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Wiedererkannt: Der abgetrennte Frauenfuß erinnert Gerichtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers, re.) an eine Jugendfreundin. Kommissar Thiel (Axel Prahl) möchte lieber das Pokalspiel FC Bayern gegen FC St. Pauli sehen. Foto: WDR

© WDR/Thomas Kost

Mördersuche: Im falschen Körper

Nummer Eins bei Krimi-Fans: Der 20. „Tatort“ aus Münster hält die Balance zwischen Humor und Hintersinn.

Das Duo aus Münster mit Axel Prahl als Kommissar Frank Thiel und Jan Josef Liefers als Professor Karl-Friedrich Boerne ist das beliebteste „Tatort“-Ermittlerpaar. Das hat das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Auftrag der TV-Zeitschrift „Auf einen Blick“ gerade erst bestätigt. Was allerdings die Formel dieses Erfolgs ist, darüber konnte die Umfrage keine Antwort geben. Dafür aber vielleicht der 20. „Tatort“ aus Münster mit dem Titel „Zwischen den Ohren“, den das Erste an diesem Sonntag ausstrahlt.

Der Münster-„Tatort“ beginnt gewohnt klamaukig. Herbert Thiel (Claus D. Clausnitzer), der kiffende Vater von Kommissar Frank Thiel, sitzt des Nachts mit dem Angler-Hans im Boot, als etwas an der Leine zieht. „Fisch?“, fragt der Hans. „Nee, Fuß“, antwortet Thiels Vater und zieht einen Stumpf ins Boot. Gerichtsmediziner Boerne erinnert die besondere Form des Frauenfußes mit dem extrem abstehenden Zeh an eine Freundin aus Jugendtagen. Mit ihr ist er des Öfteren in den Sonnenuntergang geritten, „ich als Winnetou, sie als Old Shatterhand“.

So absurd wird dieser „Tatort“ nicht bleiben. Susanne Clemens (Katja Heinrich), so heißt die Tote, wurde im falschen Körper geboren. Nicht nur im Spiel mit Boerne wäre sie lieber ein Mann gewesen. Die Spur der Ermittler führt erst zum Rockerclub „Wotan-Wolves“, später zu einem Tennisverein, in dem sie als „gute Seele des Clubs“ gearbeitet hat. Dort lernte Susanne die Tennishoffnung Nadine Petri (Anna Bullard) kennen, die gerade vor ihrem ersten internationalen Turnier steht. Noch kann man sich schwerlich vorstellen, was die aufstrebende Sportlerin mit der Ermordeten und ihrem maskulinen Wesen verband.

Regisseurin Franziska Meletzky („Bloch“, „Dr. Psycho“) gelingt es mit diesem „Tatort“, die Balance zwischen trockenem Humor in bester Edgar-Wallace-Tradition und der Auseinandersetzung mit einem ernsthaften Thema (Buch: Christoph Silber, Thorsten Wettcke) zu halten. Selbst das Münsteraner „Tatort“-Duo würde es nicht über 90 Minuten schaffen, die Zuschauer mit Slapstickeinlagen zu unterhalten – auch wenn Boerne und Thiel zum Jubiläum Brüderschaft trinken dürfen. Manche Kameraperspektive in diesem Film könnte von Alfred Vohrer stammen, dem wohl bekanntesten Regisseur der Edgar-Wallace-Reihe („Die toten Augen von London“, „Der Hexer“). Der Blick auf die Ermittler aus der Perspektive des abgetrennten Fußes ist vergleichbar mit jener legendären Vohrer-Aufnahme einer zerbissenen Möhre – aufgenommen aus dem Blickwinkel des Gaumens. Aber auch in der Dramaturgie setzt dieser „Tatort“ die Tradition der Krimikomödie mit Gruseleinlage fort. Der von einer Schiffsschraube sauber abgetrennte Frauenfuß passt zu einer wahrhaft schaurigen Geschichte.

Genau wie bei den Schwarz-Weiß-Filmen aus den 60er Jahren weiß man sofort, wer wofür steht: Dem prolligen Thiel fällt zum Thema Tennis nur ein, dass er es nicht so „mit dem Röckchenhüpfen hat, sondern mehr auf die großen Bälle“ stehe. Damit meint er seine Leidenschaft für den Fußballklub FC St. Pauli. Währenddessen hat Opernfreund Boerne kein Verständnis für die Manndeckung im Fußball.

Neben dieser festgelegten Rollenverteilung, zu der Boernes kleinwüchsige Assistentin Alberich (Christine Urspruch) ebenso gehört wie die burschikose Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann), steht diesmal Anna Bullard als Tennistalent im Mittelpunkt. Die 19-jährige Schauspielerin hat gerade ihr Abitur gemacht, zuvor war sie bereits als Ermittlerin in der Kinderkrimiserie „Ein Fall für B.A.R.Z“, als Tochter von Kommissarin Seiffert in „Soko Stuttgart“ oder mit Dieter Pfaff in „Bloch – die Geisel“ zu sehen. Als junge aufstrebende Profitennisspielerin wird Nadine von ihren Eltern zu permanenter Höchstleistung getrieben. Ihre Mutter ist zugleich Trainerin, der Bruder hilft als Balljunge und Trainingspartner, der Vater gibt den Agenten.

Der „Tatort“ kommt mit dem Erfolgsdruck wunderbar zurecht. Das Brüderschaftsbesäufnis ist am nächsten Morgen vergessen, es wird gesiezt und gefrotzelt, als wäre nichts gewesen. Und weil sich Boerne und Thiel wie in einer Wellenbewegung immer wieder annähern,um danach auf Abstand zu gehen, kann das Gespann auch beim nächsten Krimi aus Münster wie gewohnt funktionieren.

„Tatort: Zwischen den Ohren“,

ARD, 20 Uhr 15

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