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Lincoln-Attentat: Einer wollte Brutus sein

Erschossen von einem Schauspieler – eine Doku über das Attentat auf US-Präsident Lincoln.

Von Caroline Fetscher

Er wollte, schrieb Abraham Lincoln, dass alle Menschen frei seien, „ganz gleich ob sie arm oder reich sind, schwarz oder weiß“. Seine Botschaft wurde nach einem langen Bürgerkrieg allmählich angenommen. Als der Sarg des im April 1865 ermordeten Lincoln tage- und nächtelang in einem Sonderzug, dem „Lincoln Special“, von Washington über New York und Chicago bis Springfield in Illinois durch die Vereinigten Staaten gefahren wurde, nahmen sieben Millionen Amerikaner, so viele wie nie zuvor und niemals danach, an Gleisen stehend und auf Bahnhöfen Abschied von ihrem Präsidenten. Schwarze, Weiße, Kinder, Frauen, Männer, Alte und Junge.

Auf Lincolns American Dream bezogen sich Bürgerrechtler wie Martin Luther King, vom Duktus der berühmten Reden des 16. Präsidenten lernte auch der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, der sein Amt fast auf den Tag zweihundert Jahre nach Lincolns Geburt am 12. Februar 1809 antrat.

Ihre zentrale politische Ikone feiern die USA in diesem Jahr besonders intensiv. Zeitgleich sucht das deutsche Dokufiction-Drama „Lincolns letzter Tag“ die Hintergründe um das Attentat auf Lincoln zu erhellen, dem der 56-Jährige Mitte April 1865 erlag. Zur Vereidigung von Obama wurde der Film in den USA auf dem National Geographic Channel gesendet. Für die zweiteilige Koproduktion von NDR, Arte und ORF arrangierte Regisseur Wilfried Hauke eine Collage aus historischen Fotografien, Zitaten aus dem Off und nachgestellten, teils dramatischen, teils elegischen Szenen. Die Collage scheut nicht zurück vor einer Verbindung von Bürgerbildung und Unterhaltung, verdichtet Historisches in Bildern und dichtet marginal, wenn auch geschichtlich abgesichert, weniges „aus dramaturgischen Gründen“ hinzu. Wo das Experimentelle in den Hintergrund rückt, kann das Narrative gedeihen – eine der Stärken dieser Dokumentation.

Sie geht der Biografie des jungen Lincoln nach, der das Glück hatte, nach dem Tod seiner Mutter im Alter von neun Jahren eine ungewöhnlich liebevolle Stiefmutter zu bekommen, und der sich als junger Autodidakt mit der Bibel, Shakespeares Werken und Gesetzestexten die Sprache eroberte. Erschüttert von „Onkel Toms Hütte“ und seinen Eindrücken von der Sklaverei wurde Lincoln zu einem Rechtsanwalt und Politiker, dem mehr und mehr bewusst war, dass ihn selbst „die Kugel treffen“ könnte. Als der Bürgerkrieg gewonnen ist und Lincoln die private Tragödie des Verlustes eines zweiten Kindes überstanden hat, trifft sie ihn tatsächlich.

Haukes Film zeichnet parallel ein Porträt des Südstaatlers John Wilkes Booth, der zu Lincolns Attentäter werden sollte. Frustriert, trinkend, ein gescheiterter Schauspieler, der sein Vermögen in abgestürzte Aktien investiert hatte, sinnt Wilkes auf „Unsterblichkeit“. Den Mann, der in seinen Augen die Südstaaten verraten hat, will Wilkes aus dem Leben schaffen und braut sich in seinem Innern ein Drama zusammen, das Realität werden soll: In einem Theater, passend, legt er auf die Loge des eben wiedergewählten Präsidenten an und verschafft sich selber seinen letzten großen Auftritt, ehe die Polizei den Flüchtenden aufspürt.

Anhand eines Tagebuchs des Attentäters lassen sich die Motive dessen skizzieren, der als „Brutus“ auf Ruhm auf einer realen Bühne hoffte und bitter enttäuscht war, als auch viele Südstaatler um den Präsidenten trauerten. „Brutus“ war der zweite Vorname des verhassten, tyrannischen Vaters von Wilkes, dem Täter. Der Film verzichtet auf diesen Hinweis. Dennoch erzählt er auch, wie in der Weltgeschichte ein leiser Subtext am Werk ist, einer den Herkunft und Chancen schreiben, und die Liebe, die Kinder erfahren oder nicht erfahren. Caroline Fetscher

„Lincolns letzter Tag“, Arte, 21 Uhr

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