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Medien: Land der Hysterien

Der Film „Die Angst-Industrie“ sorgt sich um die Panikattacken der Deutschen

Was war noch mal mit BSE? Die Sorge scheint wie weggeblasen, weggekeult sozusagen, und zwar in ganz großem Stil. Der Erste, den es traf, war der niedersächsische Landwirt Peter Lorenzen. Auf seinem Hof wurde im November 2000 das erste Rindvieh mit BSE-Erreger in Deutschland entdeckt. An dem Tag, als die Behörden seinen gesamten Viehbestand töten ließen, flüchtete er mit der Familie vorübergehend vom Hof. Lorenzen erhielt zwar Entschädigung, doch er ist verbittert. BSE, das sei Panikmache gewesen, die die Landwirte viel Geld gekostet hätte, sagt er. Bis heute seien weniger als 400 infizierte Tiere in Deutschland entdeckt worden, kein einziges sei wirklich erkrankt gewesen, hat Autor Tilman Achtnich recherchiert. Von Menschen ganz zu schweigen.

Achtnich ist in seinem Film „Die Angst-Industrie“ im „Lande Hysterien“ unterwegs oder auch in „Panikdeutschland“, wie er spottet. Das ist freilich ein alter Hut: Die Deutschen sind wahre Hasenfüße, sie fürchten sich so sehr, dass die „german Angst“ im Ausland zu einem feststehenden Ausdruck wurde. Doch der Autor hat schon etwas mehr zu bieten als polemisches Wortgeklingel. Einige Risiken würden überschätzt, auch weil sich damit gute Geschäfte machen ließen, andere würden zugleich vernachlässigt, so seine These. Beispiel BSE: Bis heute gebe es keinen Nachweis, dass gesunde Rinder, die auf das BSE-Virus positiv getestet wurden, die Krankheit überhaupt übertragen könnten, erklärt der Mainzer Mikrobiologe Sucharit Bhakdi. Dennoch werden in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – weiterhin teure Testreihen an gesunden Tieren durchgeführt. „Unsinnig“ sei das, sagt Bhakdi. Manchen Instituten wird es recht sein.

Doch der Titel ist etwas irreführend, der Autor geht der „Angst-Industrie“ nicht wirklich auf den Grund. Wer verdient wie viel woran? Wie funktionieren die Mechanismen der vermeintlichen Panikmache? Es bleibt beim allgemeinen Hinweis, dass wirtschaftliche Interessen im Spiel sind, auch bei manchen Medien natürlich, die mit Katastrophen-Schlagzeilen Auflage machen. Lässt sich aber so die angeblich besondere Mentalität der Deutschen erklären? Achtnich nennt weitere Beispiele für die Sehnsucht nach dem Null-Risiko: die Angst vor Schadstoffen in Lebensmitteln und die Asbestsanierung etwa. Er befragt Risikoforscher und Statistiker, lässt sich vorrechnen, dass viel höhere Risiken dagegen klaglos hingenommen werden. Das Rauchen fordere pro Jahr über 100 000 Tote, „stattdessen fürchten wir uns vor der Vogelgrippe“, wundert sich Achtnich. Der Mensch ist ziemlich unvernünftig, darauf kann man nicht oft genug hinweisen. Allerdings gerät ihm da manches durcheinander. Die Vogelgrippe zum Beispiel, genauer: Die Sorge vor einer weltweiten Virusepidemie ist nun keine Erfindung deutscher Ängstlichkeit. Bemerkenswert ist dagegen der Hinweis des Freiburger Mediziners Franz Daschner: Durch eine verbesserte Hygiene auf Intensivstationen könne das hohe Infektionsrisiko, dem jährlich „einige tausend“ Menschen zum Opfer fallen würden, um 30 Prozent vermindert werden. Dazu würde schon ein Teil der in die BSE-Vorsorge investierten Gelder ausreichen, sagt Daschner. Aber da befinden wir uns auf dem weiten Feld des Gesundheitssystems, und angesichts der dortigen wirtschaftlichen Interessen kann man es wirklich mit der Angst zu tun bekommen.

„Die Angst-Industrie“, ARD, Mittwoch, 23 Uhr 55

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