Kochen, du kommst zum Theater.“ Damit begann sein Weg: Kabarett am Gymnasium, Laientheater in Herdecke, Schauspielstudium in Stuttgart, Theaterengagements in Meiningen, Mannheim und an der Berliner Schaubühne. Erst vor zwei Jahren hat er entschlossen, als freier Schauspieler weiterzuarbeiten.

Sein Werdegang ähnelt einer Geraden. Keine Krümmungen, keine Abstiege. Man könnte das Glück nennen oder aber auch Mut. Jörg Hartmann hat die Gerade oft verlassen wollen, hat Engagements gekündigt und damit freiwillig der Sicherheit. Aber immer bot sich sofort etwas Neues, Rollen und Aufträge, die ihn zurück auf seine Linie brachten. „Ich hatte nie eine große Krise“, erzählt er. „Ich habe immer an mich geglaubt und wusste, das wird schon schiefgehen. Das ist so eine Art Urvertrauen, das bisher auch gut funktioniert hat.“ Er nennt es: Veränderung durch Loslassen. Als er Mannheim und seinem Theater den Rücken kehrte, um nach Berlin zu ziehen, rief ihn die Regisseurin Barbara Frey an und holte ihn an die Schaubühne. Unter dem Intendanten Thomas Ostermeier spielte er dort erfolgreich und 280-mal den Torwald Helmer in Ibsens Drama „Nora“. Diese Rolle war eine von jenen, über die er sagt, dass sie ihn wie einen Sog weggetragen haben. „Es ist so, als würde man ICE-Surfing machen. Man springt auf einen Zug und pest mit einer enormen Geschwindigkeit durch das Spiel.“ Nach zehn Jahren entschied er sich, das Ensemble zu verlassen. Er wollte Filme drehen und mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen. Mit 20 bis 25 Theaterabenden im Monat war er so gut wie nie zu Hause. Im Anschluss erhielt er sofort das Angebot für „Weissensee“. Jörg Hartmann sagt über sich, dass er ein Optimist sei. Man kann ihn sich gut vorstellen, wie er Kreuzworträtsel mit dem Kugelschreiber ausfüllt.

Einmal ist er während seines Studiums nach München gefahren, an die Kammerspiele. Er wollte dort gestandene Theaterleute treffen, ihnen vorsprechen und sich eine Meinung einholen. So traf er auf Rolf Boysen, der schon unter Fritz Kortner seine Erfolge feierte. Der Schauspieler hatte zwar keine Zeit für ihn, gab ihm aber einen Rat mit auf den Weg: „Mach einfach immer nur das, was du verantworten kannst.“ Jörg Hartmann versucht seitdem, diesem Prinzip zu folgen. Es bedeutet für ihn zweierlei: Spiele deine Rolle so, dass sie zu dir passt. Und wähle sie auch danach aus.

Im März beginnen die Dreharbeiten für den neuen „Tatort“ aus Dortmund. Jörg Hartmann spielt darin den Kommissar Peter Faber, eine Rolle, die ihm sofort zugesagt hat. Mit ihr kehrt er zurück in seine alte Heimat, Dortmund liegt 13 Kilometer Luftlinie von seinem Elternhaus entfernt. Faber ist ein Typ, der versucht, die Täterpsyche zu begreifen und der dafür selbst in die Unterwelt eintaucht. Jörg Hartmann sagt über den Kommissar: „Er wird nicht der Liebling der Schwiegermütter sein. Er ist kantig und eckig. Mich interessiert an ihm, was der Job mit ihm macht. Wie ist das, wenn man ständig in Abgründe schaut? Schaut dann irgendwann der Abgrund zurück in einen selbst?“

Er will seine Figur langsam entwickeln und auf gängige Klischees verzichten. Er hofft, dass der Ermittler für die Stadt Dortmund eine Art Identifikationsfigur sein kann, so wie es Schimanski damals für Duisburg war. In einer Zeit, in der in einer Region alles verschwindet, was einmal wichtig für sie war – Stahl, Bier und Kohle –, ist so ein „Tatort“ neben dem Fußballmeistertitel wie ein Geschenk, meint Jörg Hartmann. Und übermütig inszeniert er ein Bild, das ihm gefallen würde: Ein Public Viewing mit „Tatort“-Fans auf dem Dortmunder Borsigplatz mit Klopp & Co.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false