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Medien: Mit Kunst und Kreativität siegen

Mag der deutsche Fußball international auch zweitklassig sein, die deutschen Werber sind erstklassig

Nicht jeden hat das frühe Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft mitgenommen. Nicht jeder musste beim Spott, der auf den Kick made in Germany niederging, den Kopf einziehen. Ann-Christin Rentsröm von der Hamburger Werbeagentur Kolle Rebbe konnte locker Contra geben. Ihre Agentur hat beim Festival in Cannes (dem Wimbledon der Werbung) zwei von vier „Goldenen Löwen“ für Deutschland gewonnen. Damit gehören die deutschen Werber zumindest im Bereich Anzeigen und Plakate zur Weltspitze (siehe Kasten). Wermutströpfchen: Der „Löwe“ für die Anzeigen des englischen Büromöbel-Herstellers Bisley haart ein bisschen. Die Idee ist eindeutig Urs Wehrli nachempfunden und seinem Buch „Kunst aufräumen“ (Verlag Kein & Aber, Zürich).

Links zeigt Wehrli ein bekanntes Gemälde, etwa von Miro, rechts daneben die verwendeten Farben als ordentliche Flächen in Tabellenform. Die Ergebnisse haben bereits vor zwei Jahren das Publikum von Harald Schmidt verblüfft und amüsiert. Meist beginnt er mit Werken seines Landsmanns Paul Klee, wagt sich aber auch an Picasso. (Mit Caspar David Friedrich hätte er gelinde Schwierigkeiten.)

„Wenn Wehrli Kunst aufräumen kann, können wir auch die englische Fahne oder japanische Chaos-Zeichen aufräumen", sagte sich eine pfiffige Art Directorin bei Kolle, Rebbe und übertrug das Prinzip der nachgeschalteten Ordnung auf die Anzeigen des englischen Systemmöbel-Machers.

Die Inserate blieben zwar einem größeren Publikum verborgen, was bei vielen Werken der Fall ist, die in Cannes mit bronzenen, silbernen oder goldenen „Löwen“ ausgezeichnet werden. Aber sie gefielen den Juroren der großen internationaler Kreativ-Wettbewerbe. Kolle, Rebbe gewannen mit den Wehrli-Surrogaten so ziemlich alles, was es an Preisen zu gewinnen gibt.Irgendwann drang der Siegeszug der Bisley-Anzeigen auch nach Zürich durch: „Wissen Sie eigentlich, dass euer Wehrli überall Werbepreise abräumt?", wurde Alexandra Rosetti vom Kein & Aber-Verlag gefragt. Wusste sie natürlich nicht, setzte sich aber sofort mit Kolle Rebbe in Verbindung. Hier sprach man zunächst von einer eher zufälligen Parallelität.

Irgendwann aber siegte das schlechte Gewissen der Hamburger, und sie gaben Wehrli hinfort als Creative Director an. Zudem spendierten sie dem Verlag eine Anzeige im Jahrbuch des hochnoblen Art Directors Club.

Zwei Fragen bleiben offen: Wer soll die Anzeigen verstehen, außer Wehrli-Fans und Jury-Mitgliedern, die nicht zugeben dürfen, dass sie die Anzeigen nicht verstehen? Und was haben Sie als Tagesspiegel-Leser davon? Sicher, Sie können sich sagen: Im Fußball ist Deutschland drittklassig, aber in Sachen Werbung haben wir mächtig aufgeholt. Nur, inwieweit tröstet Sie das über TV-Spots mit Verona Feldbusch oder Dieter Bohlen hinweg?

Im Moment nicht, aber vielleicht in zwei Jahren. Impulse zu besseren Kampagnen gehen fast nie von den großen Kopfschlächteragenturen aus. Sondern von kleinen, feinen Kreativagenturen, wie weiland Springer & Jacoby (Mercedes), Jung von Matt (BMW Mini). Und neuerdings Kolle, Rebbe. Das Prinzip ist einfach: Sie suchen sich einen Kunden, der wenig Geld, aber viel Mut hat, und entwickeln für ihn weit unter Selbstkosten eine möglichst abgedrehte Kampagne. Die gewinnt einen Preis nach dem anderen. Und plötzlich bekommen auch größere Auftraggeber Lust auf Medaillen an ihren Bürowänden.

Also lassen sie – zumindest in Teilbereichen – fröhliche TV-Spots und Anzeigen zu. Vielleicht gewinnen sie damit zumindest einen Bronze-„Löwen“. Erstaunlich: Meist stellt sich zur gewonnenen Reputation auch ein wirtschaftlicher Erfolg ein. Sixt zum Beispiel (Agentur Jung von Matt) ist zu 60 Prozent durch seine intelligente Werbung groß geworden, als aus der biederen Frisur der CDU-Chefin Angela Merkel durch den Fahrtwind im Cabrio eine der steilsten Frisuren der neueren deutschen Parteiengeschichte wurde. Oder der jüngste Geniestreich: das Vorher-nachher-Motiv mit Heino (links) und Roberto Blanco (rechts).

Doch das Wichtigste: Sie als Tagesspiegel-Leser können sich endlich mal wieder über die deutsche Werbung freuen.

Reinhard Siemes

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