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Gemeinsames Schicksal. Der ehemalige Grenzsoldat Stefan (Benno Fürmann) trifft auf Silke (Annika Kuhl), deren Mann er 1988 an der Mauer erschossen hat. Foto: NDR

© NDR/Sandra Hoever/Filmpool

Mauerbau: Das Leben nach dem Schuss

Drama zum 50. Jahrestag: Benno Fürmann überzeugt in dem gleichnamigen Drama als „Der Mauerschütze“.

Mindestens 136 Menschen sollen an der Berliner Mauer zwischen dem 13. August 1961 und dem 9. November 1989 ums Leben gekommen sein – von DDR-Grenzpolizisten erschossen oder beim Fluchtversuch verunglückt. So steht es in einer Studie der Gedenkstätte Berliner Mauer und des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung.

Gehen oder bleiben: Immer wieder stellte sich Silke Strehlow diese Frage. Auch in einer Frühlingsnacht 1988, als sie zu den schmelzenden Klängen von „A Whiter Shade of Pale“ mit ihrem Mann im Trabi saß und ihn beschwor, den Fluchtversuch über die Mauer zu wagen. Er zögerte, denn er wollte die Schwangere nicht gefährden, außerdem schien ihm der politische Umbruch absehbar. Sie aber wollte daran nicht glauben – zu oft hatten die DDR-Bürger vergeblich auf Veränderung gehofft. „Komm!“ rief Silke ihrem Mann zu. Wenig später lag er tot neben ihr, niedergestreckt mit fünf Schüssen. Sie überlebte schwerverletzt und kam ins Gefängniskrankenhaus. Die Tochter, die sie zur Welt bringt, sah sie erst nach der Wende wieder. Wie sich ihre Geschichte mit der des Grenzsoldaten verbindet, schildert der Film „Der Mauerschütze“, den Arte und ARD anlässlich des Jahrestags des Mauerbaus zeigen.

Was empfand der 18-jährige Grenzsoldat, der einem Befehl gemäß die Todesschüsse abgab? Überrascht nimmt ihn seine Mutter im Plattenbau in Empfang, als er etwas von „drei Tage Sonderurlaub murmelt“. Der junge Mann zieht sich zurück und grübelt, tagelang. Und nun, im Sommer 2005, ist da nur dieses Gesicht, sind da diese Augen hinter der randlosen Brille, die von Schuld, schlechtem Gewissen und dem Wunsch, ja, dem Drängen nach Offenbarung erzählen. Regisseur Jan Ruzicka verlässt sich in „Der Mauerschütze“ ganz auf Benno Fürmann und dessen Mienenspiel – und er tut gut daran. Schon in Christian Petzolds Kinofilm „Wolfsburg“ (2002) hatte Fürmann einen neureichen Schnösel verkörpert, der einen Jungen anfährt und schwer verletzt. Als er sich der verzweifelten Mutter annähert, verliebt er sich in sie.

In „Der Mauerschütze“ ist aus dem NVA-Rekruten Stefan Kortmann ein höchst gewissenhafter Onkologe in einer Hannoveraner Klinik geworden. Für seinen Hirntumor-Patienten Paul Schrader (in seinem lebenshungrigen Trotz sehr überzeugend: Max Hegewald) wurde er zu einem väterlichen Freund. Er verzeiht Paul sogar, als der in seinem Schreibtisch herumwühlt und eine Mappe mit Zeitungsausschnitten entdeckt: Kortmann hat alles zum Fall Strehlow gesammelt, auch ein Porträt von Silke und ihrer Tochter Sunny, die auf Usedom leben. Ab da beginnt sich der Strudel der Erinnerungen unaufhaltsam zu drehen. Kortmann muss die Witwe aufsuchen und ihr seine Tat gestehen, um mit sich ins Reine zu kommen. Davon kann ihn auch seine Freundin und Kollegin Maria (Sandra Borgmann) nicht abbringen, die von ihrem so verschlossenen wie pflichtbewussten Liebhaber ohnehin Kummer gewöhnt ist.

Mit „Der Mauerschütze“ haben sich die Drehbuchautoren Hermann Kirchmann, Scarlett Kleint und Alfred Roesler-Kleint zum 50. Jahrestag des Mauerbaus an ein klassisches Drama gewagt, wie es nur die deutsch-deutsche Geschichte generieren kann. „Es war nicht immer einfach, Distanz zu wahren“, sagt Jan Ruzicka. 1959 in Leipzig geboren, erlebte der Regisseur die gescheiterte „Republikflucht“ seiner Schwester mit. Benno Fürmann wuchs in Kreuzberg 36 auf, im Schatten der Mauer. Bravourös spielt er den Mann, der in zwei Todesfälle involviert ist – jenen, den er als NVA-Soldat zu verantworten hat und den drohenden seines Patienten. Als seine burschikos-kühle Partnerin Silke Strehlow ist Annika Kuhl eine Entdeckung. Mit der pubertierenden Sunny (Lotte Flack) schlägt sie sich auf Usedom als Fischerin durch, unschlüssig, ob sie bleiben soll. Mutter und Tochter verlieben sich – die eine in den Arzt, die andere in Paul. Um wen es sich bei ihrem Sommergast handelt, ahnt Silke nicht.

„Der Mauerschütze“, Arte, 20 Uhr 15; auch am Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15

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