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Medien: Kampf der Kulturen

„SZ“ und „FAZ“ klagen gegen das Online-Magazin „Perlentaucher“. Ihr Vorwurf: Rezensionsklau

Dicke Schrauben bohren sich durch das Schild neben der Eingangstür im Haus an der Berliner Chausseestraße. Es ist gelbblau, die Farben des Perlentauchers. Widerstandsfähig, aus Plexiglas. In einem halben Jahr wird das Schild abmontiert, ein neues Design ist geplant. Die Abmontage könnte schon früher kommen, unfreiwillig: Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“ klagen gegen „Perlentaucher“. Sie werfen dem Internet-Portal vor, ihre Urheber- und Wettbewerbsrechte zu verletzen. Morgen wird das Landgericht in Frankfurt am Main entscheiden. Das Urteil könnte wegweisend sein für alle, die im Internet mit Inhalten anderer arbeiten.

Die Idee von „Perlentaucher“ ist simpel: Ordnung schaffen im Chaos des deutschen Feuilletons. Das Online-Magazin greift Debatten auf, gibt Links zu Artikeln – und wertet Buchrezensionen aus. Jetzt steht „Perlentaucher“ unter Druck. Und vor Gericht, eben wegen jener zehn bis fünfzehn Zeilen langen Zusammenfassungen, die „Perlentaucher“ täglich von Buchrezensionen großer deutschsprachigen Zeitungen auf seine Seite stellt – und an den Internet-Buchhändler Buecher.de verkauft. Genau hier sehen „FAZ“ und „SZ“ das Problem.

„,Perlentaucher’ ist eine schöne Seite. Da waren wir nie kleinlich“, sagt Sebastian Berger, Sprecher des „Süddeutschen Verlags“. „Aber die Weitergabe an Buecher.de, ohne zu fragen, stört. Die machen mit unserem Inhalt in Verbindung mit unserer Marke ein Geschäft.“ Aus Frankfurt kommen ähnliche Klagen. „Was wir erarbeiten, soll von ,Perlentaucher’ nicht an Dritte verkauft werden“, sagt Roland Gerschermann, Geschäftsführer der „FAZ“. „,Perlentaucher’ beutet mit dem Verkauf an Buecher.de die Arbeit unserer Autoren aus. Die,FAZ’-Rezension selbst liest keiner mehr, weil die Kernsätze von ,Perlentaucher’ neben dem Buchangebot stehen.“

Das versteht bei „Perlentaucher“ keiner. „Wir können uns nicht vorstellen, dass wir die ,SZ’ und ,FAZ’ schädigen. Buecher.de kauft doch auch deren Rezensionen“, sagt Anja Seeliger, Mitbegründerin und Redakteurin des Magazins. Ihr Kollege Thierry Chervel fürchtet um die Zukunft des „Perlentauchers“. Erleidet das Online-Portal eine Niederlage vorm Frankfurter Landgericht, könnte das wegen der Gerichts- und Anwaltskosten und möglicher Schadensersatzansprüche „existenzbedrohend sein“. Und wegen der Einkünfte, die „Perlentaucher“ durch den Verkauf an Buecher.de erzielt. Über deren Höhe schweigt Chervel, genauso wie über Einnahmen durch Anzeigen. Nur so viel: Die Verkäufe an Buecher.de seien „substanziell“ für „Perlentaucher“.

Die Texte, um die gestritten wird, lesen sich so: „Letztlich misslungen findet Rezensentin Irene Bazinger diesen Debütroman des Dramatikers und Übersetzers Andreas Marber. (...) Ihr Resümee: ,das Musterbeispiel eines überkonstruiertem Debütromans’ “. Der Text ist verlinkt mit dem Originaltext und bei Buecher.de und Faz.net zu lesen.

Die Frage ist, worum es bei dem Fall eigentlich geht. Um das weitverbreitete Internet-Problem, dass Dritte mit Inhalten und Namen anderer Profit machen? Oder darum, dass zwei große Tageszeitungen fürchten, niemand lese mehr ihre Rezensionen? Um beides. Das meint zumindest der Anwalt der Kläger, Reinhard Gaertner: „Die fremde Leistung wird ausgenutzt.“ Ein aktuelles Problem also: Wie weit dürfen die Internet-Geschäfte mit den Inhalten Dritter gehen? Verlinken im Internet ist nicht immer zulässig. Das zeigt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln, welche das Prinzip „Deep Linking“ – also Verweise, die die Homepage überspringen und direkt auf die gesuchte Seite leiten – untersagt. Im konkreten Fall sah der Betroffene seine wirtschaftlichen Interessen verletzt. Seine Homepage, auf der die meiste Werbung platziert war, wurde seltener angeklickt – und die Reklame seltener gelesen. Ein bekannter Fall ist der des US-amerikanischen Journalisten Robert Tur, der gegen das Videoportal „Youtube“ klagt. Tur wirft „Youtube“ vor, einen seiner Filme ohne sein Einverständnis veröffentlicht zu haben und von seiner Arbeit zu profitieren. Tur fordert 150 000 Dollar, wegen Urheberrechtsverletzung. Mittlerweile hat „Youtube“ den Film aus seinem Angebot entfernt. Ähnlich der Vorwurf an „Perlentaucher“. Das Magazin stehle den Ursprungsgedanken und mache damit Geschäfte, kritisiert Gaertner. „Es kreiert keine eigene Meinung. Die dampfen den Inhalt lediglich zusammen.“

Auf diese Praxis des Kulturmagazins wies den „FAZ“-Verlag ein Autor aus der Zeitungsredaktion hin. Das war vor knapp anderthalb Jahren. Kurze Zeit später traf bei „Perlentaucher“ der Brief einer Anwaltskanzlei ein. Darin eine Unterlassungsaufforderung, weiterhin die Rezensionsnotizen an Buecher.de zu verkaufen. Als nichts geschah, reichten „SZ“ und „FAZ“ Klage ein. Beim ersten Gerichtstermin am 12. Oktober wurde ein Vergleich gesucht, aber keiner gefunden. Nun steht das Urteil an, das über die Zukunft von „Perlentaucher“ entscheidet. Es läuft gut, seitdem Anja Seeliger und Thierry Chervel vor sechs Jahren mit dem Online-Kulturmagazin anfingen. Als alles begann, arbeitete Mitbegründerin Anja Seeliger mit einer Kollegin noch in ihrer kleinen Moabiter Mietwohnung. Erst vor zwei Jahren ist „Perlentaucher“ in die hellen, großen Räume an der Chausseestraße umgezogen. 2003 bekamen sie den Grimme-Online-Award. 600 000 Leser besuchen monatlich den „Perlentaucher“ und rufen mehr als 1,4 Millionen Seiten ab.

Bei dem Urteil rechnet Chervel nicht mit einer Schwarz-Weiß-Gerichtsentscheidung. Sein Anwalt Simon Bergmann ebenfalls nicht. Bei der letzten Verhandlung habe das Gericht erkennen lassen, dass die Rezensionsnotizen im Einzelfall geprüft werden müssten, ob sie tatsächlich das Original ersetzen. Selbst wenn das der Fall sein sollte, müsse man die Notizen umformulieren: aus den Zusammenfassungen eine Kritik der Kritik machen. Das hängt vom Urteil und der Begründung des Gerichts ab. Verbietet das Gericht den Verkauf an Buecher.de, werde man kämpfen, den kompletten Instanzenzug ausschöpfen. „Der ,Perlentaucher’ taucht. Wer taucht, kann doch gar nicht untergehen“, sagt Chervel.

Alice Bota

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