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Presse im Irak

© dpa

Journalisten im Irak: Todesursache? Die Wahrheit

Im Irak sind bereits 106 Journalisten gestorben. Darunter waren 84 Iraker. Denn sie stehen am meisten in der Schusslinie – wie Sahar al Haidiri.

Sahar al Haidiri musste sterben, weil sie Journalistin war. Eine irakische Journalistin, die es wagte, Fragen zu stellen. Und die jenen Irakern eine Stimme gab, die nicht stumm zusehen wollen, wie ihr Land in Gewalt versinkt und von selbsternannten Gotteskämpfern übernommen wird. Haidiri, 45, berichtete für irakische und internationale Medien aus ihrer Heimatstadt Mosul, die nach Bagdad als zweitgefährlichste Stadt im Irak für Journalisten gilt. 17 Reportagen hat sie für das britische "Institute for War and Peace Reporting“ (IWPR) geschrieben, wo die gebürtige Bagdaderin seit Mai 2005 an mehreren Journalismuskursen teilgenommen hatte. Geschichten, die einen seltenen Einblick gaben in die Abgründe des täglichen Wahnsinns im Irak.

Haidiri berichtete, obwohl ihr Name auf Todeslisten stand, obwohl sie bereits einmal entführt worden war und nur knapp entkam, weil sie sich geistesgegenwärtig aus dem Auto fallen ließ, als ein US-Konvoi vorbeifuhr. Als am 7. Juni mehrere Männer mit Maschinenpistolen auf sie warteten, in dem Moment, als sie ihr Haus in Mosul verließ, war kein Konvoi in der Nähe, keine Polizeistreife. Sahar al Haidiri starb allein. Ihre Familie hatte sie zuvor nach Syrien in Sicherheit gebracht. Jene, die sich zum Mord an ihr bekannten, die Terrorgruppe Ansar al Sunna, beschuldigten die Journalistin, „die Wahrheit“ über die Mudschaheddin, wie sich die selbsternannten Gotteskämpfer nennen, „verzerrt“ zu haben.

In der Schusslinie sind vor allem irakische Journalisten

Die Wahrheit: Sahar al Haidiri hat früh und immer wieder darüber berichtet, wie Extremisten in ihrer Heimatstadt schrittweise die Macht übernehmen. Sie ging dorthin, wohin sich längst kein ausländischer Journalist mehr traute – auf die Straßen von Mosul, in die Läden und Restaurants, zu den Menschen. Sie berichtete aus Schulen, wo Lehrerinnen vor den Augen ihrer Schülerinnen ermordet worden waren, aus der Pathologie, wo der Chefarzt eines Tages seinen eigenen Sohn vor sich auf dem Obduktionstisch hatte.

Der Tod von Sahar al Haidiri rückt eine häufig übersehene Schieflage ins Bild: Wenn hierzulande von der Gefahr für Journalisten im Irak die Rede ist, geht es meist darum, dass ausländische Medien praktisch nicht mehr im Land arbeiten können. In der Schusslinie stehen aber vor allem die irakischen Journalisten.

106 tote Journalisten, darunter 84 Iraker

106 Journalisten zählt das in New York angesiedelte Committee to Protect Journalists (CPJ) in der Todesstatistik für den Irak seit März 2003. Von den 106 Journalisten waren 84 Iraker. Erst am Mittwoch dieser Woche wurde in Bagdad der geschäftsführende Redakteur der größten Tageszeitung „Al Sabah“ entführt. Die Statistik unterscheidet außerdem nach Todesarten: 69 der getöteten Journalisten wurden wie Sahar Al Haidiri gezielt ermordet. Insgesamt 80 der Opfer werden den „insurgents“ zugeschrieben, den verschiedenen bewaffneten Gruppen und Milizen im Irak.

IWPR-Reporter Yassin al Duleimi, 36, etwa starb am 30. Dezember 2006 im schiitischen Stadtteil Kadhimiya von Bagdad, als eine gegen einen US-Konvoi gerichtete Bombe von sunnitischen Extremisten explodierte. Ironie des Schicksals: Duleimi war selbst Sunnit, aus Ramadi, zweimal war sein Haus vom US-Militär bis in die letzte Schublade durchsucht worden. Trotzdem versuchte er weiterhin so objektiv wie möglich zu berichten, wollte sich für keine Seite einspannen lassen, weder für noch gegen die Amerikaner. Aus Sicht der Bombenleger war sein Tod damit bereits mehr als gerechtfertigt.

14 Journalisten starben durch US-Manöver

14 der 106 im Irak getöteten Journalisten starben durch „U.S. fire“; ob gezielt oder versehentlich, wird in manchen Fällen noch untersucht, wird sich aber oft niemals ganz klären lassen. Wie bei dem Reporter Kamal Manahi Anbar, 28, der am 26. März 2006 starb, als er in eine Razzia geriet, bei der US- und irakische Armee gemeinsam eine Moschee stürmten, in der sie ein Terroristenversteck vermuteten. Kamal hatte an jenem Tag ein Interview mit dem Imam der Moschee führen wollen. Zwei Kugeln streckten ihn nieder. Gezielte Schüsse? Ein Versehen? Die Frage wurde nie geklärt.

Sahar al Haidiri hinterlässt vier Töchter: Dua, 18, Ala, 17, Omniya, 15, und Rifqa, 12.

Yassin al Duleimis Sohn Mustafa war ein Jahr alt, als sein Vater starb.

Kamal Anbars Frau war zum Zeitpunkt seines Todes im dritten Monat schwanger.

www.iwpr.net

(Link „Give to IWPR“)

Susanne Fischer

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