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Liveticker: Die anonymen Informanten

Auf Augenhöhe mit Fußballspielen, der Tour de France oder Katastrophen – wer steckt hinter den Livetickern?

Wenn am Sonntag das Fahrerfeld der Tour de France über den Champs Elysées in Paris rollt, werden Stefan Baum und Andreas Walzer ebenso erschöpft und glücklich sein wie die Sportler. 21 Etappen in 23 Tagen haben die beiden gebannt am Fernseher verfolgt, laufend die Zeiten und Abstände registriert, bei Ausreißversuchen mitgefiebert. Bei Stürzen sofort die Frage: Wer ist betroffen, und wie wirkt sich das aufs Klassement aus? Bis zu sechs Stunden täglich schauten Baum und Walzer fern und verfolgten den internen Newsticker der Tour.

Was für den Radsportfan ein Freizeitvergnügen ist, bedeutet für Baum, der Onlineredakteur des Saarländischen Rundfunks ist, und den ehemaligen Radprofi Walzer drei Wochen lang harten Arbeitsalltag. Damit man auch im Zug oder bei der Arbeit keine der spektakulären Bergetappen oder die Kämpfe um Sekunden bei den Zeitfahrten verpasst, füttern sie den „Sportschau“-Liveticker mit Informationshäppchen.

Während Walzer das Renngeschehen kommentiert, gibt SR-Onlineredakteur Baum die Abstände zwischen Führungsgruppen und dem Fahrerfeld ein, aktualisiert den Stand der Berg- und Sprintwertungen, gemeinsam besprechen sie, was wichtig ist für den Radsportfreund am Computer zu Hause oder am Smartphone. Es gilt das Vier-Augen-Prinzip, Kommunikation kommt vor Aktion. Die Informationseinspeiser am anderen Ende des Tickers sind keine Computerfreaks, die alleine vor dem Bildschirm hocken und fieberhaft Zahlen plus Kurzkommentare eintippen.

Das gilt auch für den großen Fußball. Die Tour de France oder ein Bundesliga-Samstag ist auch in der Onlineredaktion von Sport1 kein Anlass für geselliges Beisammensein. „Die Redakteure sitzen im Großraumbüro alle direkt auf einem Haufen und stimmen sich laufend ab“, sagt Roland Schekelinski, Onlinechefredakteur bei Sport1. Dabei ist die Atmosphäre trotz der Leidenschaft für den Sport meist eher konzentriert. „Es kann schon mal passieren, dass da ein Redakteur bei einem Tor seiner Lieblingsmannschaft aufspringt, jubelt und erst einmal abklatscht. Normalerweise ist dafür aber keine Zeit. Man hat genug damit zu tun, zu prüfen, ob es tatsächlich ein Tor war und dann die Meldung rauszuschicken.“

Innerhalb weniger Sekunden müssen die Onliner die neue Meldung in das Textfeld des Tickerprogramms eintragen, die Nachricht kurz auf Fehler überprüfen und sie dann freigeben, damit Augenblicke später die Fans an den Bildschirmen jubeln oder fluchen dürfen. Schekelinski vergleicht das Bedienen des Nachrichtenstroms mit einer Radiomoderation – spielentscheidende Momente müssen sofort vermittelt werden. Schließlich sollen die Nutzer das Gefühl haben, ebenso nahe dabei zu sein wie bei einer Fernsehübertragung. Das schnelle Tickern erfordert Sachkenntnis und Textsicherheit. „Die Leute müssen schon eine gewisse Zeit hier arbeiten und sich in der Materie auskennen. Der Liveticker gehört aber inzwischen zum journalistischen Handwerk, jeder unserer Redakteure muss das beherrschen“, sagt Schekelinski.

Die Liveberichterstattung im Netz ist inzwischen fester Bestandteil des Onlinejournalismus. Die Macher des Fußballmagazins „11 Freunde“ sind für ihren Liveticker sogar mit dem Henri-Nannen-Preis in der Kategorie Humor ausgezeichnet worden. Zu dem Team gehörte Lucas Vogelsang, der auch auf tagesspiegel.de schreibt, wo regelmäßig über verschiedene Anlässe live getickert wird.

Auch im Nachrichtenjournalismus werden die Ticker genutzt. So arbeitet Focus Online bei aktuellen Ereignissen mit Tickern, die von den Mitarbeitern laufend betreut werden. „Wir haben keine speziellen Liveticker-Redakteure. Wichtig ist, dass der Redakteur die Nachricht richtig einordnet und die Meldung wichtig genug ist, um sie im Ticker einzustellen“, sagt Focus-Online-Chef Daniel Steil.

Eine solche wichtige Nachricht erschien am 11. März am frühen Morgen: „6:59 Uhr: Ein schweres Erdbeben hat Japan erschüttert“, war die erste Meldung eines Nachrichtenstroms, der am Ende zwei Wochen dauern und 39 Seiten umfassen sollte. „Während der Japan-Berichterstattung war unsere Redaktion auch in der Nacht mit mehreren Redakteuren besetzt. Das Thema hatte eine solche Relevanz, dass wir unsere User permanent informieren wollten“, so Steil.

Vom Tennismatch über Demonstrationen bis zur Umweltkatastrophe – Liveticker sind eine Form der digitalen Informationsverbreitung, die sich wachsender Beliebtheit erfreut. Sie vereint die Vorteile mehrerer Medien: Wie Radio oder Fernsehen bieten sie Unmittelbarkeit und Aktualität. Trotzdem ist der Nutzer nicht gezwungen, im Moment des Ereignisses anwesend zu sein, er kann auch nach Erscheinen der Nachricht nachlesen, wie es bei gedruckten Medien der Fall ist.

Hinzukommt die Verknüpfung mit anderen Formen des Onlinejournalismus, die den Informationen die nötige Tiefe verleihen. „Der Liveticker ist ein wichtiger Service, um die User laufend zu informieren. Viel wichtiger sind aber Texte, die in die Tiefe gehen und die Folgen einordnen“, sagt Steil. Sein Sportkollege Roland Schekelinski stimmt zu: „Als ich mit Freunden mal über ein NBA-Spiel diskutiert habe, war ich besser informiert als sie, obwohl sie die Partie im TV gesehen hatten und ich das Spiel über einen amerikanischen Liveticker verfolgt hatte, der statistische Infos, Tabellen und Hintergrunde bot.“

Der Livetickerer muss also nicht nur die Meldungen schreiben, sondern auch auf Artikel, Bildergalerien und Tabellen hinweisen. Stefan Baum und Andreas Walzer etwa verlinken sämtliche Mitglieder der Ausreißergruppe bei der Tour de France auf individuelle Profilseiten, so dass der Radsportfan mit einem Klick erfährt, dass der Gewinner der letzten Bergwertung, Alexandr Kolobnev, mit 174 Zentimeter Körpergröße ein relativ kleiner Kletterer ist.

Trotz dieser Informationsfülle und Aktualität würde ein Fußballfan wohl nie freiwillig eine Fernseh- oder Radioübertragung für ein getickertes Spiel eintauschen. Es fehlt die Emotion und Persönlichkeit, die über die Stimme vermittelt wird. Ein geschriebenes „Toooooor!“ kommt nicht an den Jubelruf eines Kommentators heran, auch wenn es den Vorteil hat, dass die Kollegen im Büro nicht gestört werden. Vielleicht ist es auch deshalb unüblich, die Liveticker-Autoren mit Namen vorzustellen. „Man kann aber sicherlich eine persönliche Note reinbringen und es gibt durchaus Stamm-User, die ihrem Ticker-Redakteur treu sind“, sagt Schekelinski

Auch Stefan Baum und Andreas Walzer bleiben anonym. Wenn das Tour-Peloton in Paris eingetrudelt ist, und der Träger des gelben Trikots den Champagner verspritzt hat, werden sie sich verabschieden und die letzte Zeile tickern: „Ihr tour.ARD.de-Team“.

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