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© WDR-Pressestelle/Fotoredaktion

KRIMI: Ins Glas geschaut

Wenn Chirurgen zu viel trinken: Der Kölner „Tatort“ spielt erneut im Ärztemilieu

Die Kommissare sind beim „Tatort“ die Stars, nur selten bleiben Opfer oder Täter nach ihren einmaligen Auftritten länger als bis zum nächsten Krimi in Erinnerung. Eine der Ausnahmen von dieser Regel könnte Professor Julius Gann aus dem 43. Fall für das Kölner Ermittlerteam Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) sein. Gann ist Chirurg, als Arzt exzellent, als Chef aber unangenehm, bewundert und zugleich gefürchtet, weil er keine Widerrede duldet und sich für unantastbar hält. „Ich lebe in einer Welt“, sagt er zu Schenk, „die Sie nie verstehen werden – eine Welt ohne Fehler.“ Doch Gann hat ein Problem: Er trinkt. Der Druck, auch der eigene Anspruch, immer perfekt sein zu müssen, sucht sich ein Ventil. Und gefährdet die Perfektion.

Roeland Wiesnekker, diese schauspielerische Urgewalt aus der Schweiz, gibt in „Mit ruhiger Hand“ den Professor Gann: kalt, herrisch und arrogant. Kritik und Selbstzweifel verdrängt er in seiner „Welt ohne Fehler“ erfolgreich. Zu Beginn wird er mit einer Stichwunde in seine Privatklinik eingeliefert – und korrigiert sogar als Patient die Anweisungen des diensthabenden Arztes Doktor Wolf (Fabian Hinrichs). In Ganns Haus wird seine Ehefrau erstochen aufgefunden. Im oberen Stockwerk schlief Sohn Jonas (Vincent Redetzki) seinen Rausch aus und hatte gar nichts gehört. Zwischen ihm und dem Vater steht es nicht zum Besten. Gann wusste nicht einmal, dass Jonas, der ein Internat besucht, zu Hause war. Jonas wiederum, von den Kommissaren auf dessen offensichtliches Desinteresse am verletzten Vater angesprochen, knurrt: „Er wird von genug Leuten bewundert.“

Aber von einigen wird er auch gehasst: Ins Visier der Ermittler gerät Stefan Koschinski (Robert Gallinowski), dessen Frau bei einer Operation unter Ganns Messer gestorben war und der jahrelang gegen die Klinik prozessiert hatte. Neben Wiesnekker, Redetzki und dem wie immer lakonisch-seltsamen Hinrichs glänzt vor allem Maria Simon in der Nebenrolle der Krankenschwester Sylvia Keller.

Die Kölner lösen bereits zum zweiten Mal hintereinander einen Fall im Ärztemilieu. Wie die Folge „Rabenherz“, bei der der Chef einer Geburtsstation vergiftet worden war, zählt „Mit ruhiger Hand“ zu den bemerkenswerteren „Tatort“-Filmen der letzten Zeit. Regie (Maris Pfeiffer), Kamera (Benedict Neuenfels) und Schnitt (Dora Vajda) kommen ohne drastische Bilder von abstürzenden Säufern aus und lassen den Realitätsverlust der Figuren, das Sich-Selbst-Belügen, dezent und bedrohlich zum Vorschein treten. Nicht alles muss dabei „realistisch“ sein: So mag man sich darüber wundern, dass der Blutfleck in Ganns Wohnung nicht weggewischt wird, aber dass der Mann tagelang an den Spuren des Verbrechens scheinbar achtlos vorbeiläuft, ist eben ein starkes Ausdrucksmittel.

Der Rest ist genre-typisches Beiwerk: Wie im „Tatort“ üblich, spiegelt sich das Thema des Films in den privaten Sorgen der Kommissare. Allerdings wäre es zu naheliegend gewesen, wenn Kölsch-Liebhaber Schenk ein Alkoholproblem gehabt hätte. Stattdessen trifft es Single Ballauf, was die Botschaft unterstreicht: Gefährlich wird die Sucht vor allem in Kombination mit persönlichen Krisen. Und die Grenze wird schleichend und beinahe unmerklich überschritten. So wird es wohl auch bei Ballauf gewesen sein, auf den die jeweiligen Problemthemen des „Tatorts“ wie die Sieben Plagen herniederfahren. Beim Krankenhaus-Film „Rabenherz“ unterdrückte er aus Furcht vor einem Arztbesuch seine Magenschmerzen, im neuen Fall spült er seine Einsamkeit herunter, was zwar der wiedergenesene Magen gut verträgt, aber seine Arbeit zu beeinträchtigen beginnt.

„Tatort: Mit ruhiger Hand“, 20 Uhr 15, ARD

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