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Medien: "Literaturen": Das literarische Bankett

In der Literatur ist jedes Wort bedeutsam. "Ab", nicht "um" 20 Uhr hieß es auf der Einladung zur Vorabpräsentation des neuen Bücherjournals "Literaturen" in die Berliner Bar jeder Vernunft, und die Tür blieb erst einmal verschlossen.

In der Literatur ist jedes Wort bedeutsam. "Ab", nicht "um" 20 Uhr hieß es auf der Einladung zur Vorabpräsentation des neuen Bücherjournals "Literaturen" in die Berliner Bar jeder Vernunft, und die Tür blieb erst einmal verschlossen. Den geladenen Gästen aus Kulturpolitik, Feuilletons, Verlagen und Agenturen wurde am Montagabend als Aperitif eine halbe Stunde fröstelnder Stehempfang im Freien beschert.

Drinnen im Zelt wurde wohl noch letzte Hand an die Zeitschrift gelegt - zu ihrer Verhüllung. Dann füllte sich die Zeltbar, und der Schauspieler Ignaz Kirchner las den versammelten "geistigen Landsmannschaften" mit Musil und Hildesheimer die Leviten. Schließlich lüftete "Literaturen"-Chefredakteurin Sigrid Löffler das schwarze Tuch über einem Stapel auf der Bühne und holte die Zeitschrift ans Blitzlicht der Medienwelt.

Die Leser, denen von nun an für 12 Mark monatlich Orientierung auf dem Buchmarkt zuteil werden soll, aber hatten zu rätseln. Was, bitte, hat Harald Schmidt auf dem Titelbild von "Literaturen" zu suchen? Oder handelte es sich um Durs Grünbein nach einer die Gesichtszüge besänftigenden Gurkenkur? Und warum streckt Werauchimmer dem Betrachter zu der Schlagzeile "Die Erfindung des Ostens" ein Papiermännchen entgegen, bei dem es sich zweifelsfrei nicht um das DDR-Ampelmännchen handelt?

Auf den folgenden 152 Heftseiten im "Spiegel"-Format muss niemand solche Verunsicherungen befürchten. Alles ist zutiefst beruhigend, wozu die vorherrschende Frabe beiträgt: So ausschließlich schwarz-weiß (oft grau-weiß im Fotodruck), so brav rechteckig und klein gesetzt kamen Zeitschriften einst daher, bevor die Grafiker in den Verlagshäusern freie Hand bekamen. Brigitte Kronauers Roman "Teufelsbrück" etwa, wahrlich kein Lesefutter für den Strand, ist in einer deutlich größeren Schrift gedruckt. Selbst "Lettre International" sieht abwechslungsreicher aus, von der Eleganz der "Transatlantik", Gott hab sie selig, ganz zu schweigen.

Um ein "Journal des Luxus und der Moden" handelt es sich bei "Literaturen" also nicht, sondern um eines der Askese und der Lesearbeit. Von "Entschleunigung" spricht die kleine "Literaturen"-Redaktion. Eher bieten Sigrid Löffler, Hanna Leitgeb und Jan Bürger sowie der "Konsulent" Michael Maar eine Zeitreise in die achtziger Jahre an, als der Text noch für sich stand. Lediglich bei einigen Autoren beugte man sich dem Personalisierungstrend mit Porträtfoto und biografischen Angaben. "Literaturen" will auf altmodische Weise seriös sein.

Vielleicht auch auf deutsche. Jenseits des Rheins offerieren der "Magazine littéraire" oder "Lire" (Lesen) auf einladende Weise anspruchsvolle, bis zu 50-seitige Dossiers zu Schriftstellern und Philosophen wie Paul Ricoeur, André Glucksmann oder Ernst Jünger. Doch ihre Vorbilder, sagte Sigrid Löffler in Interviews, seien die Rezensionsorgane "Times Literary Supplement" und "New York Book Review". Glücklicherweise nähert sich "Literaturen" Büchern und Autoren nicht nur rezensierend, sondern auch im Gespräch, mit Porträt, Reportage, Essay, Krimi- und Kinderbuch-Kolumnen. Nicholson Baker steuert eine Kurzgeschichte bei, und Schwerpunkte informieren über "Die Erfindung des Ostens" und das Literaturland Polen (Buchmesse!). Aber überraschend ist keiner der Texte, und das Dossier zum Nachbarland fällt recht literaturgeschichtlich aus. Der Leser polnischer Gegenwartsliteratur wird sich weiteren Rat bei seinem Buchhändler oder dem Feuilleton holen müssen.

Leider versteht "Literaturen" unter Seriosität fast völlige Humorabstinenz. Allein der Karikaturist Hans Traxler darf auf einer Seite wider den Ernst löcken. Glossen, Satiren, Kommentare und Polemiken fehlen. Ebenso unterhaltende Literatur vom Schlage einer Marianne Frederiksson. Sagen wir es mit einer der kreuzbraven Überschriften: "Weder Sex noch Crime".

Fast alle Autoren des Heftes sind gute, oft auch alte Bekannte aus den überregionalen Feuilletons; ausländische Stimmen fehlen fast ganz. Ob das genügt? Vor drei Jahren wurde das sehr viel populärere Büchermagazin "lektu:ren" nach nur einem Heft von der Verlagsgruppe Holtzbrinck eingestellt. Zirka 80 000 Exemplare waren verkauft worden, von 120 000 an wäre die Zeitschrift, so hieß es, profitabel gewesen. Der Friedrich Berlin Verlag hat von "Literaturen" angeblich 80 000 Exemplare gedruckt, und das nächste Heft soll am 18. Oktober zur Frankfurter Buchmesse erscheinen.

Dass der Geschäftsführer des Friedrich Berlin Verlags, Michael Merschmeier, an diesem Abend wohlgemut in die Runde guckte, war nicht verwunderlich. Der Zeitschrift erwiesen nicht nur die Schriftsteller Christoph Hein, Ursula Krechel, F. C. Delius und Hans Christoph Buch die Ehre, sondern auch Hertha Däubler-Gmelin, Hilmar Hoffmann, Joachim Sartorius und Michael Naumann. Vielleicht war es dieser Glanz, der Merschmeier nach den Sternen greifen lässt. Mit 50 000 verkauften Exemplaren wäre er schon zufrieden, sprach er augenzwinkernd. Das ist verständlich. Nach eigenen Angaben ist "Literaturen" inden Buchhandlungen von Potsdam oder Cottbus nicht zu finden, die neuen Bundesländer sind überhaupt ein Desiderat. Selbst in der Verlagsstadt Frankfurt am Main führen ganze vier Sortimente das Journal. Immerhin hat der Friedrich Berlin Verlag, der auch die Zeitschriften "Theater heute" und "Opernwelt" verlegt, den Vertrieb am Kiosk dem Bauer Verlag ("Neue Revue") übertragen.

Jörg Plath

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