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Medien: Mein Computer liebt mich nicht

Was will die digitale Avantgarde? Eindrücke von Burdas Zukunftsforum

Wo sich grauhaarige Männer herzhaft küssen, befand man sich bislang auf sozialistischen Parteitagen. Hier aber war es der israelische Internet-Guru Joseph „Yossi“ Vardi, der den deutschen Verleger Hubert Burda zu Beginn von dessen Technologie- und Medienmesse „Digital Life Design“ (DLD) in München stürmisch liebkoste. Burda wirkte erst überrascht, ergab sich aber ob der erdrückenden Körpergröße seines Gastes. Yossi sprach anschließend über den „human touch“, der auch im Internetzeitalter nicht verloren gehen dürfen. Er war nicht der Einzige.

Berührungen. Zärtlichkeit. Liebe. Diese schönen Worte fielen auffallend oft beim „DLD“, der selbst ernannten Zukunftsmesse unter den unzähligen „Schulterrubbel“-Events der deutschen Medienwelt. Natürlich gab es auch diesmal Erstaunliches zu sehen. Den „Hackerbot“ etwa, einen Roboter, der auf zwei Rädern durch die Gegend fährt und Passwörter ausspioniert. Oder die Animationssoftware der Firma „Image Metrics“, die menschliche Mimik so täuschend echt auf Cartoongesichter überträgt, dass alles Bisherige dagegen aussieht wie Micky Maus in „Steamboat Willie“ von 1928. Mehr als höflichen Applaus bekam dann aber eine ältere Dame, deren eigene Mediennutzung geradezu steinzeitlich anmutet. Linda Stone, bereits Mitte der achtziger Jahre einer der führenden Köpfe bei Apple und später Mitgründerin des „Virtual Worlds“-Labors von Microsoft, verriet, dass sie seit Jahren keinen Laptop besitzt und statt E-Mails heute Briefe schreibt. Das Kommunikationsverhalten ihrer Mitmenschen bezeichnete sie als „anhaltende geteilte Aufmerksamkeit“. Wir seien Experten darin, nie abzuschalten, süchtig danach, auf dem neuesten Stand zu sein. Kürzlich habe sie mit jungen New Yorkerinnen geredet, alle hätten gejammert: dass ihre Männer auch nach der Arbeit an ihren Blackberries kleben, dass sie sich abkoppeln und dass sie, wenn sie ins Bett kommen, Sex verlangen. „So nicht!“, riet Stone den Damen. Ihr nächstes Buch trägt den Titel: „Du hast meine volle Aufmerksamkeit.“

Um Aufmerksamkeit geht es auch bei „Smallworld“. Anders als in ähnlichen Netzwerken wie Facebook oder Xing wird man hier aber nur auf Einladung Mitglied. Ganz so wie in den guten alten Clubs der echten Welt. „Smallworld“-Gründer Erik Wachtmeister, ein ehemaliger Investmentbanker, verriet in München, warum seine Plattform mit ihren 150 000 Mitgliedern lebensnäher sei als die Marktführer mit ihren Abermillionen Nutzern: „Hier treffen sich Freunde mit echten Freunden.“ Von wegen „Bekannte zweiten Grades“. Der Nachteil großer Online-Netzwerke ist ja, dass einen andauernd wildfremde Menschen kontaktieren, weil sie irgendwen kennen, dessen Schwester vor zehn Jahren dem eigenen Cousin mal Cola über die Hose gekippt hat. Unter asmallworld.net, so Wachtmeister, gibt es weder Tarnnamen noch Fäkalsprache. Wer ein anderes Mitglied belästigt, finde sich rasch „an einem Ort wieder, bekannt als die große Welt“.

Luc Besson gilt als Technologie-Freak unter Europas Regisseuren. Sein neuer Kinderfilm „Arthur und die Minimoys“, seit vorgestern in den deutschen Kinos, hat die Messlatte des technisch Machbaren, zumindest auf diesem Kontinent, wieder ein bisschen höher gelegt. Im Interview mit dem wahnsinnig aufgeregten „Cinema“-Chefredakteur Helmut Fiebig bereitete es Besson nun sichtliche Freude, sein Image als Nerd zu zertrümmern. Fiebig, sinnlos die aktuelle Daddel-Propaganda nachplappernd, hatte ihn gefragt, warum alle Filmemacher neuerdings so verrückt seien nach Computerspielen. Besson schaute ihn mit großen Augen an und sagte bloß: „Sorry, ich spiele nicht.“ Dann verriet er dem Publikum noch sein Mittel gegen Vereinsamung am Arbeitsplatz: Gespräche, von Angesicht zu Angesicht. Seine Mitarbeiter dürften untereinander nicht mehr per E-Mail kommunizieren. Als er gemerkt habe, dass sich Büronachbarn in seiner Firma täglich 20 Mails schreiben, so Besson, „habe ich denen kräftig in den Arsch getreten“.

Selbst die Hacker überraschten in München mit einem Plädoyer für die echte Welt. Der „Emmy“-Gewinner und amerikanische Gadget-Guru Dan Dubno stand mit Paul „Pablos“ Holman, Erfinder des bereits erwähnten Hackerbots, auf der Bühne und forderte: „Kauft Chemiebaukästen!“ Wirklich kreativ sein, so die Beiden, könne nur, wer ab und zu etwas Echtes in die Luft jagt.

Marc Felix Serrao

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