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Bettina Wulff will gegen Google vorgehen. Grund ist die Autovervollständigen-Funktion.

© dapd

Netzexperten zum Fall Bettina Wulff: "Google sollte negative Begriffe nicht mit Menschen kombinieren"

Was soll Google in Fällen wie bei Bettina Wulff tun? Autovervollständigen anpassen oder nicht? Netzexperten wie Dan Gillmor, Evgeny Morozov und Constanze Kurz antworten.

Die Klage von Bettina Wulff gegen Google ist kein Präzedenzfall. Die Funktion Autovervollständigen war schon mehrfach Gegenstand von Gerichtsverfahren. Manche hat Google gewonnen, manche verloren. Das Problem beschränkt sich auch keineswegs auf Google – Bing hat ebenfalls eine automatische Ergänzung von Suchbegriffen, Bettina Wulff hat dort das gleiche Problem. Und auch bei Amazon gibt es das Phänomen: Kunden können Produkte dort mit "Tags" markieren. Das Buch von Wulff wurde eifrig markiert, mit Tags wie "Geltungssucht", "Escort" und "Callgirl". Wer nun bei Amazon ein Buch der Kategorie "Callgirl" sucht, sieht zuerst das Wulff-Buch.

Verletzen solche Funktionen die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen? Sollten Konzerne wie Google oder Microsoft das von vornherein verhindern? Oder wäre das Filtern solcher Schlagworte ein Eingriff in die Meinungsfreiheit? Immerhin sind es ja nur die von Nutzern eingegebenen Suchbegriffe. Was ginge für die Nutzer verloren, wenn die Funktion eingeschränkt würde? Zeit Online hat Experten für Netzkultur, Suchmaschinen und Meinungsfreiheit nach ihrer Einschätzung gefragt:

Danny Sullivan, Gründer des Suchmaschinen-Blogs searchengineland.com: "Mal angenommen, es gäbe noch so eine Ölpest wie die von BP im Golf von Mexiko verursachte Katastrophe. Wenn dann viele Menschen nach "BP Ölpest" suchen, ist das etwas Negatives für BP. Trotzdem wäre es ein relevanter Vorschlag der Funktion Autovervollständigen. Zensiert Google so etwas? Ein anderes Beispiel wäre die Patentklage von Apple gegen Samsung. Viele Menschen werden etwas gesucht haben wie "Samsung kopiert Apple" – nicht, weil es zu dem Zeitpunkt schon bewiesen war, sondern einfach, weil es das ist, was sie denken. Die Vorschläge von Google geben wieder, was Menschen suchen. Sie vermitteln dabei den Anschein von Wahrheit, auch wenn die so formulierten Aussagen nicht wahr sind.

Allerdings tun mir Menschen wie Bettina Wulff leid, wenn sie so seltsame, manchmal verletzende Suchvorschläge über sich selbst bei Google aufkommen sehen. Da Google ja bereits Dinge wie Hass- und Gewaltaufrufe zensiert, sollte das Unternehmen auch eine Lösung finden, in Autovervollständigen keine negativ besetzten Begriffe mit Menschen, Firmen oder Gruppen zu kombinieren. Egal, ob es nun um Angehörige einer Minderheit geht oder nicht. Schafft die negativen Vorschläge ab, Punkt. Das wäre ein fairer Kompromiss."

Jillian C. York, Expertin für Meinungsfreiheit bei der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation EFF: "In den USA würde Frau Wulff mit ihrer Klage nicht weit kommen. Erstens, weil die Vorschläge bei Autovervollständigen wahrscheinlich nicht als verleumderisch angesehen werden würden. Und zweitens, weil Abschnitt 230 des Communications Decency Act Google als reinen Provider vor einer Verleumdungsklage schützen würde.

Ich halte das aber für problematisch, denn es geht in diesem Fall um eine öffentliche Person und absurde Anschuldigungen. Aber würde Google gezwungen, die Wortkombinationen zu blockieren, wo soll der Konzern dann die rote Linie ziehen?

Persönlich halte ich Autovervollständigen für nützlich, wenn ich ein mobiles Gerät benutze und auf der kleinen virtuellen Tastatur nicht so viel tippen will. Aber ansonsten ist die Funktion eher amüsant als hilfreich. Ich sehe jedenfalls kein Problem darin, die Funktion auf eine entsprechende Anfrage eines Betroffenen zu deaktivieren, solange die eigentlichen Suchergebnisse nicht beeinflusst werden. Würde mein Name plötzlich mit einem Begriff wie "Prostituierte" ergänzt, hätte ich gerne die Option, Autovervollständigen für meinen Namen deaktivieren zu lassen. Vielleicht könnte Google das zumindest denjenigen anbieten, die einen verifizierten Account bei Google+ haben."

Evgeny Morozov, Publizist, Netzaktivist und Gastwissenschaftler in Stanford: "Google sollte Autovervollständigen im Fall von klar negativen, verleumderischen Begriffen komplett deaktivieren. Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Alle Suchergebnisse werden ja trotzdem bei Google zu sehen sein, wenn jemand die Begriffe selbst eingibt. Ich sehe keinen guten Grund dafür, warum Google solche Suchabfragen automatisch vervollständigen sollte, niemand gewinnt dabei wirklich etwas – nur die Gerüchteküche wird weiter angeheizt.

Googles Argument, die Funktion spiegele nur die Realität wieder und forme sie nicht, ist lächerlich. Schließlich hat Google den Code für den Algorithmus selbst programmiert. Aber natürlich ist es bequem für Google, uns etwas anderes denken zu lassen. Ich finde, die Zivilgesellschaft sollte Google auffordern, negative Begriffe aus Autovervollständigen zu entfernen. Nicht jeder hat die Ressourcen, um gegen den Konzern vor Gericht ziehen zu können."

Deaktivieren, weil es dumm macht

Bettina Wulff will gegen Google vorgehen. Grund ist die Autovervollständigen-Funktion.
Bettina Wulff will gegen Google vorgehen. Grund ist die Autovervollständigen-Funktion.

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Dan Gillmor, Medienwissenschaftler, Harvard-Dozent und Technik-Autor: "Irgendwann wird sich Google entscheiden müssen, ob seine Suchergebnisse redaktionelle Arbeit sind oder pure Mathematik. Und weil der Code für den Algorithmus hinter Autovervollständigen von Menschen programmiert wurde, wird es natürlich niemals nur Mathematik sein. Mir scheint, das Unternehmen will beides – situationsabhängig."

Kathrin Passig, Schriftstellerin, Technikbeobachterin und Erfinderin von Zufallsshirt: "Ein weiser Google-Suchtipp ist ja generell, sich bei der Formulierung am Ergebnis zu orientieren und nicht an der Frage. Ich finde daher den Ansatz Googles wenig hilfreich. Denn er bestärkt die Leute, über die Form dessen nachzudenken, was sie fragen wollen, statt zu überlegen, welche Antwort sie erhalten möchten. Das verletzt weniger das Persönlichkeitsrecht, sondern es ist vielmehr ein Selbstverstärkungsmechanismus für Schlechtinformiertheit.

Die Welt ist schon wirr genug, wenn man nur die Häufigkeit betrachtet, mit der bestimmte Formulierungen in Aussagen auftauchen, also in Texten, deren Urheber wenigstens manchmal wissen, was sie wollen. Fragen aber sind Äußerungen gerade von denen, die noch weniger wissen. Das Netz hat an anderen Stellen gerade diese Frageorientierung mühsam überwunden, zum Beispiel bei Quora und Stackoverflow. Dort wurde die Antwort in den Mittelpunkt gerückt. Das hat lange genug gedauert.

Außerdem entsteht durch das Instrument sicher eine sich gegenseitig verstärkende Wirkung. Die funktioniert – und das sieht man speziell in diesem Fall sehr gut –, über die Bande der traditionellen Medien. Die verwenden Google ja gern als den am einfachsten zu recherchierenden Beleg für 'ganz viele meinen das auch'. Anfangs wurde gern zitiert, es gebe schon Tausende Googletreffer zu einem Thema. Seit sich das journalistisch ein bisschen abgenutzt hat, heißt es eben 'xyz schlägt Google gleich als Erstes vor'. Schuld daran ist nicht Google, sondern journalistische Arbeitsscheu.

Abschalten hilft da aber nicht viel. Ich habe um 2003 mal eine Mail bekommen von einer Frau, die mir mit ihrem Anwalt drohte, weil ihr Name in den Google-Suchtreffern direkt über oder unter einem Treffer zum Plattenlabel Flittchen Records auftauchte und sie sich dadurch als Flittchen diffamiert sah. Ich habe ihr damals relativ geduldig erklärt, warum sie damit leben muss. Ich nehme an, solche erbosten Schreiben sind inzwischen seltener geworden. Aber sobald was Neues erfunden wird, müssen halt alle denselben Lernprozess wieder durchlaufen.

Constanze Kurz, Informatikerin, Autorin und eine Sprecherin des Chaos Computer Clubs: "Ich hätte einen Vorschlag: Ich finde, Google sollte Autocomplete nur den Nutzern anbieten, die mit ihrem Google-Plus-Account eingeloggt sind. Denn das sind diejenigen, die auf das Werkzeug besonderen Wert legen. Für alle anderen sollte es sich bei der Eingabe auf eine Rechtschreibkorrektur beschränken. Der beste Weg wäre natürlich, man würde es allen Nutzern freistellen, ob sie es überhaupt nutzen wollen. Einfach indem es einen Knopf gibt, um es an- oder auszustellen.

Das ganze Problem der Persönlichkeitsrechte übrigens entsteht erst durch die Monopolstellung, die Google einnimmt. Die Dominanz Googles ist sehr störend, nicht nur in diesem Bereich. Gäbe es vier oder fünf konkurrierende Suchmaschinen, die alle eine andere Technik verwendeten, dann hätten wir die Debatte gar nicht. Was zeigt, dass solche Monopole ein Innovationshemmnis sind."

Zuerst erschienen bei Zeit Online

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