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In eigener Sache berichtete die „Washington Post“ vor einem Jahr über den bevorstehenden Verkauf an Jeff Bezos. Der Amazon-Gründer pumpte frisches Geld in die US-Hauptstadtzeitung und schuf damit 50 neue Stellen. Foto: AFP

© AFP

Journalistisches Versuchslabor: Ein Jahr "Washington Post" mit Jeff Bezos

Vor einem Jahr überraschte Jeff Bezos die Medienwelt, als er die „Washington Post“ für 250 Millionen Dollar kaufte. Ein Patentrezept zur Rettung der Zeitung hat zwar auch der Amazon-Chef nicht. Die Aufbruchstimmung ist dennoch spürbar.

Es gibt sie noch: Zeitungsredakteure, die sich nicht beklagen. Als „aufregendste Arbeitsstätte im Journalismus“ bezeichnete Chris Cillizza, Aushängeschild der „Washington Post“-Nachrichtenredaktion, kürzlich das traditionsreiche Blatt. Nun neigt der hyperaktive Cillizza, unter Polit-Junkies als „Fix“ bekannt, zu Übertreibungen – wie ein Blick auf die Stakkato-Mitteilungen zeigt, die er regelmäßig über den Internetdienst Twitter absondert. Aber auch Paul Farhi, der stets besonnen wirkende Medienredakteur des US-amerikanischen Hauptstadtblattes, sagt im Gespräch: „Die Arbeitsmoral ist stark gestiegen.“ Jahrelang sei die Redaktion in Sorge um den Abbau von Arbeitsplätzen gewesen, sagt Farhi. „Nun geht das Gefühl um, dass der Aufschwung hier ist.“

Jeff Bezos hat den Stimmungswandel eingeläutet

Verantwortlich für diesen Stimmungswandel ist einer der reichsten Menschen dieser Welt: Jeff Bezos, 50 Jahre alt, Gründer des Internet-Warenhauses Amazon und Multimilliardär. Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ sagt, sein Vermögen belaufe sich auf mehr als 29 Milliarden Dollar. Aufgrund des fluktuierenden Kurses der Amazon-Aktie sind diese Schätzungen aber mit Vorsicht zu genießen. Bezos ist seit Oktober 2013 Besitzer der „Washington Post“. Als die Transaktion, Ablösesumme: 250 Millionen Dollar, vor ziemlich genau einem Jahr publik gemacht wurde, sorgte dies weltweit für Schlagzeilen. Denn zuvor hatte sich der innovative Unternehmer nicht allzu sehr für das Wohlergehen der „Alten Medien“ interessiert – auch weil Bezos mit dem rasanten Ausbau von Amazon alle Hände voll zu tun hatte.

Einige Monate später liegen die Motive des spätgeborenen Pressebarons jedoch immer noch im Dunkeln, jedenfalls in den Augen von Medienjournalisten. Vielleicht sehe es Bezos als seine Bürgerpflicht an, eine Ikone zu retten, schrieb der angesehene Autor George Packer zu Jahresbeginn im Intellektuellenmagazin „The New Yorker“. Bekanntermaßen gilt die „Post“ seit den siebziger Jahren, als das dynamische Duo Bob Woodward und Carl Bernstein dem damaligen Bewohner des Weißen Hauses Richard Nixon das Handwerk legte, in der US-Hauptstadt als führende Stimme in der Kakofonie der Meinungen. Nein, falsch, machte der Journalismus-Professor Steve Coll einige Wochen später in der Kulturzeitschrift „The New York Review of Books“ publik: Bezos hoffe vielmehr, mit der „Post“ das Fundament für eine „digitale Zeitung“ zu legen, die rund um die Welt konsumiert werden könne – vorzugsweise auf dem Kindle, dem Tablet-Computer aus dem Hause Amazon.

Die "Post" hat keine "globalen Ambitionen"

Unsinn, sagt ein Mann, der es wissen muss: Martin „Marty“ Baron, „Post“-Chefredakteur („Executive Editor“) seit Anfang 2013, und nun Befehlsempfänger von Jeff Bezos. Seine Zeitung hege derzeit keine „globalen“ Ambitionen. Vielmehr konzentriere sich die Redaktion darauf, „landesweit ein möglichst breites Publikum anzusprechen“ und neue Leserinnen und Leser zu gewinnen, sagt Baron in einem schriftlich geführten Interview. Diese Expansion sei schwierig genug, angesichts der rasanten Veränderungen in der Medienbranche.

In der Tat hat das Hauptstadtblatt in den vergangenen Jahren rasant Leser verloren. Allein zwischen März 2012 und März 2014 brach die „Post“-Auflage unter der Woche um fast 15 Prozent ein, von 507 615 auf 435 155 Exemplare , darin sind 35 398 digitalen Abos eingerechnet. Im Internet gilt die „Post“ zwar als eine der führenden Informationsquellen in den USA, mit angeblich 47 Millionen Zugriffen pro Monat, wie die Marktforschungsgesellschaft eBizMBA herausgefunden haben will. Aber der Einnahmeeinbruch im traditionellen Printgeschäft lässt sich auch mit solch stolzen Zahlen nicht wettmachen. So schrieb die „Post“ im zweiten Quartal 2013, den letzten drei Monaten unter dem alten, börsennotierten Eigentümer, einen Verlust von 15 Millionen Dollar.

Anzunehmen ist, dass sich das Loch in der Kasse zwischenzeitlich noch vergrößert hat. Denn der neue Eigentümer pumpt frisches Geld in seine Zeitung. Mehr als 50 neue Stellen wurden in den vergangenen Monaten geschaffen, die meisten davon in der Redaktion. „Damit ist die ,Washington Post‘ eine der wenigen Zeitungen, die neue Journalisten anstellt“, sagt der profilierte Medienjournalist Jim Romenesko. Und dies zahle sich aus, wirke die „Post“ doch selbstbewusster als in den Jahren zuvor. Die Höhe dieser Investitionsspritze ist allerdings geheim, da die Geschäftszahlen der „Post“ seit dem Verkauf an Jeff Bezos unter Verschluss gehalten werden, wie Sprecherin Kris Coratti Kelly sagt.

Chefredakteur Baron räumt ein, dass sein Blatt derzeit von seinem spendierfreudigen Eigentümer profitiere. Denn Bezos bringe nicht nur Kapital ein, sondern auch „Ideen, Fragen und Anregungen“. Davon könne die Redaktion derzeit nicht genug kriegen, auch wenn direkte Gespräche mit Bezos – aufgrund dessen anderweitigen Verpflichtungen – bloß zweimal pro Monat stattfänden. Baron: „Er ermutigt uns, zu experimentieren“, um den Geschmack der Leser zu treffen, ohne dabei journalistische Grundwerte aufs Spiel zu setzen. Es gibt bisher keine Anzeichen darauf, dass der neue Besitzer Einfluss auf die Berichterstattung über Amazon nimmt. Im Gegenteil, sagt Medienredakteur Farhi. Für die „Washington Post“ sei es ähnlich schwer wie für andere Zeitungen, eine Stellungnahme des Internet-Warenhauses zu erhalten.

Aufgrund dieser Experimentierfreude gleicht die „Post“ – insbesondere im Internet – einem Labor. Baron: „Wir probieren viel aus, innerhalb kurzer Zeit.“ Ein Beispiel: „Storyline“ ist ein neuartiger Zugang, um die Auswirkungen von politischen Entscheiden auf Normalbürger zu beschreiben. Dem verantwortlichen Redakteur Jim Tankersley – ein klingender Name in Washington – steht ein Team mit vier Reportern, einem Videojournalisten und einem Grafiker zur Verfügung. Die bisher publizierten Artikel erzählen, unterlegt mit bewegten Bildern, warum ein junges Paar aus Missouri es sich nicht leisten kann, Kinder zu kriegen, oder warum höhere Verkaufszahlen für schwere Pick-ups gleichbedeutend mit guten Nachrichten für die Volkswirtschaft sind.

Bislang war die "Post" mit Experimenten eher zurückhaltend

Ausgesprochen innovativ sind diese ersten Gehversuche nicht; andere Publikationen, von der „New York Times“ über das „Wall Street Journal“ bis hin zu interaktiven Angeboten wie „Vox“ experimentieren schon lange mit modernen journalistischen Erzählformen. Andererseits bereichert „Storyline“ das bisherige Angebot der „Washington Post“, die in den vergangenen Jahren den Fehler begangen hatte, sich zu stark auf das politische Geschehen in der Hauptstadt zu konzentrieren.

Der Chefredakteur zeigt sich deshalb hochzufrieden über die Neuerungen der „Post“: Alles, was sein Team bisher angepackt habe, „ist erfolgreich“, sagt er. Ob sein oberster Vorgesetzter dies auch so sieht, bleibt vorerst offen. Er mache sich keine falschen Vorstellungen, sagte Baron jüngst im Gespräch mit der „Huffington Post“. Bald einmal komme das Ende der Flitterwochen, und Bezos werde „greifbare Resultate“ sehen wollen. „Denn sind wir kein Hilfswerk.“

Renzo Ruf

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