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Ein Schock für Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler): Ihr treuer WG-Partner Martin ist ausgezogen. Die Kommissarin geht raus und ermittelt.

© NDR/Marc Meyerbröker

Krimi: "Tatort"-Ikone Furtwängler: Die Beste im Norden

Zwischen Männerfreund und frappierender Coolness: Maria Furtwängler bleibt die "Tatort"-Ikone. Ihr nächster "Tatort" dreht sich um das Tabuthema Fußball und Homosexualität.

Der Krimi als solcher hat in den letzten Jahrzehnten eine Inversion erfahren, soll heißen: sein Held, der Detektiv oder die Kommissarin, verloren ihre herausgehobene Position als einsame Wahrheitssucher und wurden in das Gestrüpp menschlicher Leidenschaften hineingeworfen. Statt wie Sherlock Holmes oder Miss Marple sozial höchstens mit einem treuen Männerfreund ausgestattet zu sein, mussten sie einem konfliktreichen Privatleben standhalten und trotzdem ihre Arbeit tun. Das verlangte der zeitgenössische Realismus, der besonders im Fernsehen die mythischen Figuren, zu denen Detektive zählen, auf Alltagsniveau runterbricht. Der Krimi als mythisches Genre wehrt sich gegen die Veralltäglichung seiner Protagonisten. So entstehen immer wieder Halbgott-ähnliche Detektivfiguren, die außer der Wahrheitssuche nichts im Leben berührt. Der „Tatort“ hat so eine Zentralfigur: Ulrike Folkerts als Lena Odenthal zeigt nach wie vor, was für ein Zauber die von der Erdenschwere eines Privatlebens befreite Wahrheitssucherin umgibt. Sonst aber hat besagte Inversion im „Tatort“ voll zugeschlagen, sogar bei der coolen Maria Furtwängler alias Kommissarin Lindholm.

Und die anderen? Sabine Postel als energische Inga Lürsen in Bremen war mit einer pampigen Teenie-Tochter belastet, was der Figur Lürsen nicht gut bekam. Boris Aljinovic als Berliner Kommissar Stark hatte anfangs ein nerviges Söhnchen, dessen Belange ihn öfter daran hinderten, zeitig am Tatort zu sein. Dietmar Bär als Kölner Cop Freddy Schenk musste einmal sogar gegen den eigenen Onkel ermitteln, und der Papi von Axel Prahl alias Kommissar Thiel in Münster kommt mit seinem Taxi immer mal wieder reichlich unmotiviert um die Ecke.

Das ist es: Eigentlich will der Krimi den Plot nach seiner Weise entfalten, und da geht es eben nur um die Frage: Wer war es und wie? Aber nun müssen die zuvor eingeführten Familienmitglieder des Ermittlers immer mal wieder vorkommen, obwohl sie mit der Sache selbst nix zu tun haben. Und das nervt. Die Herabstufung des Herrn Kommissars zu einem Durchschnittsmenschen mit Familie könnte sich als Irrweg erweisen. Die Nebenhandlungen mit Kind und Kegel halten auf. Und im Hintergrund arbeitet eine Gegenbewegung an der Wiederherstellung der mythischen Aura des Krimis mit einem Helden oder einer Heldin ohne familiäre Fußfesseln à la Odenthal.

So könnte man resümieren, wenn es Charlotte nicht gäbe, eben jene Hannoveraner Kommissarin Lindholm, gespielt von Maria Furtwängler. Anfangs war sie, wie es sich gehört, eine Kommissarin im höheren Auftrag, ganz konzentriert auf ihre Arbeit und sozial nur mit einem etwas täppischen WG-Gefährten versehen, siehe oben. Aber dann glaubten die Realisten unter den Krimi-Autoren, ihr ein Kind machen zu müssen, und so geschah es auch. Solange Mitbewohner Martin auf den Knirps aufpasste und auch die flotte Oma greifbar blieb, hat das nicht weiter geschadet. Aber die neue Folge „Der letzte Patient“ beginnt mit einer Fanfare des sozialen Realismus: Martin ist ausgezogen. Er braucht Abstand. Charlotte – „Findest du das fair?“ spricht sie dem Treulosen auf den AB – muss nun selbst sehen, wie sie mit Kind und Beruf klarkommt. Das Interessante ist, dass dieser Krimi trotz der Inversion gelingt. Maria Furtwänglers frappierende Coolness, die ihr den großen Erfolg als „Tatort“-Ikone gesichert hat, erweist sich wieder als eine Potenz, die Durchblick mit Pragmatismus vereint und der Heldin Lösungen nahelegt, die den Fall ebenso wie die häusliche Problemlage klären.

Eine Coolness, die Maria Furtwängler, nebenbei gesagt, auch den Mut gibt für die nächste, ganz erstaunliche relevante Hannoveraner „Tatort“-Geschichte über einen ermordeten Fußballprofi– rund um das Tabuthema Fußball und Homosexualität, teilweise zu drehen in der Hannoveraner AWD-Arena. Das Ganze nur ein Jahr nach dem Selbstmord des depressiven Nationaltorwarts Robert Enke, dessen Sarg im AWD-Stadion aufgebahrt wurde. Die „Tatort“-Dreharbeiten sollen am 9. November beginnen.

Doch zurück in die Gegenwart. Zwar stürzt Charlotte beim aktuellen Fall einmal mit dem Schrei: „Ich habe meinen Sohn vergessen“ vom Revier zum Kindergarten, zwar muss sie sich von Ko-Ermittlerin Dambeck (Christina Große), einer Übermutter, die ihren Kids „Frühgeigenunterricht nach der Suzuki-Methode“ antut, beschämen lassen – aber derlei ist für sie letztlich der Anlass zu einem Super-Ausbruch, in dem sie Dambeck gröbliche Vernachlässigung ihrer Pflichten als Ermittlerin vorwirft. Wenn sie, Charlotte, einen Fall habe, gebe es für sie keinen Feierabend. Richtig so! Auch ein Kind kann daran nichts ändern.

„Der letzte Patient“ (Buch: Astrid Paprotta, Regie: Friedemann Fromm) führt Lindholm nach dem Mord an einer Ärztin ins Pädophilenmilieu. So entsteht eine subtile Spiegelung: als Mutter, die sich plötzlich ganz allein um den Sohn kümmern muss und ihre Versagensängste offen zeigt, schaut Charlotte mit besonderer Anteilnahme auf missbrauchte Kids und deren schicksalhafte Abhängigkeit (ausgezeichnet als Opfer Tim: Joel Basman). Sie erkennt die Wahrheit, weil sie selbst in Problemen der Abhängigkeit und Überforderung drinsteckt. Man kann eben doch nicht pauschal sagen, dass der Krimi die Kommissare nicht veralltäglichen soll. Im Falle dieses „Tatorts“ wurde daraus ein Klasse-Film. Wahrscheinlich werden wir sie beide brauchen: Die Kommissarin Lindholm mit ihrer Doppelbelastung und – Columbo, der nicht mal einen Männerfreund an der Seite hat, sondern nur einen Hund, der auch noch Hund heißt.

„Tatort“, ARD, 20 Uhr 15

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