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© dpa

Literatur: Die Verwandlung des Buches

Aus Büchern werden E-Books – dank neuer Lesegeräte, deren Displays digitale Texte und Bilder wie gedruckt erscheinen lassen. Die Buchbranche steht vor einem Umbruch.

Auf Matthias Ulmers Schreibtisch türmen sich die Unterlagen. Der Geschäftsführer des Stuttgarter Eugen-Ulmer-Verlags lässt Zusatzvereinbarungen für unzählige Texte, Fotos und Illustrationen einholen, um seine Bücher nun auch als E-Books veröffentlichen zu dürfen. Insgesamt 8000 Dokumente muss Matthias Ulmer unterschreiben. "Ein Riesenakt", sagt der Verlagsmanager, "die Vorarbeiten sind gigantisch."

Elektronische Bücher sind in den vergangenen Monaten genauso blitzartig aus der Versenkung aufgetaucht wie das viel belächelte Elektroauto. Grund dafür ist der Boom elektronischer Lesegeräte, deren Displays digitale Texte und Bilder wie gedruckt erscheinen lassen. Aufgeschreckt hat die deutschen Verleger vor allem der Erfolg des Kindle (sprich: Kindel) in den Vereinigten Staaten.

Der Kindle kommt

Das Lesegerät, mit dem der Internet-Händler Amazon vor einem Jahr die Fachwelt überraschte, ist wegen gewaltiger Nachfrage seit Wochen ausverkauft. Kindle-Leser können sich E-Books und Zeitungen in wenigen Sekunden über das Mobilfunknetz auf ihr Lesegerät laden. 200.000 Bücher führt Amazon inzwischen sowohl gedruckt als auch elektronisch – und erwirtschaftet bereits mehr als zehn Prozent seiner Umsätze mit diesen Titeln über den Kindle.

Jetzt will Amazon das handliche Lesegerät auch auf den deutschen Markt bringen, der Verkaufsstart ist nach Medienspekulationen für das Frühjahr zu erwarten. Auf der Frankfurter Buchmesse hat Sony ein eigenes Lesegerät vorgestellt, das ebenfalls Anfang 2009 erscheinen und zusammen mit der Buchhandelskette Thalia und dem Buchgroßhändler Libri vermarktet werden soll. "Der Druck auf die Verlage wächst, ihre Bücher auch als E-Book bereitzustellen", sagt Marco Olavarria von Unternehmensberatung Kirchner + Robrecht.

Und darauf sind die wenigsten vorbereitet. Zwar schlummern irgendwo Dateien der gedruckten Bücher auf einer Festplatte, doch bis daraus ein E-Book wird, ist eine Vielzahl von technischen, organisatorischen und juristischen Hürden zu überwinden. Die Dateien müssen ins sogenannte Epub-Format konvertiert, Honorare müssen ausgehandelt, neue Vertriebsstrukturen müssen aufgebaut werden und vieles mehr ist zu tun. Die Kosten sind immens, und noch weiß niemand, ob sie sich rentieren. Doch die Hoffnung auf ein ganz neues Geschäftsfeld elektrisiert die Branche.

Plastikdisplays aus Dresden

Welches Potenzial die elektronischen Lesegeräte haben, zeigt sich bei einem Besuch in Dresden. Dort hat das britische Unternehmen Plastic Logic für 100 Millionen Euro eine hochmoderne Fabrik auf die grüne Wiese gesetzt, in der schon im nächsten Jahr ein Lesegerät vom Band laufen soll, das schlanker ist als alle bisherigen Modelle und das sich komplett über einen berührungsempfindlichen Bildschirm bedienen lässt. Das Display ist erstmals nicht auf einen Glasträger gedruckt, sondern auf Plastik. Dadurch ist das Gerät, das so groß und flach ist wie eine Zeitschrift, biegsam, sehr robust und liegt leicht in der Hand.

Der Prototyp, den Plastic Logic hütet wie eine Gutenbergbibel, stellt Texte und auch eine Titelseite des "Economist" gestochen scharf dar – wenn auch nur in Schwarz-Weiß. Geblättert wird mit einem sanften Fingerstreich in die Diagonale. Sogar Notizen sollen sich auf dem Bildschirm später einzeichnen lassen. Mit einer externen Speicherkarte dürfte das Gerät bald Tausende Bücher fassen – und dabei nur wenige Hundert Gramm wiegen. Gut möglich, dass der Download von Büchern bald so selbstverständlich ist wie das Laden von Musik auf einen iPod.

Was nützt ein Gerät ohne Inhalt?

"Wir sind mit großen Buch- und Zeitungsverlagen im Gespräch", sagt Firmensprecherin Rachel Lichten, "denn was nützt ein tolles Gerät ohne passende Inhalte?" Viele Verlagsmanager jedoch trifft die neue Technik tief in ihr verlegerisches Tintenherz. Schließlich wirft das E-Book jahrhundertealte Traditionen der Typographie über den Haufen. Im Epub-Format gespeicherte Texte richten sich flexibel nach der Displaygröße aus, Seitenumbrüche können sich dadurch je nach Gerät ändern. Obendrein ist noch umstritten, ob und wie sich die digitalen Inhalte am besten vor Raubkopierern schützen lassen.

"Es hat wenig Sinn, die Augen vor der Entwicklung zu verschließen", entgegnet Olaf Ernst, der schon vor vier Jahren für den Springer-Verlag ein eigenes E-Book-Segment aufgebaut hat, das mit 27.000 Titeln weltweit führend ist. "Jetzt muss es darum gehen, intelligente Geschäftsmodelle zu entwickeln." Solche Modelle könnten zum Beispiel darin bestehen, Bücher auch kapitelweise zu verkaufen, Aktualisierungen im Abonemment anzubieten oder regalfüllende Klassiker-Sammlungen zum Komplettpreis zu verhökern.

Verlage fürchten neue Abhängigkeiten

Neben den Kosten für die Bereitstellung der Inhalte fürchten die Verlage die Anhängigkeit von einzelnen Händlern wie Amazon. "Wir müssen im E-Book-Handel jetzt schnell so viel Wettbewerb wie möglich aufbauen", heißt es beim Börsenverein des deutschen Buchhandels. Der Verband hat mit dem Internet-Portal "Libreka" eine eigene Plattform geschaffen, auf der Verlage ihre elektronischen Titel gegen Gebühr speichern und mit geringerem Aufwand in die eigenen Web-Shops einbinden können.

Niemand kann vorhersagen, wie radikal das E-Book die Buchbranche verwandeln wird – den Verlegern beschert es jetzt schon unruhige Träume, und die wenigsten möchten den Trend verpassen. Matthias Ulmers Verlag hat mittlerweile 800 Titel als E-Book veröffentlicht. Noch tröpfeln die Erträge, doch der Verleger wartet schon gespannt auf die Markteinführung der angekündigten Lesegeräte. "Ich freue mich sehr", sagt Ulmer, "das wird ein Riesenabenteuer."

Andreas Menn

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