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Konfrontation: „Bild“ provoziert Presserat

Springer-Zeitung ruft zu Protest wegen Rüge auf. Stein des Anstoßes ist das Foto eines mutmaßlichen Kindesentführers, das "Bild" trotz Rüge nun ein zweites Mal ungepixelt abgedruckt hat.

Der Ansturm war offenbar nicht mehr zu bewältigen. Wer den Presserat am Dienstag telefonisch erreichen wollte, bekam eine Zeitlang nur einen Anrufbeantworter mit der Ansage zu hören, sich per Mail oder Post an die Organisation zu wenden. Ausgerechnet die „Bild“-Zeitung, die von dem Presserat bereits mehrmals gerügt wurde, hat der Organisation eine ungewöhnliche PR-Aktion beschert.

In ihrer Ausgabe am Dienstag hatte die Boulevardzeitung aus dem Axel Springer Verlag ihre Leser dazu aufgerufen, ihre Meinung beim Presserat kund zu tun. Darüber, ob „der Schutz eines Täters wichtiger als die Berichterstattung über eine schwere Straftat“ ist. Hintergrund ist eine sogenannte nichtöffentliche Rüge, die die „Bild“ vom Presserat bekam, nachdem sie das Foto eines Angeklagten im Fall von Kindesentführung bereits vor Prozessbeginn gezeigt hatte. Trotz dieser Rüge zeigte „Bild“ das Foto am Dienstag erneut und titelte: „Diesen Entführer soll ,Bild‘ nicht mehr zeigen dürfen“. Im Text hieß es dann weiter, die „Bild“ glaube, „dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen“.

Doch dieses Recht gibt es so nicht. „Und das sollte der Springer-Verlag wissen, denn er hat sich schriftlich selbst dazu verpflichtet, den Pressekodex einzuhalten“, sagt Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, der das Selbstkontrollgremium der deutschen Presse ist. Mit seinem Pressekodex hat das Gremium Regeln für die tägliche Arbeit von Journalisten aufgestellt, mit denen die Wahrung des Berufsethos sichergestellt werden soll. „Im Pressekodex steht, dass bei der Berichterstattung über Straftaten immer zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen ist“, sagt Tillmanns. Im Falle des Kindesentführers hätte zum Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung in der „Bild“ im Februar aus Sicht des Presserats das Persönlichkeitsrecht des mutmaßlichen Täters überwogen, da es damals nur eine Festnahme und keine Anklage geben habe.

Auch der Tagesspiegel hatte damals über den mutmaßlichen Entführer berichtet, zwar mit abgekürztem Namen und gepixeltem Foto, doch mit Details zu seiner Person, und erhielt deshalb vom Presserat einen sogenannten „Hinweis“, dass die Persönlichkeitsrechte des Täters verletzt gewesen seien, da die genannten Details den Täter für einen erweiterten Personenkreis erkennbar gemacht hätten.

Im Zeitalter von Google und sozialen Netzwerken wie Facebook kommen Medien schnell an Informationen über Täter und Opfer. Die Kriterien in dem 1973 erstmals veröffentlichten und ständig aktualisierten Kodex des Presserats hält Tillmanns aber weiterhin für einschlägig. „Es ist auch nicht Aufgabe des Presserats zu bestimmen, was Medien tun und lassen dürfen“, sagt Tillmanns. Die Presse müsse auf der Basis des Pressekodex selbst von Fall zu Fall neu abwägen, welche Informationen über Täter und Opfer im Rahmen einer Berichterstattung über Straftaten wirklich relevant seien. Erst im Nachhinein entscheide der Presserat, ob die Regeln des Pressekodex eingehalten wurden. „Damit tragen wir zu einer Schärfung der ethischen Bewertung bei“, sagt Tillmanns.

Ob die „Bild“ wegen der erneuten Veröffentlichung zu kritisieren sei, werde später entschieden. Zumindest unter den hunderten von Anrufern und Zuschriften am Dienstag sind nach Angaben von Tillmanns auch zahlreiche gewesen, die Verständnis für die Haltung des Presserats zeigten. Sonja Pohlmann

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