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Medien: Kraft, Mut und Raffinesse

Lucia Annunziata muss die Rai aus ihrer Krise führen

Der politische Kampf um die Rai tobt erbittert, und irgendwie ist die turbulente Suche nach einem neuen Rai-Präsidenten bezeichnend für die gegenwärtige Krise der staatlichen Fernsehanstalt. Nachdem der letzte Präsident Antonio Baldassarre nach nur einem Jahr wegen seiner desaströsen Bilanz zurückgetreten war, wurde als Nachfolger der unabhängige Medienexperte Paolo Mieli designiert. Noch ehe Mieli die Befehlsgewalt auf der Rai-Kommandobrücke übernehmen konnte, trat auch er zurück. Zwei Tage später zauberten die Präsidenten der beiden Kammern des italienischen Parlamentes, Marcello Pera und Pier Ferdinando Casini, denen die Ernennung obliegt, prompt die Journalistin Lucia Annunziata als neue Rai- Präsidentin aus dem Hut. Mieli machte einen überraschenden Rückzieher, weil seine Bedingungen für die Übernahme des Amtes nicht erfüllt wurden. So wollte er die geschassten Journalisten Enzo Biagi und Michele Santoro ins Programm zurückholen. Darüber hinaus verlangte er den Rücktritt des jetzigen Rai-Generaldirektors Agostino Saccà, dem man die Gunst Berlusconis nachsagt. Drittens verlangte der Verlagsleiter des „Corriere della Sera“ das gleiche Jahressalär, das er jetzt kassiert (rund eine Million Euro). Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, waren aber die antisemitischen Schmierereien am Eingang der Mailänder Rai-Dependance gegen das Mitglied der italienischen jüdischen Gemeinde.

Annunziata versteht sich jedoch nicht als Notnagel. Die Frage ist nun: Wie können die neue Rai-Präsidentin und der ebenfalls neue Verwaltungsrat die gegenwärtige Krise überwinden? Um die staatliche Fernsehanstalt insbesondere aus der unheilvollen politischen Umklammerung von Berlusconis Mitte-Rechts-Regierung zu lösen, hatten die beiden Präsidenten der beiden Parlamentskammern einen besonderen Einfall, der als „1 gegen 4“-Modell durch die Presse geisterte. Es sollte den Parteienproporz der italienischen Demokratie widerspiegeln. Bei der Neubesetzung des Rai-Verwaltungsrates sollten dem neuen, von der Regierung unabhängigen Präsidenten, den die Mitte-Links- Opposition vorgeschlagen hatte, vier konservative Verwaltungsratsmitglieder gegenüberstehen. Nach Mielis Rücktritt drohte der Plan hinfällig zu werden.

Dessen Part muss jetzt Annunziata übernehmen, deren journalistische Karriere beim kommunistischen „Manifesto“ begann. Im Vergleich mit Mieli ist sie die bessere Taktikerin und vermied es, sich in die Karten schauen zu lassen. Zu Santoro, der auf Geheiß der Regierungskoalition vom Bildschirm verbannt wurde, sagte Annunziata lapidar: „Michele ist mehr als ein Freund.“ Sie ließ sich jedoch nicht darauf festnageln, ob sie auf einem Sendeplatz für den respektierten Journalisten bestehen würde.

Die Rai steckt auch in einer finanziellen Krise: 2002 erwirtschaftete sie ein Defizit von 148 Millionen Euro, die Marktführerschaft musste sie an Berlusconis Mediaset- Sender abgeben. Annunziata braucht einerseits Enzo Biagi und Michele Santoro zurück. Denn beide TV-Journalisten können mit ihren Formaten auf ein für die Werbewirtschaft erlesenes Millionenpublikum zählen; andererseits sind die beiden Journalisten für die Regierungsparteien deklarierte Feinde, weil sie mit ihren „agitatorischen Sendungen“ Berlusconi vor der letzten Parlamentswahl bei den Popularitätswerten um angeblich 15 Prozentpunkte gebracht hätten. Annunziata, die die Rai sowohl als Autorin als auch als Chefredakteurin der Hauptnachrichtensendung des dritten Programms, „TG3“, kennt, muss die Quadratur des Kreises gelingen.

Vincenzo Delle Donne

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