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Medien: Literaturzeitschriften: Perlen im Muschelhaufen

Gescheitert sind schon ganz andere. Friedrich Hölderlin mit "Iduna" zum Beispiel.

Gescheitert sind schon ganz andere. Friedrich Hölderlin mit "Iduna" zum Beispiel. Oder Hans Magnus Enzensberger mit "Transatlantik". Und dabei konnten beide auf durchaus illustre Autoren verweisen. Dennoch wollte aus den ambitionierten Literaturblättern kein Geschäft werden. Die finanzielle Lage hat sich für Literatur- und Kulturzeitschriften bis heute nicht wesentlich geändert. Sie ist und bleibt schwierig.

Etwa 150 größere und kleinere Blätter zur Literatur suchen im deutschsprachigen Markt ihre Leserschaft. Und finden sie allenfalls in Nischen. Autoren, Literaturwissenschaftlern, Verleger und irgendwie an der Sache Interessierte: Das sind die Kunden. Erik Martin, Herausgeber des "Muschelhaufen. Jahresschrift für Literatur und Grafik", siedelt die "Irgendwie-Interessierten" für seine Hefte in einem breiten Spektrum an, von Hausfrauen bis Professoren. Im Normalfall aber scheinen vor allem Autoren andere Autoren zu lesen. Martins dickleibige Jahressammlung hat es aber immerhin auf 850 Abonnenten gebracht, die für 21 Mark ein gut gestaltetes Heft mit Kunstdruckbeilage in Händen halten. Die Zeitschrift aus Viersen verzichtet auf den Vertrieb über den Buchhandel, weil Martin "unabhängig sein will, in jeder Beziehung". Die Freiheit ist teuer erkauft. Die Druckkosten sind durch die Abos zwar gedeckt, Gewinne hat der Herausgeber in den zwölf Jahren des Erscheinens freilich keine gemacht. Ein Schicksal, das beinahe alle derartigen Unternehmungen teilen. Warum das so ist? Die zahlende Kundschaft ist zu gering und der Markt überfüllt. Viele der Publikationen erreichen kaum ein hinreichendes Maß an Bekanntheit. Wer kennt schon "Die Polyzei, Der Dreischneuß oder das heft das seinen langen Namen ändern wollte"? Wenige, zu wenige, um daraus ein Geschäft zu machen. Mutig daher, dass mit "Literaturen - Das Journal für Bücher und Themen" ein weiteres Literaturmagazin an den Start geschickt wurde. Das am 20. September 2000 erstmals erschienene Journal ist ein ungemein ehrgeiziges Projekt. Es misst sich an renommierten Vorbildern: am "New Yorker" etwa, oder an "The American Book Review". Mit angeblich 70 000 Exemplaren bewegt sich das von Sigrid Löffler herausgegebene Bücherblatt beinahe in der Auflagenstärke amerikanischer Vergleichsorgane - falls die Zahl stimmt, woran in der Branche gezweifelt wird. Einen gewichtigen Unterschied gibt es außerdem: Amerikanische Tages- und Wochenzeitungen beteiligen sich weit weniger am Rezensionszirkus als ihre deutschen Pendants. Für "Literaturen" gibt es demnach kaum eine Marktlücke, auch wenn es sich mit flottem Design und manchmal originellen Texten selbst eine schaffen will.

Das Literaturblatt hat trotzdem keine schlechten (Start-)Bedingungen. Es wird vom Friedrich Berlin Verlag produziert und fügt sich in die Titelpalette nahtlos ein. "Theater heute", "Opernwelt" und "ballettanz" haben damit die ertragreiche Möglichkeit, kostengünstig für Löfflers Unterfangen zu werben. Und umgekehrt. Überleben kann das Blatt allerdings wohl nur, wenn es sich schärfer profiliert. Das aktuelle Heft beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Shakespeare - kein besonders originelles Thema. Die monatliche Erscheinungsweise macht die Beteiligung an aktuellen Debatten schwierig, und für die Diskurse von Ewigkeitswert ist das Zeitschriftengewerbe zu kurzatmig.

Ein altes Problem. Frank Berberich, leitender Redakteur bei "Lettre international" weiß davon ein Lied zu singen. "Lettre" ist nicht nur einer der anspruchsvollsten Titel, sondern auch einer der wenigen, die vom Umsatz leben. 25 000 Hefte gehen vier Mal pro Jahr in Deutschland in Druck, rund 18 000 werden auch gekauft. Der Leser findet in "Lettre" nicht nur umfangreiche Reportagen, Essays und Theorietexte, sondern immer wieder auch bemerkenswerte Lyrik und Prosaarbeiten. Berberich versteht das als Ausdruck einer "Widerstandshaltung": gegen eine Zeit, die Literatur und Kultur gern unter den Druck stellt, Events zu produzieren. Ein Anspruch, den er mit vielen Blattmachern der Szene teilt. "Edit. Papier für neue Texte" zum Beispiel. Die Leipziger Zeitschrift begreift sich als Entdeckerorgan. Und ist es oft auch. Wie "Edit" damit überleben kann? Durch ein plausibles Konzept, durch Finanzspritzen aus der öffentlichen Hand.

Alle Literaturzeitungen sind entweder Ergebnis aufopferungswilliger Literaturnarren oder werden durch Zuschüsse am Leben gehalten. "Sinn und Form" ist die Zeitschrift der Akademie der Künste, "Sprache im technischen Zeitalter" wird durch das Literarische Colloquium Berlin mitfinanziert, "Neue deutsche Literatur" vom Aufbau-Verlag gestützt - um drei traditionsreiche Beispiele zu nennen. Selbst "Zwischen den Zeilen", eine herausragende Lyrikzeitschrift, oder "Perspektive", das Avantgarde-Blatt aus Graz, hängen an Steuergeldern. Immer wieder sind verheißungsvolle Vorhaben gescheitert. Auch das ist eine Tradition in Sachen Literaturzeitschriften. Ist das Internet eine Konkurrenz? Fast alle Autoren haben einen Netzauftritt, manche sind nur dort zu Hause.

An der Situation der Literaturorgane hat das fast nichts geändert. Wie auch? Literarische Zeitschriften sind ein kulturelles Gut, das sich eine Gesellschaft leistet. Oder nicht.

Dirk Pilz

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