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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann macht beim Mainzer Karneval gute Miene zum bösen Büttenredner-Spiel.

© Tsp

Karneval im Fernsehen: Na, wer war ich?

Selfies und Politiker, Charlie Hebdo und Social Jecks: 15 Stunden Karneval im Fernsehen. Ein Selbstversuch.

Die Schnorreswackler als Römer, Stasi, FDP, Kretschmann, Männer und Frauen, Taliban und IS, Merkel und Conchita Wurst, eine „virtuelle Bütt zum Mitdiskutieren“ – die Fastnachtssendung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ hat mit dieser Themenpalette zum 60. Jubiläum am Freitagabend gute Einschaltquoten geholt. Im Vergleich zu 2014, dem Quotentiefpunkt ihrer Geschichte waren diesmal im Ersten mit 6,37 Millionen 650 000 Zuschauer mehr dabei. Für Karnevalsmuffel stellt sich die Frage: Wieso eigentlich? Es geht nicht darum, Millionen von Menschen zu diffamieren, die sich als Pippi Langstrumpf, Scheich oder Pirat verkleiden, für Stunden den Alltag vergessen und dabei über Witze lachen, die nicht immer politisch korrekt sind. Übers Dschungelcamp regt sich auch niemand mehr auf. Aber irgendetwas muss dran sein, wenn sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen in eine Art kollektiven Jecken-Rausch versetzen lässt. Jeden Abend Karneval. Was haben die „Domstürmer“ oder „Halve Hahn“ unterhaltungstechnisch, was Bohlen oder Gottschalk nicht haben? Ist das Regionalfolklore oder geht das alle an? Vier Tage Karneval-TV, ein Selbstversuch.

Dienstag, ZDF, 20 Uhr 15. „Karnevalissimo“ soll die moderne Variante des Fernseh-Karnevals sein. Für die U50 sozusagen. Anders als bei der klassischen Sitzung verzichte man bewusst auf Elferrat und Karnevalsorden, konzentriere sich auf die urkomischen Redner sowie die stimmungsgeladene Musik, kündigt das ZDF vielversprechend an. Ganz so progressiv wird es nicht. Jan Böhmermann fehlt, dafür kommt ein sehr dicker Komiker namens „Peter Fassbender“, der im Soldatenanzug größtenteils frauenfeindliche Witze erzählte. Man hört ja immer wieder, dass sich Karnevalsveranstaltungen in dieser Hinsicht gewandelt hätten. Das ist ähnlich wie mit der Spinne in der Yucca-Palme. Es stimmt einfach nicht. Auch „Oberkellner Karl“ unterhält mit Witzen unter der Gürtellinie. Kostprobe: „Meine Frau sagt mir, ich dürfe mir was wünschen, sie erfülle alles. Ach, waren das herrliche Stunden, alleine im Gartenstuhl.“ Wenn „Karnevalissimo“ die moderne Variante des Karnevals sein soll, dann müsste sich das ZDF zumindest für die Moderatoren Janine Kunze und Marc Metzger einen Autoren wie Micky Beisenherz leisten, der Trash-Sendungen wie „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ und deren Moderatoren halbwegs erträglich macht. Die Zahlen sprechen allerdings für sich: 4,22 Millionen Zuschauer.

„Düsseldorf Helau“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15. Kommittee Düsseldorfer Karneval. Motto: „Traumhaft jeck“. So sei die Stimmung am Rhein. Oh, Düsseldorf! Lokalpatriotismus zieht, auch so etwas, was man vom Karneval lernen kann. Immerhin, hier wird’s politischer. Knacki Deuser mit Witzen über Putin, Taliban, Bundeswehr, umgarnt vom Charme solch’ ritueller Veranstaltungen: Musikanten, Witzeerzähler, Einmarsch, Ausmarsch, Tusch, Tanzmariechen. Linguistisch interessant der Unterschied von Büttenreden, reinen Witzeerzählern und der hohen Kunst des Reimeschmieden. „Das Selfie dann auch gleich gepostet, sieht man auch aus wie getoastet.“ Tähtäh! Eine Düsseldorfer Entdeckung ist zweifelsohne Markus Krebs. Junger Mann mit Sonnenbrille und Pudelmütze, Aufdruck „Hocker-Rocker“, der auch viel bei YouTube läuft. Witze in Mario-Barth-Manier. Manche sind alt, aber echt gut. „Was sagt ein Schizophrener nach dem Sex? Na, wer war ich?“ Hierbei 5,85 Millionen Zuschauer. Es werden immer mehr.

„Mer losse d’r Dom in Kölle“, Donnerstag, ZDF, 20 Uhr 15. Frauenverachtende Witze gibt’s in Köln weniger, es ist die traditionelle Mädchensitzung der „Karnevals-Gesellschaft Treuer Husar Blau-Gelb von 1925 e.V. Köln“. Was in der Domstadt auffällt: viele Kinder im Karneval, das Kölner Kinder Dreigestirn 2015, dazu besonders trendige Themen: Facebook, Twitter, Internet, Apps. Stärkster Auftritt: „Dä Tuppes vum Land“. Auf seiner Homepage schreibt der Narr: „Dä Tuppes vum Land steht für das Comeback der Reimrede und für humorvolle Unterhaltung auf hohem Niveau. Meine Darbietung ist das Gegenteil von Ballermannkarneval und der erfrischende Beweis, dass selbst eine Reimrede extrem flexibel und spontan sein kann. Mit top-aktuellen Themen spreche ich ein Mehrgenerationenpublikum an und binde selbiges auch gern in meine Auftritte mit ein.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. 4,8 Millionen Zuschauer, mehr als parallel bei Heidi Klum. Muss sich der Karneval um den Nachwuchs wirklich keine Sorgen machen?

Zu guter Letzt: „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“, Freitag, ARD, 20 Uhr 15. Der Klassiker der Fernsehunterhaltung, fühlt sich an wie „Am laufenden Band“ oder „Dalli Dalli“. Die Wagner-Oper unter den Karnevalssendungen. Da sitzen die Spitzenpolitiker Julia Klöckner, Malu Dreyer, Tarek Al-Wazir oder Winfried Kretschmann im Publikum und lassen sich vorne auf der Bütt verbal von „Guddi Gutenberg“ & Co. verkloppen. Andererseits: Auch Machos kommen in Mainz auf ihre Kosten, das Thema Frauen, witzetechnisch gesehen. Nur einmal fiel der Spaß aus, 1991, wegen des Golfkriegs. Keiner weiß mehr, wie Fernsehdeutschland das überstanden hat. Die Mainzer Show dauerte drei Stunden und 45 Minuten. Zuschauerrekord. Das letzte Wort in dieser Karnevalswoche hat Friedrich Hoffmann als Till: „Auch der Narr darf nicht drauf setzen, Gefühle anderer zu verletzen. Je suis Charlie.“ Karneval als unverwüstliches Langzeitprojekt der TV-Unterhaltung? Das hat man von „Wetten, dass..?“ auch mal gesagt.

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