zum Hauptinhalt

Medien: Kai Diekmann im Interview: "An Sebnitz hat sich die Presse versündigt"

Kai Diekmann, 36, ist seit Januar 2001 Chefredakteur von "Bild" und Herausgeber von "Bild" und "Bild am Sonntag". Dem Axel Springer Verlag gehört er mit Ausnahme seiner zweijährigen Tätigkeit für "Bunte" seit dem Volontariat im Jahr 1985 an.

Kai Diekmann, 36, ist seit Januar 2001 Chefredakteur von "Bild" und Herausgeber von "Bild" und "Bild am Sonntag". Dem Axel Springer Verlag gehört er mit Ausnahme seiner zweijährigen Tätigkeit für "Bunte" seit dem Volontariat im Jahr 1985 an. Vor "Bild" war er Chefredakteur der "Welt am Sonntag".

Herr Diekmann, kürzlich war zu lesen, Sie hätten einen neuen Mitarbeiter: den Hamburger Promi-Anwalt Matthias Prinz. Er hatte "Bild" in einem Brief, den Sie abdruckten, gewarnt, über ein Tête-à-Tête eines Mandanten zu schreiben. Dafür hat er 50 Mark Info-Honorar erhalten.

Normalerweise landen bei uns unverlangt eingesandte Beiträge in Ablage "P". Nicht aber, wenn der Inhalt so spannend und interessant ist, wie in diesem Brief von der Kanzlei Prinz. Sie selbst haben es im Tagesspiegel auf den Punkt gebracht: "Am wirksamsten ist es, den Gegner mit dessen eigenen Waffen zu schlagen".

Hat Prinz Ihr Honorar angenommen?

Das kann ich nicht sagen. Das Honorar ist unverzüglich angewiesen worden. Aber für die Kanäle der Honorarüberweisung in einem so großen Haus wie unserem gilt: Gut Ding will Weile haben.

Auch Sie sind Klatschthema, nicht zuletzt, seitdem Sie mit "Bild"-Klatschkolumnistin Katja Keßler liiert sind. Was ist guter Klatsch?

Das ist zum Beispiel eine hübsche Klatsch-Frage. Im Ernst: Ich bin zwar kein Experte, was die leichte Unterhaltung angeht, aber überzeugt, dass sich Menschen für nichts so sehr interessieren wie für andere Menschen. Klatsch ist dann gut, wenn er exklusiv ist, wenn er eine unterhaltende Nachricht enthält und wenn er glänzend geschrieben ist.

Was ist schlechter Klatsch?

Schlecht ist, wenn ich gezwungen werde, mich mit Menschen zu beschäftigen, die mich nicht interessieren, zum Beispiel die Plastiksternchen aus Hollywood. Bei den meisten so genannten "Stars" aus Amerika handelt es sich um Kunstfiguren, die von den Menschen hierzulande nicht wirklich erlebt werden. Ich selbst werfe die jeden Tag durcheinander, kann eine Gwyneth Paltrow nicht von einer Ally Mc Beal unterscheiden. Ich glaube, Leser interessieren sich für Unterhaltungsgeschichten, wenn sie deren Kern aus ihrem eigenen Erleben kennen und deshalb berührt werden.

Ist das Emotionalisieren von Themen der Grund dafür, dass Ihnen bei "Bild" Kampagnenjournalismus vorgeworfen wird?

Hier handelt es sich wohl um ein Missverständnis, was den Begriff Kampagne angeht. Was machen wir bei "Bild" heute anders als in den vergangenen drei Jahren? Wir bleiben länger an einem Thema dran, wenn wir überzeugt sind, dass es als wichtig empfunden wird und eine Grundstimmung trifft. Wir bleiben dann auch mit der Schlagzeile mehrere Tage dabei. Denken Sie an unsere Berichterstattung zum Thema: "Es gibt kein Recht auf Faulheit" oder an den Mordfall Ulrike Brandt. Ein wichtiges Thema auszudiskutieren ist keine Kampagne. Es kommt vielmehr dem Bedürfnis der Leser entgegen - wie die Auflagenentwicklung bei "Bild" zeigt.

Kampagnenjournalismus wurde Ihnen in politischen Fragen vorgeworfen ...

ach ja, mal so, mal so. Was sich "Woche" oder "Süddeutsche Zeitung" da so alles einfallen lassen, ist albern und langweilig: Erst wollen die Springer-Zeitungen die rot-grüne Regierung angeblich stürzen - jetzt heißt es, wir machen eine Kampagne für Kanzler Schröder. Da scheint bei manchen Kollegen die Verwirrung groß zu sein.

Kostet "Bild" in Ostdeutschland deshalb weiterhin 70 und nicht wie im Westen 80 Pfennige, weil das Blatt weniger ankommt?

So bedauerlich das ist: Zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer sind die Menschen in Ost und West noch längst nicht so zusammengewachsen, wie wir uns das vielleicht wünschen. Die Befindlichkeiten, die Grundstimmungen sind noch immer sehr verschieden. Deshalb ermuntern wir die Redaktionsleiter in den neuen Bundesländern, mit ihrer Schlagzeile auf eigene Themen zu setzen. Im Blatt den Belangen der Menschen im Osten noch stärker Rechnung zu tragen. Ein Beispiel: Die Schlagzeile "Gott, wo warst Du?" zum Trauergottesdienst für Ulrike Brandt hat in den neuen Bundesländern weit weniger Menschen bewegt, weil dort nach 40 Jahren Sozialismus die Säkularisierung viel weiter fortgeschritten ist. Unsere Hamburger Alster-Perspektive geht manchmal gefährlich am Nerv der Menschen im Osten vorbei. Wenn in der In- & Out-Liste ein "supergünstiges" Mercedes-Fahrrad für 1500 Mark gefeiert wird, kommt das in Cottbus wohl nicht so gut an. "Bild" muss den regionalen Befindlichkeiten Rechnung tragen, in Ost und West, zwischen Hamburg und München.

Trifft es die "Befindlichkeiten" vor Ort, wenn "Bild" die Rettet-Sebnitz-Aktion einläutet?

An der Stadt Sebnitz hat sich fast die gesamte bundesdeutsche Presse mit ihrer Verdachts-Berichterstattung versündigt. Ich bin damals nicht Chefredakteur von "Bild" gewesen - gleichwohl war es für mich selbstverständlich, nach meinem Amtsantritt sobald wie möglich nach Sebnitz zu reisen, um mit dem Oberbürgermeister zu besprechen, was "Bild" tun kann, den entstandenen Schaden ein Stück weit in Ordnung zu bringen. "Bild" wird etwa ein deutsch-deutsches Jugendcamp unterstützen, das Jugendliche aus Ost und West zusammenbringen soll. Ich würde mir wünschen, dass sich andere Medien, die sich im Fall Sebnitz nicht mit Ruhm bekleckert haben, unserem Vorbild anschließen würden.

Die Berichterstattung war immerhin initiiert durch "Bild" ...

Moment mal. Da müssen Sie schon präzise sein: Zwei Tage vor der ersten Sebnitz-Schlagzeile in "Bild" wurden dort drei Jugendliche im Zusammenhang mit dem Fall Joseph verhaftet - die sind ja nicht von der "Bild"-Zeitung festgenommen worden, sondern von der Staatsanwaltschaft. Da sind auf allen Seiten Fehler gemacht worden, zuallererst von den Behörden. Ich finde es allerdings heuchlerisch und zynisch, wenn ausgerechnet jene Medien, die sich mit ihrer Verdachtsberichterstattung zu Sebnitz gegenseitig zu übertreffen versucht haben, heute ihre eigene Berichterstattung von damals komplett unterschlagen und vergessen machen wollen.

Wen meinen Sie denn damit?

Nehmen Sie die "Süddeutsche". Als die meisten Medien bereits auf Distanz zu ihrer eigenen Berichterstattung gegangen waren, schrieb die "SZ" ungerührt über die angebliche "Hochburg des Rechtsextremismus": So viele Rätsel der Fall Sebnitz auch aufgäbe, so stehe "nach den vorliegenden Nachrichten und Indizien" eines fest, "ein sechs Jahre alter Bub wurde im Schwimmbad ertränkt, aus Ausländerhass". Als die Haftbefehle bereits alle aufgehoben waren und sich die Zeitungen bereits mit der "Medienkatastrophe" beschäftigten, blieb die "SZ" einsam dabei: "Dieser braune Hinter- oder besser Untergrund und die grassierende Fremdenfeindlichkeit, sie sind das einzige Sichere, das sich im Fall Joseph zeigt."

Wann lesen wir von "Bild"-Chef Diekmann überhaupt mal einen ersten Kommentar?

Ich habe in meiner Zeit als Politikchef von "Bild" genügend Kommentare geschrieben. Ich halte es wie Stefan Aust beim "Spiegel": Ich werde als Blattmacher bezahlt - kluge Leitartikel sollen andere schreiben. Aber die muss der Chefredakteur auswählen.

Herr Diekmann[Sie h&a], kürzlich war zu lesen[Sie h&a]

Zur Startseite