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Medien: Lust am Leben – kurz vor dem Tod

Veronica Ferres muss als Staatsanwältin eine niederschmetternde Diagnose verkraften

Alle Filme, die unter Kranken, Gehandicapten und Todgeweihten spielen, richten sich an die Gesunden: Passt bloß auf, ihr Betriebsnudeln, dass ihr die wesentlichen Dinge nicht überseht und irgendwann am Ende seid, ohne gelebt zu haben. Man kennt diese Botschaft und zuckt schuldbewusst zurück. Denn solange man fröhlich auf seinen zwei Beinen durchs Leben stapft, will man von Lähmung nichts wissen.

So geht es zuerst auch der Staatsanwältin Iris (Veronica Ferres). Sie hat immer ihren eigenen Kopf gehabt, und sie behält ihn auch, als sie eine niederschmetternde Diagnose verkraften muss: ALS (Amyotrophe Lateralsklerose), bei der eine Nerven- und Muskeldysfunktion zuerst die Bewegung, dann die Atmung hemmt, die Endstation heißt Erstickungstod. Iris reagiert allzu menschlich. Sie wehrt sich, sucht Schuldige, quält sich und andere mit Zynismen. Doch dann, dank einer ganz besonderen Hilfe, gelingt es ihr, das zu tun, was der weise Arzt geraten hat: annehmen.

Den Tod annehmen? Wenn man gerade erst begonnen hat zu leben? Iris’ Helfershelfer auf dem Weg zur inneren Ruhe trotz „infauster“ (hoffnungsloser) Aussicht ist ein Junge namens Max, dreizehn Jahre alt, querschnittsgelähmt nach einem Unfall und trotz Rollstuhl ein beweglicher und munterer Zeitgenosse. Iris lernt ihn durch Zufall kennen und verbündet sich mit ihm. Die beiden trotzen den Umständen ab, was die, fixiert auf die Gesunden, ihnen vorenthalten wollen und spenden einander Trost. Max’ Vater Ruben, ein Ex-Lover von Iris aus gesunden Tagen, Arzt von Beruf, aber gar nicht weise, sondern arg verbittert, versucht anfangs, das anarchische Pärchen durch Verbote zu entzweien, wird dann aber mit hineingezogen in die Lust am Leben kurz vor dem Tod.

Roland Suso Richter hat den heiklen, gleichwohl unsterblichen und oft schon variierten Stoff so inszeniert, wie es sich anbietet: leise, einfach, lyrisch, mit Konzentration auf die menschlichen Momente, die sich ergeben, wenn das Schicksal waltet und die Geschlagenen erst hilflos in den Seilen hängen, dann sich aufrappeln und lernen, Hilfe anzunehmen. Bezaubernd die erotische Geschichte um Iris und Ruben, die furios beginnt, durch die Diagnose unterbrochen wird und sich allmählich fortsetzt, trotz der Ängste und Schmerzen. Man weiß nicht so genau: Ist das nun eine Umarmung, die man da sieht oder ein Krankentransport? Es ist beides. Iris lernt, sich tragen zu lassen und Ruben das Tragen und Ertragen. Manches ist auch sehr konventionell an diesem Film: so die Figur des behinderten, aber dafür umso klügeren Buben, der die Großen lehrt, worauf es ankommt. So das inzwischen bis zur Ausblutung strapazierte Motiv des Zusammenstoßes eines Liebespaares in, vor oder neben einem Supermarkt, wobei Tüten platzen und Sachen rollen und immer wieder anstelle von „Sie gefallen mir“ oder „Ich möchte Sie küssen“ die Dialogzeilen „Tut mir Leid“ oder „Sowas Dummes“ oder „’Tschuldigung“ hervorgestoßen werden.

Auch die gar zu schönen, meist in tadelloser Symmetrie aufgebauten Bilder von Kameramann Martin Langer, stilvolle Wohnlandschaften, herbstliche Koppeln, todschicke Büroräume, geben dem Film eine Lackierung, die er nicht braucht und die der Sache nicht dient. Aber dann ist da das Spiel der drei Hauptfiguren, das alles rausreißt: Veronica Ferres, die als Schauspielerin unterschätzt wird, nur weil sie als sexy Blondine angefangen hat, meistert den Übergang von der Macherin zur Geschlagenen ohne Bruch und Krampf, Merab Ninidze gab einen mitleidenden Ruben ohne Draufdrücker, und der kleine Frederik Lau, Lausbub auf Rädern, braucht nur mal eben unter seiner Wollmütze hervorzuschauen und schon ist man bereit, mit ihm mitzufahren. Wohin? Zu einer Einsicht, die so lautet: Leute, hört auf, nach dem Erfolg zu jagen. Das Einzige, was zählt, ist Menschlichkeit. Bisschen simpel, wie? Ja, aber trotzdem richtig. Und wenn sie so inszeniert wird, hört man die Botschaft nicht nur, es kommt auch der Glaube hinzu.

„Sterne leuchten auch am Tag“,

Freitag, 27.August, Arte, 20 Uhr 45

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