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„Begabte Nummer“: Sigmar Gabriel wird selbst von SPD-Kritiker Wolfgang Clement gelobt. Allerdings nur für seine Rhetorik, nicht für die Inhalte. Foto: ARD

© WDR/HMR Produktion

Langzeitbeobachtung: Mit Hecht und Bade-Ente

Lutz Hachmeister begleitet SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Sozialdemokratie mit der Kamera - und lässt dabei die Bilder für sich selbst sprechen.

„Der ist ja wirklich eine begabte Nummer.“ Ein Lob von Wolfgang Clement für einen Spitzenpolitiker der SPD, das ist doch mal was. „Im Reden besser als Schröder“, sei der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, sagt der ehemalige „Superminister“ Clement, der nach seinem beherzten Eingreifen gegen SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti im hessischen Wahlkampf 2008 in der Partei endgültig in Ungnade gefallen war und später selbst austrat. Clement ist so etwas wie der Hecht im Karpfenteich in dem Film „Sozialdemokraten – Achtzehn Monate unter Genossen“ von Grimme-Preisträger Lutz Hachmeister („Schleyer – Eine deutsche Geschichte“). Und natürlich beschränkt sich Clement nicht auf das vorbehaltlose Lob für Gabriel. Dessen rhetorisches Talent gehe zulasten von Inhalten. Orientierung und einen erkennbaren Kurs könne dieser Vorsitzende der SPD nicht bieten, sagt Clement. Widerlegt wird er jedenfalls durch Hachmeisters Recherchen nicht.

Der Autor durfte für die ARD mit den Mitteln des Dokumentarfilmers einen Blick hinter die sozialdemokratischen Kulissen werfen: Ohne Analysen von Experten oder Gegenpositionen von anderen Politikern – mit Ausnahme Clements – reihen sich hier Beobachtungen auf Parteitagen, Grillfesten und Gewerkschaftstreffen sowie Interviews mit nahezu der kompletten SPD-Spitze aneinander. Auch auf einen Offkommentar verzichtete der Autor, was offenbar nicht ganz dem Wunsch der beteiligten Redaktionen entsprach. Aber dem Film tut diese Entscheidung gut, denn Bilder und Aussagen sprechen für sich. Den Zuschauern bleibt die Bewertung selbst überlassen.

Hachmeister entfaltet ein Stimmungsbild, erzählt von der Tristesse auf Parteiveranstaltungen, von den Wunden der Vergangenheit und einem neuen Vorsitzenden, der jovial und selbstironisch Optimismus verbreiten will. Das ist durchaus unspektakulär und hebt sich gerade deshalb wohltuend von der bisweilen hyperventilierenden Berichterstattung in der Berliner Republik ab. Stattdessen flaniert man hier mit der Kamera übers Parteitagsgelände, wundert sich über Präsentationen großer Konzerne, erfreut sich an lustigen SPD-Devotionalien wie der knallroten Badeente für zwei Euro und darüber, dass man sie irgendwann wiedersieht – im Regal von Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises, der sie mitten in seiner Sammlung militärischer Flugzeug- und Schiffsmodelle platziert hat. Offenbar ein Parteisoldat mit besonderem Humor.

Im Mittelpunkt steht allerdings Sigmar Gabriel, der stoisch auch die langweiligsten Termine absolviert, der manchmal mit hängenden Schultern abseits der Scheinwerfer davontrottet, aber dann wieder schlagfertig und humorvoll auf die Menschen zugeht. Wir sehen ihn als mitreißenden Redner beim Dresdner Parteitag im November 2009, wo er nach der historischen SPD-Schlappe bei der Bundestagswahl zum Vorsitzenden gewählt worden war, und dann im Alltagsgeschäft: in der Parteizentrale, bei Gewerkschaftern in Bochum, in seinem Heimatwahlkreis Goslar, bei alten Bekannten im Provinzkaff Schöppenstedt und unter den Parteihonoratioren bei der Spargelfahrt des Seeheimer Kreises. Der Film erfasst beiläufig den Mief dieser großen, traditionsreichen Partei. Etwas irritierend ist allerdings, dass das Parlament so gar keine Rolle spielt in dieser politischen Reise an der Seite Sigmar Gabriels, der immerhin auch Bundestagsabgeordneter ist.

Aber das Auf und Ab der Partei ist unterhaltsam genug. Von ganz unten – den 23 Prozent bei der Bundestagswahl im September 2009 – geht es wieder bergauf. Die erfolgreiche NRW-Landtagswahl, der Coup mit Joachim Gauck bei der Bundespräsidentenwahl, der Wahlsieg in Hamburg und die Regierungsbeteiligung in Baden-Württemberg: Das Drehbuch der Wirklichkeit sorgt für einen hübschen Spannungsbogen. Zwischendurch erinnert Hachmeister an das Schröder-Erbe und die Demontage von Kurt Beck im September 2008. Während der Autor auf Beck als Interviewpartner verzichtete und Gabriels Vorgänger Franz Müntefering ablehnte, darf Altkanzler Schröder sein Bedauern über mangelnden Rückhalt in der Partei für seine Hartz-Reformen zum Ausdruck bringen. Es fehlen nicht: Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, Hoffnungsträger Peer Steinbrück, Generalsekretärin Andrea Nahles, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Matthias Machnig, der als Spindoktor der SPD zur Machtübernahme 1998 verhalf und heute Gabriels Reden schreibt.

„Sozialdemokraten – Achtzehn Monate unter Genossen“; 22 Uhr 45, ARD

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