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Existenznöte. Kommissar Stark (Boris Aljinovic) wundert sich nicht wenig über den Beutel Kleingeld, mit dem ein Mieter seine Schulden bei Edith Welzien (Renate Krößner) bezahlen möchte. Foto: RBB

© rbb/Daniela Incoronato

Krimi aus der Hauptstadt: Kleine Leute, großes Geld

Die Berliner „Tatort“-Kommissare müssen den Mord an einem Taxiunternehmer aufklären.

Ach, ohne „Tatort“ wäre das Leben, das Land und die Leiche nur halb so schön. Kommissare pflastern unseren Weg. Am Sonntag klingelt in uns der „Tatort“-Wecker, und wir schlagen die Augen auf. Wer wissen will, wer wir sind, die Deutschen, schaue sich den „Tatort“ an. Das Auswärtige Amt verschickt „Tatort“-DVDs ins Ausland, und wenn Angela Merkel ausländische Staatsgäste trifft, verschenkt sie stets ein Paar „Tatort“-Kommissare aus Marzipan.

Das ist nur leicht übertrieben.

Und schon ist es wieder so weit, zwei fabelhafte Ermittler warten darauf, das Wohnzimmer betreten zu dürfen. Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic), die Berliner Kriminalbotschafter, müssen den Mord an einem Taxiunternehmer aufklären. Herbert Klemke liegt mit eingeschlagenem Schädel in seinem Büro. Amerikanische Kollegen würden jetzt hochgerüstete Kriminallabore betreten, die wie Science-Fiction-Raumschiffe aussehen. Die deutschen Kommissare hingegen agieren wie nostalgisch gestimmte Detektive. Verdächtige gibt es genug, und mit den Kommissaren taucht der Zuschauer in ihren Kreis und den Stadtraum ein. Wer tötete Klemke? Und warum? Alibis werden geprüft, Motive erforscht, Spuren rekonstruiert.

Die Kommissare und die Sofaermittler arbeiten Hand in Hand, meistens ist das Sofa den TV-Spürnasen eine halbe Nasenlänge voraus, dem Drehbuch und unserer guten TV-Ausbildung sei Dank! Und wer bewirbt sich diesmal um die Handschellen? Da wäre zunächst Edith Welziehn (Renate Krößner), die jahrzehntelange Sekretärin des Getöteten. Hat sie dem Chef, dem treulosen, nicht ihre besten Jahre geopfert? Wird sie nicht auffällig gut im Testament bedacht? Auch der ehemalige Angestellte Bülent Delikara (Oktav Özdemir) hat ein Motiv, denn Klemke schuldete ihm Geld, und heftigen Streit gab es auch. Krach hatte Klemke ebenfalls mit seiner Tochter Dagmar (Nicolette Krebitz), die seit vielen Jahren in Australien lebt und doch am finanziellen Tropf des Vaters hing. Warum verweigerte er ihr diesmal den Zuschuss zu ihrer geplanten Tauchschule?

Doch damit ist die Liste der Verdächtigen noch nicht erschöpft. Klemke, dem einige Mietshäuser gehörten, hatte reichlich Ärger mit säumigen Mietern, so auch mit dem Geschwisterpaar Ziska (Alwara Höfels) und Pit (Christian Blümel), die einen Feinkostladen führen, aber wegen fehlender Kundschaft Klemkes steigende Mieten nicht mehr zahlen können. Und schließlich wäre da noch Klemkes Bankberaterin Christa Meinecke (Tatjana Blacher), die mit seinem Geld fragwürdige Geschäfte machte. Sie alle hatten ein Motiv, sie alle hatten Streit mit dem Toten. Also, der Täter ist... richtig... hier wird nichts verraten.

Es lohnt sich, sich auf diesen „Tatort“ einzulassen. Es gibt einige Aktivposten. Da wären zunächst die Kommissare, die sich diverse Wettrennen liefern. Stark rast mit dem Rad am Stau vorbei, Ritter hockt derweil verzweifelt in seinem Blech-Bunker. Mit dem Duell „Pedale gegen PS“ wird die Heimat, die Identitätszone der Kommissare, elegant und unterhaltsam vermessen.

Der listige Schelm Stark und der bärbeißige Charmeur Ritter ergänzen sich trefflich, ihr Privatleben bleibt dezent am Rand und nervt nicht. Stattdessen wird eine melancholische Berlin-Ballade erzählt. Es geht um Kleinunternehmer am Rand des Ruins und glitzernde Bank-Fassaden, hinter denen nur die großen Leute mit dem großen Geld zählen. Ausgesprochen witzig gestaltet Oktav Özdemir die Figur des türkischen Taxifahrers, der sich durch seinen Alltag mogelt. Das ist komisch und erzählt dennoch auf glaubwürdige Weise von realen Existenznöten. Sehenswert sind auch die Frauenfiguren in diesem Film. Renate Krößner, einst ein Star in Konrad Wolfs „Solo Sunny“, macht die bis zur Verzweiflung treue Seele glaubhaft. Nicolette Krebitz spielt eine gefühlserstarrte Tochter, die ihren Vater nur als Dukatenesel sieht, bis sie ihn verliert.

Interessant ist auch Tatjana Blachers warmherzige Bankerin, die ein Herz für die kleinen Leute hat und alles aufs Spiel setzt, um andere zu retten. Und dann ist da ja auch noch der muttergewitzte Urberliner Ernst-Georg Schwill, der als Assistent Weber mit seinem staubtrockenen Witz jedes sentimentale Stäubchen wegfegt. Dieser Fall (Buch: Michael Gantenberg, Hartmut Block) hat einen schönen elegischen Rhythmus (Regie: Florian Kern), dem man gerne folgt, weil man in eine Geschichte eintaucht, die berührt. Nach neunzig Minuten klicken die Handschellen. Der Detektiv in uns frohlockt, der Mensch zeigt Mitgefühl.

„Tatort: Alles hat seinen Preis“,

20 Uhr 15, ARD

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