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Medien: „Mummy, Mummy“

Wie die freigelassenen britischen Soldaten mit dem Interview-Verbot umgehen

Von Markus Hesselmann

Die „Sun“ macht fröhlich weiter. „MUMMY, MUMMY“, lautete gestern die balkendicke Überschrift zu Folge zwei der Serie „Iran-Geisel exklusiv“. Darunter ein Bild von Faye Turney, die ihre Tochter Molly auf dem Arm hält und küsst. Folge drei kündigt das Boulevardblatt für heute an – trotz des inzwischen verhängten Verbots für britische Armeeangehörige, ihre Storys an Medien zu verkaufen. Turney war einfach schnell genug. Die Marinesoldatin hatte die Geschichte ihrer Gefangenschaft im Iran direkt nach ihrer Freilassung an die „Sun“ und den Sender ITV verkauft. Sie kam der Kehrtwende zuvor, die das britische Verteidigungsministerium am Montagabend vollzog. Es beugte sich der Kritik am Verkauf der Iran-Geschichten, den es zuvor noch ausdrücklich erlaubt hatte.

Umgerechnet bis zu 225000 Euro soll Turney für ihr Rührstück bekommen haben. Sie will einen Teil des Geldes für einen guten Zweck spenden und den Rest zugunsten ihrer dreijährigen Tochter anlegen. Arthur Batchelor, mit 20 Jahren der jüngste der britischen Gefangenen, hat derweil seine gesammelten Iran-Erlebnisse rechtzeitig im „Daily Mirror“ untergebracht. Andere Kameraden gehen leer aus.

Dass die Geschichte einer internationalen Krise und ihrer menschlichen Hintergründe derart zur Ware verkommt, hat selbst in Großbritannien Empörung ausgelöst. In einem Land, dessen Bürger die Auswüchse der Boulevardpresse mit stoischer „stiff upper lip“ hinnehmen. Meinungsfreiheit und öffentliches Interesse gelten auf der Insel im Zweifelsfall mehr als Persönlichkeitsrechte oder Staatsgeheimnisse. Doch dann diese Töne: „Der Tag, an dem Faye Turney ihre Geschichte verkauft hat, war der Tag, an dem die Navy vor Scham starb“, schreibt der Kolumnist Richard Littlejohn in der „Daily Mail“. „Oder besser: Hätte vor Scham sterben müssen, wenn es so etwas wie Scham noch gäbe in dieser Welt.“ Littlejohns Zeitung ist zwar ein Massenblatt mit einer Auflage von über zwei Millionen, unterscheidet sich aber von der „Sun“ oder dem „Daily Mirror“ durch längere Sätze, gründlichere Recherchen und fehlende Nacktbilder. Und dadurch, dass es nicht mit einer Exklusivgeschichte aus dem Iran aufwarten konnte. Was im Nachhinein wohl ein Segen war. Denn so durfte sich die Zeitung, die sich für den wahren Repräsentanten der breiten Masse hält, zum Anwalt der Empörten im Lande machen.

In einem Land, das über seine Rolle in der Welt verunsichert ist und vergangener Glorie nachtrauert, ging es plötzlich um die Ehre der einstmals so stolzen Streitkräfte. Der britischen Seemacht obendrein: „Britannia rules the waves“ – auf dieser Gewissheit baute das Empire auf. Das einst mit Kanonenbooten die Wellen beherrschende Britannien ist heutzutage eher im Schlauchboot unterwegs – und muss sich da demütigen lassen. Irans revolutionäre Garden hatten im Schatt al Arab kurzerhand die Chance ergriffen, die ehemalige Kolonialmacht vorzuführen. Sie nahmen die 15 Marinesoldaten gefangen, beschuldigten sie der Grenzverletzung und ermöglichten der iranischen Regierung ein zweiwöchiges PR-Spektakel, das am Ende selbst westliche Korrespondenten beeindruckte.

Dem hoffte die britische Regierung etwas entgegenzusetzen. Die Soldaten sollten ihre Version frei erzählen dürfen. Doch offenbar wurden im Mutterland des Kapitalismus die Gesetze des Marktes unterschätzt. Denn mit exklusiver Medienware ist viel Geld zu verdienen – obszön viel Geld, wie es viele Briten in dem Fall empfinden, darunter die Angehörigen getöteter Soldaten. Ein Rest kommerzfreier Würde soll dann doch erhalten bleiben.

Auch in Deutschland werden so genannte Informationshonorare gefordert und auch gezahlt. Der Tagesspiegel macht da grundsätzlich nicht mit. Abgelehnt hat diese Zeitung zum Beispiel ein exklusives Angebot mit brisanten Fotos über einen deutschen Minister. Die Bilder wurden dann von anderen Blättern gekauft. Als unlängst zwei Veteranen des Falkland-Krieges im Tagesspiegel ihre Geschichten erzählten, haben beide weder Honorar gefordert noch erhalten.

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