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Medien: Lagune statt Themse

Was früher Edgar Wallace war, ist heute Donna Leon. Ihr Kommissar Brunetti löst zwei neue Fälle

Was in den 60er-Jahren die Nebelschwaden Londons für den deutschen Fernsehkrimi waren, das sind heute Dunst und Hochwasser in der Lagune von Venedig. Donna Leon hat mit ihrer Romanfigur des leicht melancholischen Commissario Guido Brunetti die legitime Nachfolge von Edgar Wallace’ Straßenfegern angetreten. Und so wie einst Joachim Fuchsberger pfeiferauchend britisches Understatement in Karo und Tweed verbreitete, so soll jetzt der Berliner Schauspieler Uwe Kockisch in gut sitzenden Anzügen auf seinen Wegen durch die Kanäle möglichst glaubwürdig „Italianità“ verströmen. Vom gesamten hochkarätigen Ensemble der beiden neuen Donna- Leon-Fälle gelingt ihm das eindeutig am besten, auch verglichen mit Christel Peters, die mit ostelbischem Zungenschlag seine venezianische Mutter mimt. Zwischen Vice-Questore, Opera Pia und mit Kehlen-R gesprochenem „Grazie“ entfacht Regisseur Sigi Rothemund ein Feuerwerk des Lokalkolorits, das in seiner Bemühtheit oft unfreiwillig komisch wirkt, aber hübsch anzusehen ist.

„Die Deutschen lieben Venedig, es ist ihre Stadt“, sagt die Amerikanerin Donna Leon über ihre Wahlheimat, in der sie seit 1981 lebt, bis vor kurzem auch als Literatur-Professorin. Diesen Beruf hat sie im Film an Brunettis Frau Paola weitergegeben, die von Julia Jäger mit liebenswürdiger Verhuschtheit gespielt wird. Das Familienleben der Brunettis gerät in „Sanft entschlafen“ etwas in Unordnung, als die Mutter des Kommissars einquartiert wird: Der Aufenthalt im kirchlichen Altenheim St. Leonardo erscheint nach fünf rätselhaften Todesfällen zu gefährlich. Commissario Brunetti recherchiert gegen alle Widerstände. Seine Gegner sind mächtig: Die Vorsteherin des verschuldeten Ordens, dem die Hinterlassenschaften der Toten zugute kommen sollten, und nicht zuletzt Brunettis eitler Vorgesetzter Vice-Questore Patta, dem die Ermittlungen gegen die Kirche entschieden zu weit gehen.

Michael Degen als Patta verleiht diesem klischeehaften Autoritätskonflikt jene Grandezza, die den Postkartenmotiven angemessen ist und für die recht schleppende Handlung im Habit entschädigt. Lambert Hamel als Zürcher Polizeipräsident ist ein weiteres schauspielerisches Highlight, so wie Gottfried John in „Acqua Alta“ dunklen Glanz verstrahlt. Er ist als sinistrer Kunstsammler der Gegenspieler einer amerikanischen Archäologin, die in Venedig eine Ausstellung kostbaren chinesischen Porzellans organisiert hat, aus der einige Stücke durch Fälschungen ersetzt wurden. Der Fall aus dem internationalen Kunsthändlermilieu garantiert schon durch seine verzwicktere Konstruktion Spannung. Während der Dreharbeiten für „Acqua Alta“ blieb ausgerechnet das übliche Hochwasser aus. Man behalf sich mit je 6000 Litern Trinkwasser, die pro Tag in den jeweiligen Kanal gepumpt und abends wieder abgelassen wurden. Zusätzliches Salzwasser hätte die historische Substanz in der Lieblingsstadt der Deutschen zu sehr strapaziert.

„Sanft entschlafen“: 20 Uhr 15, ARD; die zweite Folge „Acqua Alta“ am 11. November

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