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Medien: Nahost: Mobilmachung

Seit dem 28. September 2000 braucht sich Youssef A.

Seit dem 28. September 2000 braucht sich Youssef A. Allan, Bildchef der "Jordan Times", keine Gedanken mehr über das Foto auf der Titelseite seiner Zeitung zu machen. Denn der israelische Hardliner und heutige Premier Ariel Sharon provozierte damals mit einem Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg die zweite Intifada der Palästinenser. Trauernde palästinensische Mütter und Ehefrauen, Steine werfende Jungen und endlose Autoschlangen an israelischen Checkpoints sind seitdem an der Tagesordnung. Die "Jordan Times", eine englischsprachige Tageszeitung in Jordanien, macht daher - wie die meisten arabischen Zeitungen - täglich mit einem Intifada-Foto auf.

"Dieser Tage haben wir keine Wahl", erklärt Allan. Die Leser erwarten das, denn sie sind durch die Ereignisse der letzten Monate extrem aufgewühlt. Das gilt insbesondere für Jordanien, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist. Aber auch in Ägypten machen die Medien regelmäßig mit den neuesten Nachrichten aus Palästina auf. Nur in Syrien und Irak, wo die Tagespresse staatlich kontrolliert ist, steht manchmal die neueste Hofberichterstattung über Bashar al-Assad oder Saddam Hussein ganz oben.

Trotz dieser breiten Berichterstattung über die zweite Intifada ist die Aufarbeitung in vielen arabischen Medien wenig erhellend. Viele Zeitungen und Fernsehsender haben keine Korrespondenten in Palästina, weil sie eine "Normalisierung" der Beziehungen zu Israel ablehnen. Mohammad Kharroub von der halboffiziellen jordanischen Zeitung "Al Rai" kritisiert, dass die Berichterstattung sich auf die militärische Dimension der Intifada und die Mobilisierung der arabischen Massen beschränkt. Die täglich verbreiteten Fernsehbilder haben in der Tat erreicht, dass sogar in Ländern wie Oman und Saudi-Arabien, die keine Massenkundgebungen kennen, pro-palästinensische Demonstrationen stattfanden. Doch die Intifada werde als "Ziel an sich" verkauft, deren politische Dimension nicht herausgearbeitet werde, klagt Kharroub. Zudem kritisiert er die "propagandistische Sprache", die in vielen arabischen Medien verwendet würde, die bei der Bevölkerung die abwegigen Spekulationen nähre, Israel könne ähnlich wie in Südlibanon "besiegt" werden.

Diese Haltung mag Wunschdenken sein und dem Bedürfnis entspringen, Solidarität zu zeigen. Es könnte aber auch dazu dienen, die Untätigkeit der arabischen Regierungen zu kaschieren, die die Palästinenser hauptsächlich verbal unterstützen. Viele arabische Medien sind zumindest teilweise in staatlicher Hand. Hinzu kommt, dass zum Beispiel die jordanischen Zeitungen vor allem aber von Anzeigen öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen leben. Bei zu kritschen Fragen werden weniger Anzeigen geschaltet. Dies führt zu einer starken Selbstzensur.

Bilder schaffen Sympathien

Doch nicht nur die arabische Berichterstattung wird bestimmt von großer Emotionalität, sondern auch die der in der westlichen Medien: Die Bilder von Muhammed al-Durra, der vor laufenden Kameras in den Armen seines Vaters von israelischen Soldaten erschossen wurde, sind um die Welt gegangen. Ebenso wie die Bilder der zerfetzten und verstümmelten Jugendlichen vor einer Diskothek in Tel Aviv, die ein palästinensischer Selbstmordattentäter in den Tod riss. Das Pendel der Sympathie neigt sich nach solchen Gewalttaten jeweils der Seite der Opfer zu. Dies ist menschlich - doch diese Wechselbäder der Gefühle haben nach Ansicht des Chefredakteurs von "Le Monde Diplomatique", Alain Gresh, auch mit den Schwierigkeiten der westlichen Medien zu tun, die zweite Intifada politisch einzuordnen. Gresh erklärt dies damit, dass das 1993 in Oslo unterzeichnete Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern bereits als fertiger Frieden hochgejubelt wurde. Die großen Erwartungen hätten dazu geführt, dass die meisten Medien die Augen beispielsweise vor dem massiven Ausbau israelischer Siedlungen verschlossen. Die zweite "Illusion" von Oslo besteht nach Ansicht Greshs darin, dass Palästinenser und Israelis seither als ebenbürtige Partner dargestellt werden. "Wenn man die Ungleichgewicht der Macht in diesem Konflikt nicht erklärt, kann man ihn nicht verstehen", glaubt Gresh. Diese "Unschärfe" zeigt sich auch daran, dass in vielen Berichten die Bezeichnung "besetzte Gebiete" überhaupt nicht mehr auftaucht. Der Ursprung des Konfliktes droht so in Vergessenheit zu geraten.

Warum schaffen es auch die Palästinenser selbst nicht, ihre Anliegen verständlich zu machen? Der palästinensische Informations- und Kulturminister Jassir Abed Rabbo macht im Gespräch mit dem Tagesspiegel das "US-Monopol" der Information dafür verantwortlich. In Camp David hätten nur US-Medien in der ersten Reihe gesessen, deren Nachrichten und Einschätzungen dann in der gesamten Welt übernommen worden seien. Rabbo beschwert sich außerdem darüber, dass ausländische Israel-Korrespondenten selten den Einladungen der Palästinenser folgten, sondern lieber warteten, bis die israelische Armee ihnen Bilder der Ereignisse liefere. Sie zögen die "sicherere" politische Seite vor, beklagt der Minister. Der stellvertretende Leiter des Medieninstituts der Bir-Zeit-Universität in Ramallah, Aref Hijjawi, sieht noch andere Gründe. Er glaubt, dass die Autonomiebehörde noch immer nicht verstanden habe, wie groß die Macht der westlichen Medien sei und dass man sie mit Informationen beliefern müsse. Zudem macht Hijjawi das schlechte Ausbildungsniveau in Palästina dafür verantwortlich, dass es nur wenige Palästinenser gäbe, die schon rein sprachlich mit dem Westen kommunizieren könnten. Und nicht zuletzt die fehlende journalistische Freiheit in den von Palästinenserpräsident Jassir Arafat streng kontrollierten palästinensischen Medien. Allerdings räumt Hijjawi ein, dass die Palästinenser auch nicht die Mittel für eine der israelischen ebenbürtigen PR-Politik haben.

In der arabischen Welt dominiert das Gefühl der Solidarität mit den Palästinensern und der Hilflosigkeit gegenüber der westlichen Politik, die allein nach allgemeiner Ansicht Israel zur Raison bringen könnte. Die Palästinenser selbst ruhen sich auf der Überzeugung aus, dass das Recht sowieso auf ihrer Seite sei. Das nicht immer transparente Agieren von Palästinenserpräsident Jassir Arafat, der seine Entscheidungen am liebsten allein fällt, trägt sicher zu der Schwierigkeit bei, palästinensische Politik zu verkaufen. Und viele westliche Medien haben sich seit Oslo zu sehr auf Abkommen und Verhandlungen konzentriert und die Realität in Palästina vernachlässigt - weshalb die Ratlosigkeit über den "plötzlichen Gewaltausbruch" teilweise groß ist. Und so laufen die Bilder aus Palästina weiter über die Bildschirme der Welt - ohne dass der Zuschauer immer versteht, was passiert.

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