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Medien: Musikclips: Video Killed the Radio Star

Wer jemals das großartige Video zu Aphex Twins Elektro-Hit "Come to Daddy" gesehen hat, hält kommerzielle Clips für Kunst. Der von Starregisseur Chris Cunningham inszenierte Albtraum ist von solcher Intensität, dass Video- und Kurzfilmkunst aus dem High Art-Bereich dagegen verblassen.

Wer jemals das großartige Video zu Aphex Twins Elektro-Hit "Come to Daddy" gesehen hat, hält kommerzielle Clips für Kunst. Der von Starregisseur Chris Cunningham inszenierte Albtraum ist von solcher Intensität, dass Video- und Kurzfilmkunst aus dem High Art-Bereich dagegen verblassen. Wer aber einmal eine Nacht vor dem Fernseher verbracht hat, um wenigstens ein gutes Video zu sehen - tagsüber laufen anspruchsvolle Clips fast gar nicht -, der beginnt Videokanäle zu hassen.

Eine Möglichkeit, experimentelle Clips wenigstens in Ausschnitten zu sehen und dabei noch was zu lernen, bietet die siebenteilige Fernsehdokumentation "Fantastic Voyages: Eine Kosmologie des Musikvideos" (3 sat, heute, 22 Uhr 25). Die von Grimme-Preis-Träger Christoph Dreher ("Lost in Music", "Pop-Odyssee") und der Videokünstlerin Rotraut Pape konzipierte Sendereihe führt durch die technische, mehr aber noch durch die kulturelle Entwicklung des Mediums.

Die einzelnen Folgen bündeln eine Reihe herausragender Videos nach thematischen Gesichtspunkten (Short Stories, Albträume oder Science Fiction), die von Experten wie Kodwo Eshun, Siegfried Zielinski oder Diedrich Diederichsen kommentiert werden. "Spex"-Autor Olaf Karnik führt durch den Auftaktfilm. Die erste Fortsetzung läuft am Montag, 8. Januar, danach geht es im Wochenrhythmus weiter.

"Für uns gelten kommerzielle Gesichtspunkte", betont Viva 2-Musikredakteur Marcel Hamacher, "wir müssen dafür sorgen, dass viele Leute uns sehen, weil sonst das Medium Fernsehen nicht bezahlbar ist". Auf "Heavy Rotation", also ungefähr 35 Mal pro Woche, laufen fast nur Videos der jeweiligen Topstars. Ob die aber ein interessantes Video produziert haben, ist Glückssache. Daniel Miller, Chef des Plattenlabels "Mute", sieht Videos denn auch nicht als Kunstform an, sondern nur als Mittel, den Verkauf von CDs zu steigern. Popstars, deren Vermarktungsstrategie auf dem Bild des autonomen Künstlers basiert, gefallen sich daher auch in der demonstrativen Ablehnung solcher Werbeträger: "Ich hasse es, Videos zu machen und sie mir anzusehen", verkündet Nick Cave in der ersten Folge von "Fantastic Voyages", und Blixa Bargeld ergänzt: "Wir machen nur deshalb Videos, weil man sonst nicht wahrgenommen wird."

Tatsächlich sind zahlreiche Popbands vertraglich verpflichtet, Videos zu produzieren, die sie teilweise über ihre Tantiemen finanzieren. Der Zwang zum Sparen führte in den neuziger Jahren, in denen aufwendige Computeranimationen zum Standard gehörten, zu einer Renaissance des Low Budget-Videos. Diesem Trend konnte sich auch die Jury der MTV-Video-Awards nicht verschließen. Sie wählte das von Spike Jonze ("Beeing John Malcovich") inszenierte Video "Praise You" von Fatboy Slim zum besten des Jahres. Der Clip hat die technische Qualität eines durchschnittlichen Urlaubsvideos und dürfte auch nur unwesentlich mehr gekostet haben.

Die Wirkung des Musikvideos auf die Popmusik ist kaum zu überschätzen. Während inzwischen die meisten Länder eigene Kanäle haben, sendete MTV früher allein für ganz Nordamerika und Europa. Gelang es den Plattenfirmen, hier einen Clip zu platzieren, konnten sie ein viel größeres Publikum erreichen als mit den regional begrenzten Radiostationen. Nicht ohne Grund startete MTV 1981 mit dem Buggles-Hit "Video Killed the Radiostar". Der Titel bewahrheitete sich, denn die optische Inszenierung der Musiker trat immer stärker in den Vordergrund: Madonna und Michael Jackson, die Superstars der 80er Jahre, wurden im wesentlichen als Imagekünstler verehrt. Während ihre Videos regelmäßig Preise ernteten, verachtete die Kritik ihre Musik.

Auch der Siegeszug der Boy Groups in den neunziger Jahren wäre ohne das Medium Video nicht denkbar, da die für ihre weibliche Kundschaft entscheidenden Vorzüge der Mitglieder im Radio nicht zur Geltung kommen. In der Regel heißt dies, dass das Aussehen des Stars im Mittelpunkt steht. In glücklichen Fällen kann der Clip jedoch auch ein künstlerisches Eigengewicht besitzen. Mit Blick auf solche Produktionen stellt die Videokünstlerin Rotraut Pape, bei "Fantastic Voyages" für Schnitt und Realisation zuständig, fest: "Musikvideos sind die einzige Möglichkeit, Avantgarde im Fernsehen zu sehen - und das jeden Tag."

Nicholas Körber

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