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Gegen die Ermordung von Journalisten protestierten nach dem Tod der deutschen Fotografin Anja Niedringhaus (Schwarz-Weiß-Bild) auch Reporter in Pakistan. Foto: dpa

© dpa

Mord an Anja Niedringhaus: Journalisten in Afghanistan: Recherche mit Risiko

Innerhalb eines Monats sind in Afghanistan drei Journalisten ermordet worden. Ein Muster der gezielten Tötung zeigt sich darin noch nicht. Doch die Vorfälle haben eine drastische Wirkung auf die Arbeit der Reporter vor Ort.

Während ich das hier schreibe, wird die kanadische AP-Reporterin Kathy Gannon, 60, in Deutschland behandelt. Auch die Leiche der deutschen Fotografin Anja Niedringhaus, 48, ist schon auf dem Weg in ihre Heimat. Die beiden Frauen sind am vergangenen Freitag angegriffen worden, als sie in der Provinz Khost Mitarbeiter der afghanischen Wahlkommission begleitet haben. Gannon wurde durch drei Kugeln an Schulter und Handgelenk verletzt, Niedringhaus starb noch am Tatort.

Sie ist die dritte Journalistin, die innerhalb nur eines Monats in Afghanistan ermordet worden ist. Am 11. März haben zwei Männer dem britisch-schwedischen Journalisten Nils Horner auf offener Straße in den Kopf geschossen. Am 21. März haben vier junge Männer den AFP-Reporter Ahmad Sardar im Restaurant des Serena Hotels ermordet und mit ihm vier weitere Afghanen (darunter Ahmads Frau und zwei seiner Kinder) und vier Ausländer. Seitdem höre ich viel über „Medien in der Schusslinie“ oder „Taliban jagen Journalisten“. Aber: Können wir differenzieren, bitte, bevor wir uns den Schneid abkaufen lassen?

Dänische Medien schicken keine Korrespondenten

Obwohl – der Schaden ist schon angerichtet. Historische afghanische Wahlen standen am vergangenen Wochenende vor der Tür und trotzdem haben viele internationale Journalisten ihre Reisen nach Afghanistan abgesagt. Die dänischen Medien haben offenbar gemeinsam entschieden, gar keine Korrespondenten zu senden. Ein schwedisches Team, das sich angekündigt hatte, ist nicht gekommen, genau wie viele amerikanische Journalisten. Andere sind angereist, durften ihre Quartiere am Wahltag aber nicht verlassen.

Ich kenne amerikanische Kollegen, die mit Bodyguards durch die Gegend laufen – oder eben nur noch fahren. Eine amerikanische Fernsehkollegin hat mir frustriert erzählt, dass sie nicht einmal in ein Kabuler Flüchtlingslager durfte. Ihr Sicherheitsbegleiter hatte gehört, dass dort Menschen aus Kandahar oder Helmand leben. „Sind da nicht die Taliban?“, hat er gefragt. Sicherheitsmenschen haben jetzt viel Macht über Medien

Die korrekte Berichterstattung wird schwerer

Es gibt immer noch Kollegen, die nach Afghanistan kommen, um zu reisen. Aber sie werden rapide weniger. Das erschwert die detaillierte oder auch nur korrekte Berichterstattung enorm. Berührung herzustellen, sich einzulassen auf dieses komplizierte Land, das schon genug Simplifizierung erduldet hat, wird umso nötiger sein in Zukunft. Denn entgegen allem Alarmismus: Wir Medien wissen derzeit einfach noch nicht, woran wir sind.

Für mich sieht es nicht so aus, als seien Journalisten ein primäres Ziel der Taliban. Nils Horner wurde von einer Splittergruppe der Taliban ermordet, von der sich sogar die Mainstream-Taliban distanzieren. Ahmad Sardar war zufälliges Opfer einer Attacke, die auf die afghanische und internationale Polit-Elite abgezielt hat. Kathy Gannon und Anja Niedringhaus wurden nicht von Taliban erschossen, sondern von einem Polizisten, und es ist fraglich, ob sie gezielt ausgeguckt worden sind.

Welche Wirkung die Anschläge auf journalistische Arbeit haben

Es bleibt auch die Frage, ob die Anschläge nur Symptom der überreizten Vorwahlzeit waren: der Versuch der Aufständischen, eine Zeit zu nutzen, in der noch einmal die ganze Welt herschaut, bevor sie wegschaut. Seit einigen Tagen ist es wieder ruhig. Drei tote Journalisten in einem Monat sind noch kein Muster.

Aber natürlich, das Nicht-Wissen hat seine Wirkung. Ich merke, ich bin wacher, scanne die Gesichter der Menschen um mich herum, vor allem, wenn sie große Waffen tragen. Als Ausländerin rufe ich entweder sofortige, meistens freundliche, Neugierde hervor – oder Misstrauen, manchmal Ablehnung. Das Erstere ist immer noch die Regel und macht das Reisen und Recherchieren in Afghanistan zur Freude. Letzteres passiert mir eher im Süden oder Osten, dort, wo die Menschen mit Ausländern, besonders ausländischem Militär, schlechte Erfahrungen gemacht haben: Wo Soldaten bei Razzien Frauen unverschleiert ans Licht gezerrt, wo Luftschläge Kinder getötet haben, wo Männer gruppenweise verhaftet wurden, manchmal berechtigt, öfter nicht. In den allermeisten Fällen passiert nichts. Im schlimmsten Fall können diese Art von Erfahrungen einen Reflex auslösen wie der, dem Anja Niedringhaus und Kathy Gannon wohl zum Opfer gefallen sind.

Zeichen für Fehler der internationalen Gemeinschaft

Es gibt Berichte, nach denen der Polizist, der geschossen hat, spontan Rache nehmen wollte für einen amerikanischen Luftschlag in seiner Heimatprovinz Parwan im Januar; damals sind angeblich mindestens zehn Zivilisten, darunter viele Kinder, ums Leben gekommen. Dass Anja Deutsche war und Kathy Kanadierin ist, hat ihn nicht interessiert; wir Ausländer werden oft in einen Topf geworfen, meistens den amerikanischen. Diese Art von seltener, aber unvorhersehbarer und persönlich motivierter Gewalt ist eigentlich eine größere Gefahr als alles andere. Sie ist auch Zeichen für die Fehler, die die internationale Gemeinschaft in Afghanistan gemacht hat.

Aber wir internationalen Journalisten sind ja nur eine Seite der Medaille. Die Gemeinde der afghanischen Journalisten ist viel größer – und angreifbarer. Viele internationale Medien schicken nur noch ihre afghanischen Reporter in die Provinzen oder benutzen örtliche Stringer. Sie finden oft Drohbriefe an ihre Türen geheftet. Gezielte Ermordungen von Journalisten sind aber recht selten; das Afghanistan Journalists Center zum Beispiel listet 23 gezielte Tötungen von afghanischen Journalisten seit 1993 und 16 Journalisten, die Kampfhandlungen zum Opfer gefallen sind. (Kein Vergleich zu Pakistan, wo allein im vergangenen Jahr mindestens fünf Journalisten ermordet wurden).

Die letzten Fälle waren die der Radiojournalisten Mohammad Shaheed Naeemi, 22, der starb, als am 26. Januar Aufständische einen Bus der afghanischen Armee in Kabul angegriffen haben, und Noor Ahmad Noori, der Ende Januar tot in Helmand aufgefunden wurde, mit Foltermalen am Körper; die Umstände sind ungeklärt.

Taliban erreicht mit Attacken, was sie wollte

Medienaktivisten wie die von „NAI – Supporting Open Media in Afghanistan“ warnen vor einem Anstieg der Gewalt gegen Journalisten (56 Fälle in den ersten acht Monaten von 2013, gegenüber 41 Fällen 2012). Aber auch hier muss differenziert werden. Die Statistiken zeigen, dass etwa die Hälfte aller Fälle von der Regierungsseite kommt: von Polizisten, die Kameras zerbrechen oder Parlamentariern, die ungestraft Reporter verprügeln.

Der Effekt lässt sich schwer messen. Gewalt, physische wie psychische, führt zuallererst zu Selbstzensur – und wer kann schon sagen, was nicht berichtet worden ist. Es ist schade, dass die Taliban erreicht haben, was sie wollten mit ihren schrecklichen, aber auch wirren Attacken.

Die Autorin war Tagesspiegel-Redakteurin. Seit fünf Jahren lebt sie in Afghanistan und ist Analystin beim Afghanistan Analysts Network (www.afghanistan-analysts.org)

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