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KONTRASTE

© RBB/Lammel

Jubiläum: Drei Nächte in 1:30

„Kontraste“ wird 40 und will sich auch in Zeiten des Häppchenjournalismus den kritischen Ansatz bewahren. Die Verknappung der Sendezeit auf 30 Minuten führt ab und an zur Atemlosigkeit.

Was Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue am Freitagabend vorhat, ist nicht bekannt. Vermutlich wird sie nicht im Studio des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB) vorbeischauen. Dort feiert das Team des ARD-Magazins „Kontraste“ zusammen mit Prominenten aus Politik und Gesellschaft den 40. Geburtstag des Politmagazins. Zum Anstoßen ist von der Aue wohl eher nicht zumute, nachdem die Justizsenatorin im vergangenen Jahr stark unter Beschuss geraten war. Im Berliner Gefängnis Plötzensee mussten die Zellengitter ausgetauscht werden – „Kontraste“ hatte über haarsträubende Verhältnisse und Drogenschmuggel rund um die Berliner Haftanstalt berichtet.

Nächtelang legten sich Kamerateams auf die Lauer, um zu filmen, wie Schmuggelpäckchen über die Mauern flogen. „Das war sehr, sehr aufregend“, sagt Redaktionsleiter Reinhard Borgmann. Der Beitrag löste 2007 eine politische Lawine in der Hauptstadt aus, mitten hinein in eine Mediendebatte über Sendedauer, Sinn und Zukunft der politischen Magazine in der ARD. Neben „Kontraste“ waren auch „Panorama“, „Monitor“, „Fakt“ und „Report“ von der jüngsten Programmreform im Ersten betroffen, die Magazine wurden wegen der Vorverlegung der „Tagesthemen“ auf 22 Uhr 15 von 45 auf 30 Minuten gekürzt.

Ein Drittel Sendezeit weniger. 30 Minuten – das wäre vor 40 Jahren undenkbar gewesen. Am 18. Januar 1968 ging „Kontraste“ erstmals auf Sendung, damals noch beim Sender Freies Berlin (SFB), dem Vorläufer des RBB. Das Magazin, moderiert von Chefredakteur Peter Pechel, sollte ausschließlich über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im damaligen Ostblock informieren. Erste Höhepunkte: ein Interview mit Vizekanzler und Außenminister Willy Brandt und Hintergründe zum Prager Frühling. Später drehte „Kontraste“ als erstes westdeutsches Magazin in China, berichtete über die Solidarnosc-Bewegung in Polen und in den 80er Jahren über Rechtsextremismus und Umweltverschmutzung in der DDR. Bilder, die dort heimlich gedreht wurden. „Unsere Kontaktleute von ,drüben‘ waren journalistische Laien, denen wir gezeigt hatten, wie man eine Kamera hält“, erinnert sich Jürgen Engert, der ab 1987 über zehn Jahre „Kontraste“-Moderator war. Die Risikobereitschaft dieser Mitarbeiter beeindruckt Engert noch heute.

Engert war das prägende Gesicht von „Kontraste“. Mit seiner markanten, großen Hornbrille wird der ehemalige Moderator noch immer auf der Straße erkannt. Ähnlich wie WDR-Mann Klaus Bednarz („Monitor“) gilt Engert als Aushängeschild des politischen Fernsehjournalismus. Er kam 1954 mit 18 Jahren von Dresden nach West-Berlin und blieb zeit seines Lebens dort. Er berichtete für ein Boulevardblatt, dann für den SFB, wurde dessen Fernseh-Chefredakteur und baute später als Gründungsdirektor das ARD-Hauptstadtstudio mit auf. Wenn man den Wahlberliner, der an diesem Donnerstag sinnigerweise auch Geburtstag hat und 71 Jahre alt wird, fragt, was ihm denn in „1:30“ zu „Kontraste“ einfällt, wird er etwas nachdenklich. „Ich habe natürlich eine gewisse Emotionalität gegenüber dem Produkt, die jüngste Entwicklung aus der Ferne verfolgt und manchmal auch Fragezeichen gesetzt.“ Das Magazin habe sich sehr verändert, wie vieles andere in der ARD.

Und das nicht nur wegen der Reduzierung auf 30 Minuten, die zur Verknappung und manchmal Atemlosigkeit zwingt, wie Silke Böschen, aktuelle „Kontraste“-Moderatorin, zugibt. Häppchenjournalismus, An- und Abmoderationen in „1:30“ (90 Sekunden), kurz, ein anderer Magazinstil haben in der Medienlandschaft, vor allem bei den privaten Sendern, Einzug gefunden, teilweise auch bei der ZDF-Konkurrenz mit „Frontal 21“. Das Credo aus Engerts Zeiten wolle man sich bei „Kontraste“ aber – trotz zunehmender Klagebereitschaft vieler Betroffener – nicht kaputt machen lassen: Dinge in Frage stellen, Vorurteile wegrecherchieren, ergebnisoffen sein, „im schönsten angelsächsischen Sinne unparteiisch“, so Petra Lidschreiber, Moderatorin von 1999 bis 2006 und Chefredakteurin Fernsehen (1997 bis 2006).

Mit der Maueröffnung und dem Verschwinden des Ostblocks haben sich auch die Schwerpunkte innerhalb der Magazinlandschaft verlagert. „Wir sind nicht mehr auf Alleinstellung aus“, sagt Borgmann. Man ginge „von den Themen aus“, wobei es schon mal vorkommen kann, dass die spannendsten und aktuellsten Geschichten wie die zur Jugendgewalt kurzfristig aus dem Programm gekippt werden müssen, weil sie schon eine andere Redaktion vor „Kontraste“ behandelt hat. Unter den sechs ARD-Politmagazinen rangiert das Berliner Format alle drei Wochen mit rund drei Millionen Zuschauern auf Platz drei beim Zuspruch. Die Marktanteile sind 2007 etwas zurückgegangen von 10,3 auf 10,1 Prozent.

Quoten, Marktanteile, Programmreformen. Dinge, mit denen sich Polit-Mann Engert nicht allzu viel herumschlagen musste. Vielleicht bleibt oder wird das ja wieder so mit dem baldigen ARD-Programmdirektor Volker Herres und einer im Raum stehenden erneuten Reform im ARD-Abendprogramm – angesichts der Ausrufezeichen, die „Kontraste“ gesetzt hat. Da wären neben dem Drogenhandel in Plötzensee die Themen Doping, Berliner Banken- und CDU-Spendenaffäre oder das „Mykonos“-Attentat. Im brandenburgischen Rathenow rief der Bürgermeister wegen eines kritischen Berichts in Sachen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit zu einer Demo gegen „Kontraste“ auf. „Das Politische hat nicht mehr diesen Stellenwert“, sagt Jürgen Engert auch zu 40 Jahren „Kontraste“. Wäre schön, wenn er sich irrt.

„Kontraste“, ARD, 21 Uhr 45; am Freitag die „Lange Kontraste-Nacht“, RBB, ab 0 Uhr

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