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Medien: Macht Stunk, bitte!

Am Karneval ist zu besichtigen, auf welche Seite eines kulturellen Grabens sich das etablierte Fernsehen schlägt.

„Die neue Welt ist schon da. Wir müssen nur hinschauen“, mahnt jüngst ein kluger Journalist. Dummerweise gilt auch das Gegenteil: Wohin man auch schaut – da ist nur alte Welt. Das sogenannte Unterhaltungsfernsehen wird in diesen Tagen – wie immer um diese Jahreszeit – flächendeckend durchwirkt von schier endlosen Übertragungen des Karnevals, oder präziser: des Sitzungskarnevals. In Kölner Kneipen und Mainzer Gassen soll es ja witzig zugehen, im Fernsehen ist davon allerdings kaum etwas zu spüren. Wie in einer Zeitschleife reihen sich aneinander: Der „Orden wider den tierischen Ernst“ (ARD), „Karneval hoch drei“ (ZDF), „Mer losse d’r Dom in Kölle“(ZDF), „Düsseldorf Helau“(ARD) „Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht“ (in diesem Jahr in der ARD) und so weiter und so heiter. The same procedure as every year! ARD und ZDF wechseln sich ab, die Dritten Programme können kaum noch atmen, und immer wanken Gestalten wie aus längst vergangenen Zeiten auf Bühnenmitte und Bildschirm: Der „Hobbes“ und „ne Hausmann“, „Et Fussisch Juche“ und die „Draiser Landfrau“, „Till“ und der „Bote des Bundestages“, die „4 Amigos“ und „Die Räuber“, mit den „Mainzer Hofsängern“ zum Ausklang. Und getanzt wird stets zu Marschmusik.

Obwohl die zentrale Sendung „Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht“ am Freitagabend diesmal etwas flotter als üblich inszeniert wird, geht ein gefühltes Drittel der Sendezeit für die Begrüßung der Polit-Prominenz drauf. In der Regie sitzt dann einer mit der Stoppuhr, damit die lachende Regierungschefin nur ja nicht länger ins Bild gerückt wird als die strahlende Frontfrau der Opposition und der Proporz stimmt zwischen Steinmeier, Friedrich und Brüderle, Bouffier, Strobl und Schäfer-Gümbel. Sonst hagelt es wieder Beschwerden aus den „staatsfernen“ Gremien.

Was das Fernsehen uns mit dem Dauerkarneval antut, hat in der Summe etwa die Sexyness einer Live-Übertragung der Jahrestagung des Bundes der Vertriebenen. Es ist auch ähnlich zeitgemäß. Seit 1955 wird „Mainz wie es singt und lacht“ übertragen, die ersten Bilder vom „Orden wider den tierischen Ernst“ flatterten 1957 ins Haus. Schon fast brandneu ist dagegen die Übertragung der „Mädchensitzung“ zur Altweiberfastnacht aus den Kölner Sartorysälen. Die gibt es erst seit 1993.

Karneval muss nicht subtil sein. Gerne darf es derb zugehen und anarchistisch. Stattdessen aber gehen die Dialoge so: „60 Prozent der Männer können nach dem Sex nicht einschlafen.“ „Ja, weil wir heimfahren müssen.“ Oder: „Lass uns mal eine neue Stellung probieren.“ „Dann geh’ ich aufs Sofa, und du stellst dich ans Bügelbrett.“ Die Ehe gilt als größtes Witzreservoir, gehetzt wird gegen Facebook (gleich Stasi), Handys, den „Kochtopf mit Eiern“ (iPod) und zu viel Englisch. Und gereimt wird so: „Ein Redner is nur so jut, wie das Publikum, das ihm zuhören tut.“

Mainz will anspruchsvoller sein als Köln, ist aber vor allem hochnäsiger. Da hat dann Steinbrück ein Gesicht wie der „Weltuntergang“, Peter Altmaier ist ein „fleischgewordenes Überhangmandat“, Niebel die „Stradivari unter den Arschgeigen“, Kristina Schröder plant „deutlich zu erhöhe die Frauenquote in der Ehe“ und „Frau Merkel in ihrem Lauf hält’ weder Ochs noch Esel auf.“ Das nennt sich politisch-literarisch.

Obwohl die ARD in den Ablauf von „Mainz bleibt Mainz“ mächtig eingegriffen hat, kann es einen arglosen Zuschauer fassungslos machen, wie resistent dieser Art Karneval gegenüber jeder Innovation ist. Selbstverständlich hat er sich längst gelöst von seinem rebellischen Ursprung als Verhohnepiepelung der napoleonischen Besatzer. Er ist zu einer satten Selbstbespiegelung der Etablierten geworden. In Köln gibt es etwas mehr Blödsinn, in Mainz bemüht man sich um Niveau simulierende Gesten eines gesitteten Bürgertums. Aber auch hier ist der Kern die Entfesselung des Spießers. Bemerkenswert ist, wie das Aufkommen eines alternativen Karnevals mit Stunk- und Strunxsitzungen in Köln und Aachen fast spurlos an diesem Fernseh-Karneval vorübergegangen ist. Deren inzwischen ergraute Matadore wie Jürgen Becker, Didi Jünnemann oder auch Gabi Köster sind eher in Kabarett und Comedy gewechselt, als dass sie den klassischen Karneval infiltriert hätten.

Dezenten Innovationsdruck gibt es von den übertragenden Sendeanstalten. 1972 war es der SWF, der die grandiose Idee hatte, die Mainzer Sitzung vom „Blauen Bock“ Otto Höpfner leiten zu lassen und Tony Marshall als Stimmungskanone anzuheuern. Das ging schief. In diesem Jahr ist der Kabarettist Lars Reichow als „Anchorman“ der „Fastnachtsthemen“ ins Mainzer Programm implementiert worden, in Aachen bedurfte es viel sanften Nachdrucks durch den WDR, bis die Jecken sich zu Cem Özdemir als Ordensritter durchringen konnten. „Seit der Beschneidungsdebatte hatte ich ständig das Gefühl, in meiner Hose ein Stück Illegalität herumzuführen,“ kalauerte der dann im Narrenkäfig und demonstrierte, wie spießig die Grünen geworden sind.

Zum Vergnügen kann man Karneval im Fernsehen kaum anschauen. Wer jünger ist als fünfzig, tut es auch nicht. Selbst für quotenstarke Sendungen liegt der Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen bei 3,5 („Karneval hoch drei“, ZDF), 4,5 („Mer losse d’r Dom in Kölle, ZDF) oder 6,5 Prozent („Mainz bleibt Mainz“, ARD). Zuschauen kann man, um Mentalitäten zu besichtigen. Ausgelassenes Feiern wird meist nur simuliert. Erkennbar ist ein alt-bundesrepublikanischer Elitenhabitus, der sich unerschütterlich gibt, aber hektisch gegen alles ankämpft, was ihm modern vorkommt. Ihm zur Seite steht als stabile Stütze das etablierte Fernsehen. Wer diesen Karneval mit guter Satire oder frechen Shows vergleicht, spürt einen kulturellen Graben. Mit Menschen, die empfindsam sind für Feminismus, offen für kulturelle Vielfalt und bunte Lebensstile, hat eine Festsitzung im Kölner Gürzenich oder kurfürstlichen Schloss zu Mainz nichts zu tun.

Nun hat sich Stefan Raab am Samstagabend auf Pro7 vorgenommen, auch den Fernseh-Karneval aufzumischen. Noch blieb seine „tv-total-Prunksitzung“ etwas unentschieden zwischen Parodie und volle Pulle mitmachen. Es war die einzige Karnevalssitzung ohne echte Büttenrede. Raabs Versuch, mithilfe der aus „tv-total“ bekannten lustigen TV-Schnipsel zu reimen, ging nur teilweise auf. In der raschen Folge der Comedian-Auftritte und Parodien waren Anke Engelke und Bastian Pastewka wie immer sehr präsent. Es gab höheren Blödsinn à la: „Er ist en Jakobsweg gewandert und hat sich gewundert, dass es keinen Kaffee gab“, aber weder Literarisches noch Politik. Es war mehr Quatsch-Comedy-Club als Alternative zum Sitzungskarneval, aber die Stimmung war prima im Karneval für Stromberg-Fans und „tv-total“-Gucker. Zumindest hat Stefan Raab ein Gespür dafür, dass da etwas grundsätzlich sehr überholungsbedürftig ist. Das Publikum offenbar noch nicht. Gerade einmal 1,72 Millionen Zuschauer interessierten sich für Raabs Prunksitzung, was einen Marktanteil von 5,7 Prozent ausmacht. In der Zielgruppe sahen 1,04 Millionen zu. Der Marktanteil lag hier mit 9,5 Prozent deutlich unter Senderschnitt von ProSieben – allerdings auch deutlich über dem, was die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren Sendungen zur fünften Jahreszeit erreichen.

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