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Medien: „Keine Zeit für Rücksicht“

Diplomatie ist nicht ihre Stärke. Dafür kann sie reden wie ein schlauer Handwerker. Als Gast mischte Elke Heidenreich einmal das „Literarische Quartett“ auf. Jetzt bekommt sie ihre eigene Büchersendung – „Lesen!“ im ZDF. In jeder Folge begrüßt sie einen Leser. Dabei wünscht sie sich nur eines: dass keine verklemmten Tanten kommen

Der Titel hat ein Ausrufezeichen: „Lesen!“ Das ist keine freundliche Aufforderung. Nein, das ist ein Befehl. Angeordnet von Elke Heidenreich. Zunächst sechsmal im Jahr. Mit Leuten, die nicht lesen, kann sie nichts anfangen. Sie selbst liest fast jeden Tag ein Buch. Das geht ganz einfach, man muss es nur wollen: Telefonstecker rausziehen, zwischendurch eine Suppe löffeln, später zum Rotwein übergehen und abtauchen. Verschwinden in Büchern ist ihr eine Lust. Und diese Lust will sie unbedingt weitergeben. Missionarisch in ihrem Eifer, aber mit viel Freude und guter Laune. Warum sie? „Ich kann das. Ich weiß, dass ich das kann. Mit Sprache kenne ich mich aus.“ Sagt die studierte Germanistin in einer Talkshow. Noch Fragen?

Elke Heidenreich ist ein Phänomen. Über sie ist viel geschrieben worden. Den Rest an Aufklärung besorgt sie selbst. 17 Jahre Kolumne in der „Brigitte“, Moderatorin in Hörfunk und Fernsehen. Dann eine selbst verordnete Öffentlichkeitspause. Bücher schreiben. Aber das dauert bei ihr immer etwas. „Alle zehn Jahre ein Buch, ist doch ein guter Rhythmus“, sagt sie. „Kolonien der Liebe“ (1992) und „Rudernde Hunde“ (2002) sind das Ergebnis. Anrührende Kurzgeschichten, Episoden eines alltäglichen Lebens. Gut beobachtet und ehrlich erzählt. „Ganz normal“, würde Elke Heidenreich sagen. Die immer sagt, was sie meint.

„Ich weiß, ich gelte als schwierig, ich bin nicht diplomatisch“, gesteht sie und hat damit vollkommen Recht. Der Vorteil: Zumindest ist sie nicht langweilig.

Kompliziert wird es nur, wenn sie sich angegriffen fühlt. Dann schießt Elke Heidenreich wild um sich. Ob zu Recht oder zu Unrecht, das ist egal, das Gefühl der Attacke reicht. Sie lässt sich einfach nichts mehr gefallen. Und noch etwas: Ausreden lässt sie ungern: „Keine Zeit für Rücksicht. Das Leben ist eben so. Ich falle ins Wort. Sie können mir aber auch ins Wort fallen.“ Vielleicht liegt es auch daran, dass sie immer was zu sagen hat. Natürlich nur, wenn sie nicht gerade liest. Die Leute lieben sie, weil sie „eine von uns“ ist. Sie sagt oder schreibt etwas, und man denkt: So isses. „Ich habe nichts Besonderes, ich bin nichts Besonderes“, sagt sie, obwohl sie doch so besonders gut schreibt. Das, immerhin, ist sie bereit zuzugeben. Sie ist so normal, wie eben jemand sein kann, der von sich sagt: Ich bin ganz normal.

Dabei ist sie, die vermeintlich Volkstümliche, gar nicht so hemdsärmlig lustig, wie sie sich gibt, eher melancholisch. Verzweiflung ist genauso Antriebskraft wie Lebensfreude, wobei letztere inzwischen überwiegt. „Ich habe viel überstanden“, sagt sie. Ihre Stärke ist ihr unglaubliches Humor- Depot, weder im Fernsehen noch in den Printmedien gibt es eine, die ihr da das Wasser reichen könnte. Schlauere, schönere schon. Aber witzigere? Nein.

Mit ihrer präzisen Sachkenntnis und zuverlässigen Schlagfertigkeit hat sie als quirliger Gast „Das Literarische Quartett“ aufgemischt. Heidenreich ist zwar genauso gebildet wie die anderen, kokettiert aber nicht mit ihrem Wissen, sondern redet wie ein schlauer Heimwerker. Ärmel hoch und los.

Als sie Kind war, gab es kein Fernsehen. Ihre Welt war weder bunt noch lustig. Da hat sie gelesen. In der Stadtbücherei war das Kind bekannt und bekam Mengenrabatt. Geld für eigene Bücher gab es nicht.

Und heute? Freitagnachmittags moderiert sie im WDR-Hörfunk eine Literatursendung. Für die seltsame Uhrzeit hat sie gekämpft, und der Kampf hat sich gelohnt. Das Ruhrgebiet, ihre Heimat, steht dann im Stau und hört ihr zu, erzählt sie. Und nicht nur das. Autofahrer steuern am Wochenende Buchläden an, erinnern sich und kaufen ihre Tipps. Darauf ist sie stolz – und die Verkaufszahlen sind der beste Beweis. Was im Radio funktioniert, könnte ja auch im Fernsehen klappen, dachte sie. In gewisser Hinsicht erfüllt sich mit der neuen Sendung sogar ein Lebenstraum von Elke Heidenreich, denn sie kann alles unter einen Hut bringen: Sie liest, stellt ihre Favoriten vor und trifft interessante Leute. In jeder Sendung gibt es einen Gast, einen beredten „Viel-Leser“, der empfiehlt und aus seinem aktuellen Lieblingsbuch vorliest. Dann kommt ein Filmbeitrag. Man sieht, wie Schriftsteller so leben.

Das Konzept hat sie mit der ZDF- Redakteurin Marita Hübinger ausgeheckt. Die beiden „Mädels“ mögen sich und demonstrieren das. Und wenn ihnen keiner reinquatscht, wird es auch gut. Ursprünglich hat Heidenreich die Sendung nur vorgeschlagen, ohne selbst vor die Kamera gehen zu wollen. Dann hieß es: Das kannst du doch auch selber machen.

Gut zehn Jahre war sie weg vom Fernsehen. Eigentlich hat ihr nichts gefehlt, aber für ihre Leidenschaft wird sie gern wieder öffentlich. „Ich freue mich so darauf, vielleicht falle ich auf die Fresse, aber ich möchte es schön machen.“ Schön machen bedeutet für sie: live und ohne Teleprompter. Das ist sie sich schuldig. Aufgezeichnet ist sie auch nicht gut, das weiß sie.

Eigentlich sollte „Lesen!“ in ihrer Kölner Altbau-Bürowohnung gedreht werden. Doch die Wohnung hat sie aufgegeben, und ihr Häuschen im Grünen ist zu privat, da lässt sie keinen rein. Außer vielleicht ihren freundlichen Nachbarn, den belesenen Herrn Schmidt. Denn mit „dem Harald“ spricht sie immer über Literatur, „der hat alles gelesen, genau wie ich“. Deswegen ist er die erste Wahl als Premierengast der neuen Literatursendung am kommenden Dienstag.

Schmidt nahm die Einladung an und ist, wie ein Probe-Ausschnitt zeigt, perfekt für diese Veranstaltung. Beinahe zu perfekt. Er könnte die Sendung auch selbst moderieren, aber darum geht es ja nicht. „Der Herbert“ (Grönemeyer) wäre auch ein Gast-Kandidat. Oder die „Senta“ (Berger, ihre beste Freundin). Aber auch Querdenker wie Heiner Geissler passen ins Konzept. Hauptsache: „Keine verklemmten Tanten. Sie sollen mit Lust, Liebe und Verstand reden.“ Das passiert nun in der Kölner Kinderoper, der Heidenreich als Librettistin verbunden ist. Ein putziges Theaterchen im früheren Foyer der großen Oper. Ein bisschen sitzt man da wie in der Hasenschule, eines ihrer Lieblingskinderbücher. Kleine rote Holzbänke und vorne sitzt die Lehrerin, streng, aber man hört ihr gern zu.

Als die Sendung der Presse vorgestellt wird, ist Elke Heidenreich aufgeregt. Sie wird ständig fotografiert, das mag sie überhaupt nicht. Also macht sie Bemerkungen: „So muss sich Romy Schneider gefühlt haben, jetzt ist sie tot.“ Oder „So ein Zirkus für Bücher, es geht hier nicht um Formel 1.“ Sie fragt „soll ich lächeln?“ und zupft an ihrem weinroten Jackett. Sie ist unsicher, mag ihr Aussehen nicht. Das merkt man.

Daheim hat sie kein einziges Foto von sich. Ihre Sendungen schaut sie niemals an, nichts hat sie archiviert. Wenn sie in ihrer burschikosen Tour mit den Fotografen spricht, hat sie was Rührendes, beinahe Mädchenhaftes. Wenn sie lächelt, ist sie wach, sehr präsent und sieht jung aus. „Ich bin sechzig, na und? Vierzig war schlimmer.“

Auf ihre Krankheit will sie nicht angesprochen werden. Nur einmal, als sich „der Alfred“ (Biolek) verplaudert hat, hat sie dazu einen einzigen Satz gesagt. Der Rest ist ihre Sache. Elke Heidenreich, die gern austeilt, ist verletzlich. Sie ist mit Anteilnahme überschüttet worden. Das hat sie gerührt, aber auch überfordert. Sie tröstet, sich und andere, nur nicht öffentlich. Zu schlechte Erfahrungen. „Kein Kommentar. Wie ich damit klar komme, ist mein Ding.“

Für ihre Sendung wünscht sie sich am allerliebsten ein Millionenpublikum. Lesende braucht das Land. Und Leute, die sie an die Hand nehmen. Elke Heidenreich meint es gut. Oft ist „gut gemeint“ das Gegenteil von gut. In ihrem Fall nicht.

„Lesen!“, Dienstag, um 22 Uhr 15 im ZDF.

Carla Woter

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