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Nur echt mit Cordhütchen. Der Kabarettist Frank-Markus Barwasser kommt mit seiner Kunstfigur Erwin Pelzig zum ZDF-Kabarett. Vorgänger Georg Schramm freut sich auf Pelzigs „Quälpotenzial“, das Anstaltsleiter Urban Priol zu spüren bekommen wird.

© ZDF

Kabarett im ZDF: Pelz auf der Zunge

Neues aus der Anstalt - im wahrsten Sinne des Wortes: Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig zieht in die "Anstalt" ein. Das passt, denn wo geht es irrwitziger zu als im ZDF?

Das Erste hält sich dreierlei fürs Scherzemachen: 1. Harald Schmidt, 2. „Satire Gipfel“, 3. „Aufgemerkt: Pelzig unterhält sich“. Harald Schmidt ist der Kim Jong Il des deutschen Humorfernsehens. Was das denn heißen soll? Gegenfrage: Wie viele intelligente Witze kennen Sie vom nordkoreanischen Diktator? Der „Satire Gipfel“ ist der quälende Versuch, eine vormalige Dieter-Hildebrandt-Sendung ohne Dieter Hildebrandt fortzusetzen. „Aufgemerkt! Pelzig unterhält sich“ läuft wie „Harald Schmidt“ und „Satire Gipfel“ immer und damit irgendwann am Donnerstag in der ARD.

In diesem Umfeld ist für Frank-Markus Barwasser alias „Pelzig unterhält sich“ nichts zu gewinnen, zumal sein Talk-Satire-Solo mit beigestellten Gästen zunehmend überdehnt wirkt. Jetzt ist die Rettung da: Barwasser, 50, wechselt von Bayerischem Rundfunk und ARD zum ZDF. Urban Priol und Georg Schramm hatten längst ein Auge auf ihn geworfen, auf dass der 50-jährige Würzburger als zweite Stammgröße neben Priol, 49 und aus Aschaffenburg, in „Neues aus der Anstalt“ auftauche. Schramm, 61, hat sich von der ZDF-Sendung verabschiedet, er will mehr Zeit für Bühnenprogramme im Soloformat haben. In Schramms ZDF-Adieu am 8. Juni war Barwasser Gast, mehrfach hat er bei „Neues aus der Anstalt“ gezeigt, wie verdreht komisch er auf der Kurzstrecke sein kann; seine Kunstfigur „Erwin Pelzig“ ist ein bayerischer Wolpertinger im Gewand des Spontifex.

Wortgirlanden werden im ZDF-Rund herumgereicht. Programmdirektor Thomas Bellut sagte, er finde es großartig, „dass wir Frank-Markus Barwasser für das Team der Sendung gewinnen konnten“. Die Kabarettsendung werde am 19. Oktober in ihrer neuen Besetzung mit Priol, Pelzig und Gästen starten. Priol hatte es knapp und knackig: „Ich freue mich auf diesen blitzgescheiten Kopf, der politisch denkt, schreibt und spielt.“ Wie sich die ZDF-Truppe als Ensemble versteht, unterstrich auch Barwasser, der sagte: „Als Gast in der ,Anstalt‘ habe ich mich schon bislang immer sehr wohlgefühlt, weil Urban Priol ein echter Teamspieler ist.“

Wer aktuell für Kabarett und artverwandt Intelligentes im deutschen Fernsehen einstehen möchte, der muss für das Zweite Deutsche Fernsehen arbeiten. „Neues aus der Anstalt“ ist die bestfunktionierende Verarbeitungsmaschinerie für das aktuelle, das politische Geschehen. Schramm hat dem Sender attestiert, dass weder Urban Priol noch er bei der Arbeit und bei den Attacken gegängelt wurden. „Neues aus der Anstalt“, das ist das überzeugende Dementi zum Tod des politischen Kabaretts. Barwasser alias Pelzig muss rübermachen, wenn er nicht als das leicht ranzig gewordene Talent im Ersten vergessen werden möchte. Die große, nationale Bühne ist hier, im ZDF. Ausgerechnet.

Nach dem politisch gewollten und von der ZDF-Spitze um Intendant Dieter Stolte betriebenen Ende der „Notizen aus der Provinz“ von und mit Dieter Hildebrandt – was ja die Geburtsstunde des „Scheibenwischers“ 1980 im Ersten bedeutete – war’s im Zweiten in Sachen Kabarett so zappenduster geworden, wie es beim „Satire Gipfel“ um Mathias Richling – leider – nie werden wollte.

Und dann die Sensation: „Neues aus der Anstalt“, im ZDF, live am Dienstag nach dem „heute-journal“. Wer Priol und Schramm dabei erlebt hat, wie sie die Degradierung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender durch die Schwarz-Gardisten um Roland Koch im ZDF-Verwaltungsrat mit schäumender Verve als kalte Machtdemonstration bloßgestellt haben, der weiß, was groß ist. Und es war so groß, weil kein ZDF-Hierarch Zeter und Zensur geschrien hat. In diesen Freiraum, in diese Freiheit kann Frank-Markus Barwasser gehen, muss er gehen. Die Besten gehören ins Zweite, und die Zweitbesten bleiben, wenn es um Satire geht, beim Zweitbesten Deutschen Fernsehen, also im Ersten.

Und wenn Erwin Pelzig listig ist, wird er bei Gelegenheit seinen neuen Arbeitgeber hart rannehmen. Das ZDF ist momentan der Sender mit der irrwitzigsten Personalpolitik, mit einer im selben Moment so bejahten wie verneinten Staatsferne. Also: Pelzig darf kommen, Brender muss gehen, Anchorman Steffen Seibert wird dafür als Bundesregierungssprecher gecastet – von Angela Merkel, die Roland Koch einst angestiftet hatte. Das ist erstklassiger Stoff für „Neues aus der Anstalt“, einer Anstalt namens ZDF.

Geht Pelzig zum Zweiten, dann erlebt die ARD ihren ersten Kollateralschaden aus dem Günther-Jauch-Engagement. Mit dem Start von dessen politischer Talkshow im Herbst 2011 werden zugleich die „Tagesthemen“ von Montag bis Donnerstag um 22 Uhr 15 starten. Danach kommen Tag für Tag die jeweiligen Talks von Reinhold Beckmann, Sandra Maischberger, Frank Plasberg und Anne Will. Im Anschluss, schon geht es streng auf Mitternacht zu, werden sich Schmidt und der „Satire Gipfel“ und vielleicht die Pelzig-Nachfolgesendung um Plätze und Aufmerksamkeit balgen.

Wer das mit sich machen lässt, ist entweder so zynisch wie Geldverdiener Schmidt, so verzweifelt wie Richling – oder er sieht seinen Ausweg wie Barwasser im Zweiten. Der hat bei seinem Abschied sogar noch ans Erste gedacht. Er nimmt seinen Satire-Talk mit, das ZDF will dafür 2011 einen eigenen Programmplatz finden.

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